Die Theologin Susanne Breit-Keßler
Können Frauen Fußball gucken? Die Theologin Susanne Breit-Keßler antwortet auf Fragen, die uns bewegen
Monika Höfler
Hab’ leider keine Zeit!
Nicht jetzt, nicht bis zum 10. Juli. Danach bin ich wieder ansprechbar. Bis dahin will ich laut sein, trampeln, klatschen
21.05.2016

„Wir sollten mal wieder einen richtigen Mädelsabend machen“, sagt eine aus meinem Bekanntenkreis. „Wie wär’s? Die Männer schauen Fußball-EM, und wir machen’s uns nett.“ Die anderen sind begeistert. Ich nicht. Kommt gar nicht infrage. Ein Abend nur mit Frauen ist was Schönes – Gespräche über tolle Filme und Bücher, über Politik und Musik und... egal was. Aber nicht, wenn Fußballeuropameisterschaft ist. Oder WM. Nicht im Leben. 

Im Gespräch mit Tobias Glawion gibt Susanne Breit-Keßler zu, dass sie ein großer Fußballfan ist. Sogar ihren Terminkalender richtet sie nach der kommenden EM aus. Und sie erzählt, wie sie ein Spiel einmal heimlich verfolgt hat, als es nicht anders ging.

Klischees sind nichts für mich. Ich wandere gern durch Baumärkte, ich besitze eine Schlagbohrmaschine, fahre gern Traktor (mit) und schaue Fußball. Mein Vater war im Nebenberuf Schiedsrichter. Sonntags (nach dem Kindergottesdienst) hat er mich auf den Platz mitgenommen. Ohne Fußball ging bei uns gar nichts. Manchmal saß ich allein vor dem Fernseher, weil meine Eltern die Spannung nicht ertragen konnten.  

Ich gebe zu: Auch dienstliche Termine lege ich so, dass ich zumindest die Spiele der deutschen Mannschaft sehen kann. Der Spielplan liegt auf meinem Schreibtisch. Man kann berechnen, was passiert, wenn Deutschland Gruppenerster oder bloß Zweiter wird. Und wie es dann weitergeht. In diesen Wochen bin ich unschlagbar, was Wahrscheinlichkeitsberechnungen anbelangt. Ich habe alle Eventualitäten im Kopf. 

Das Smartphone im Tischschmuck versteckt

Ärgerlich macht mich, wenn dumme Witze gemacht werden über Männer, die mit Kumpels zechend vor den Fernsehern hocken, während die Damenwelt ratscht oder Liebesfilme schaut. Ihr Ahnungslosen! Mein Mann und ich schauen immer gemeinsam, per Funk mit Freunden und Freundinnen verbunden. Wir senden Kommentare hin und her, man könnte ein Buch daraus machen. Oder besser nicht.

Nicht alles ist politisch vollkommen korrekt, was wir da schreiben. Zum Fußball gehört, sich in Begeisterung hineinzusteigern. Laut sein, trampeln, klatschen: Ekstase ist wichtig im Leben – aus sich herausgehen, um beschwingt wieder bei sich selbst zu landen. Ekstase, kein Fanatismus. Wenn man den anderen, den „Gegner“, verbal niedermