Lisa Kaufmann
Christoph Kniel & Niko Synnatzschke
Kurz durchkneten
Lisa Kaufmann hat keine Religion, keine Gemeinde, aber einen Wunsch. Sie erzählt, warum sie für Gott backt und was ihr Hund mit Hoffnung zu tun hat. Vorabdruck aus einer Neu­erscheinung in der edition chrismon
18.08.2016

Suche nach Gott

###drp|vR158qFeFqUXch8qump3EESD00152789|i-40|Foto: Christoph Kniel & Niko Synnatzschke|Lisa Kaufmann und Ari: Mindestens eine von beiden hat einen Bezug zu Gott###

Leseprobe aus: Lisa Kaufmann, „Warum ich für Gott backe und was mein Hund mit Hoffnung zu tun hat. Meine Suche nach Gott“, edition chrismon, 12,90 Euro.

Im Sommer 2015 begann ich, eine Kolumne über meine Suche nach Gott zu schreiben. Es war ein sonniger Nachmittag und ich lag auf der Dachterrasse meiner Nachbarn. Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich im Dezember des­selben Jahres sogar an einem Buch über diese Suche arbeiten würde. Im Sommer, mit einem Eistee, mit Freizeit und dem Geruch von Sonnencreme in der Nase, schienen sich spirituelle Erkenntnisse und wertvolle Gedanken zum Thema Gott geradezu aufzudrängen.

Was als besonntes Brainstorming begann, fühlt sich an einem regnerischen Winternachmittag in meinem Bett ein wenig wie Zwangspilgern an. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe selten spirituelle Erkenntnisse, wenn ich alle 40 Sekunden auf die Uhr schaue, um mit jeder verstreichenden Minute panischer zu werden. „Reiß dich zusammen, sei spirituell!“, raunt meine innere Stimme mir zu. „Dein Hund hatte in den letzten zwei Stunden tiefsinnigere Gedanken als du. Ich habe Kleinkinder getroffen, die spiritueller waren als du, du Versagerin!“

Wie Sie sehen, ist meine spirituelle Suche ein wenig aus den Fugen geraten. Man kann nicht über den Jakobsweg sprinten oder aus Zeitmangel einfach doppelt so schnell beten wie sonst und auf Erleuchtung hoffen. Wie alles, was im Leben Wert hat (lesen, backen, lieben, Nägel lackieren, Gott finden), muss auch Spiritualität nach eigenem Tempo geschehen. So beginne ich dieses Buch, indem ich atme. Ich schiebe den Stapel spiritueller Bücher von all den weiseren, klügeren, älteren, wortgewandteren Menschen, die sich vor mir an diesem Genre versucht haben, vom Bett und erinnere mich, dass das Beste, was ich tun kann, das Beste mir mögliche ist.

Ich bin 25 Jahre alt, das hier ist mein Erstlingswerk. Ich bin so tiefsinnig, wie ich bin, und mehr als ehrlich zu sein kann ich Ihnen und mir selbst nicht bieten. Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan, heißt es bei Matthäus 7,7. Es heißt nicht: Schreiet panisch, suchet mit der Intensität eines Drogenspürhundes, tretet die Türe ein. [...]

Im Anfang – Brot und Wein

Es ist Freitagnachmittag und meine Arme stecken bis zum Ellenbogen in einer riesigen Schüssel voller Hefeteig. Die zwei Kilo Mehl, die ich ursprünglich mit Hefe und Wasser verrührt habe, scheinen sich zu zehn Kilo vermehrt zu haben und langsam wird mir das Ausmaß dieses Projekts klar. „Kurz durchkneten“ steht im Rezept, aber diese Anweisung scheint mir nun so realistisch wie „kurz die Wüste aufsaugen“. Wieso tue ich mir das hier an? Was hat das traditionelle Sabbatbrot Challah mit mir zu tun?

Ich knete weiter, knete, bis meine Hände schmerzen und ich meine Oberarme nicht mehr fühle, knete, als könnte ich mir Gott einfach erarbeiten, indem ich die perfekten Challahs backe. Ich liebe dieses Kneten, diese sinnliche, tiefe Erfahrung. Brot backen ist wie meditieren – eine spirituelle Praxis, die mich zwingt, präsent zu sein. Meine Logik funktioniert ungefähr so: Ich habe keine Religion, ich habe keine Gemeinde, ich habe keine religiöse Familie, und der Großteil meiner Freunde sind Atheisten. Aber vielleicht kann ich durch das Leben religiöser Rituale trotzdem einen Zugang zu Gott finden?

Wenn ich das perfekte religiöse Brot backe, einen wunderschönen geflochtenen Laib nach dem anderen zaubere, wenn ich, wie vorgeschrieben, einen Teil des Challahs abzupfe und verbrenne, um ihn Gott zu opfern, wenn ich das Messer auf den Tisch lege, aber das Brot mit meinen Händen zerreiße, so wie auch Abraham auf das Messer verzichtet hat, dann wird Gott meinen spirituellen Ehrgeiz erkennen und mich mit einem Zeichen belohnen.

Mein Handy klingelt, auf dem Display sehe ich das Foto meiner Mutter. Was nun? Ich könnte sagen: „Ich backe Brot, ich rufe später zurück“, aber das wäre nur die halbe Wahrheit. Ich backe nicht einfach nur Brot. Mir gefällt die Idee, dass dieses Brotbacken spirituelle Bedeutung hat, dass ich mich in eine Tradition von Frauen einreihe, die seit Jahrtausenden dieses Brot backen, jeden Freitagabend, überall auf der Welt. Ich könnte sagen: „Ich backe Challah, um Gott zu ehren, ich rufe später zurück“, aber später werde ich bereits mein Handy ausgeschaltet haben, denn am Sabbat versuche ich, ohne moderne Technik zu leben.

Außer entfernten muslimischen Verwandten besteht meine Familie aus Atheisten

Wie so oft habe ich so viel nachgedacht, dass ich vergessen habe zu handeln. Den Anruf meiner Mutter habe ich verpasst, aber die Fragen bleiben. Wie erkläre ich all das meiner Familie? Oder muss ich überhaupt nichts erklären? Wie wichtig ist es mir, verstanden zu werden? Ist es vielleicht auch okay, wenn meine Liebsten mich für ein wenig sonderbar halten und nichts verstehen? Wie einsam darf meine spirituelle Reise sein? Wie einsam halte ich sie aus? Wie kann ich mir selbst, meiner Familie, meinen Freunden und Ihnen begreiflich machen, wie ich hier hingekommen bin? Was führt eine junge westeuropäische Frau atheistischer Eltern dazu, an einem Freitag­abend traditionelles jüdisches Brot zu backen und dann die Königin Sabbat zu begrüßen?

An meiner Kindheit kann es auf keinen Fall gelegen haben. Wenn ich versuche, über die Beziehung meiner Familienmitglieder zu Gott nachzudenken, könnte ich genauso gut über ihre Beziehung zu Voldemort oder Romeo und Julia nachdenken. Gott kam nicht vor in ihrer Welt und somit bestand auch kein Anlass, sich zum Göttlichen zu äußern. Außer entfernten muslimischen Verwandten besteht meine Familie aus Atheisten. Und nicht nur das: Manche von ihnen waren Kommunisten und offen religionsfeindlich.

Mein Großvater väterlicherseits hat den Jugendverband der ägyptischen Kommunisten mitbegründet und musste daraufhin in die DDR fliehen, die ihm Asyl gewährte. Mein Großvater mütterlicherseits hat sich 1961 freiwillig gemeldet, um die Mauer mitzubauen, die für ihn antifaschistischer Schutzwall hieß. In meiner Familie werden harte Arbeit, Literatur, Gregor Gysi und guter Wein angebetet, aber ganz bestimmt nicht Gott. [...]

Goldglänzend und nach Frieden duftend

Mittlerweile ist es neun Uhr abends. Die Küche unserer WG füllt sich langsam mit Mitbewohnern und Freunden. Meine Mutter habe ich nicht zurückgerufen, da mein Handy bereits für den Sabbat ausgeschaltet ist. Mein Freund Max, der auf dem Papier katholisch, in Wirklichkeit aber Atheist ist, taucht auf, gibt mir einen Kuss und holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Meine beste Freundin Sarah, die auf dem Papier evangelisch, in Wirklichkeit jedoch Atheistin ist, erscheint, umarmt mich und begrüßt die anderen Gäste. Mein Hund Ari, der zwar einen hebräischen Namen, aber höchstwahrscheinlich auch keinen Bezug zum Göttlichen hat, kommt angerannt und hofft, eine runtergefallene Nudel oder ein verlorenes Stück Gemüse zu ergattern.

Ich drehe mich so unauffällig wie möglich weg, spreche still ein Gebet, danke Gott für diesen Tag, meine Woche, meine Liebsten, dieses Essen und die Ruhe und Einkehr, die in den nächsten 24 Stunden folgen werden. Ich zünde Kerzen an, decke den Tisch für die zehn Menschen, die heute zum Essen kommen und hole die frisch gebackenen Challahs aus dem Ofen. Sie sind goldglänzend und duften nach Häuslichkeit und Frieden.

Ich möchte Religion und Bedeutung und Gott. Aber ich möchte auch all diese Atheisten, die ich liebe, diese dreckige WG-Küche und meine biertrinkenden Freunde, die mit Gott nichts anfangen können. So wie die Stränge des Challahs Einheit symbolisieren, so möchte auch ich aus den Gegen­sätzen meines Lebens ein leckeres, trostspenden­des, einheitliches Brot flechten. Ich verteile die Suppe, die es als Vorspeise gibt, und reiße das erste Stück vom Challah ab. „Sabbat Schalom“, flüstere ich und beginne meinen Tag der Ruhe.

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Ich glaube, dieses Buch wird eine freudige Überraschung!

Schon der kleine Ausschnitt, der als Appetithäppchen angeboten wurde, trifft genau ins Schwarze - bei mir jedenfalls. Er stiftet geradezu dazu an, immer weiter lesen zu wollen. Der Ausschnitt macht einfach neugierig auf mehr.

Ich freue mich schon riesig auf dieses Mehr und habe das Buch gleich 3x bestellt, 2x zum Verschenken und 1x für mich selbst. (Eigentlich verschenke ich ja keine Bücher, die ich nicht schon selber gelesen habe, aber hier konnte ich nicht anders. Und ich bin ziemlich sicher, dass es so auch ganz genau richtig war.)

Ich freue mich auf das Buch und erwarte jeden Tag sehnsüchtig den Briefträger, der allerdings bis jetzt leider immer nur normale Briefe im Gepäck hatte.

Die Spannung steigt, die Vorfreude auch! Und das ist doch wohl schon vorneweg einmal eine ganze Menge wert.

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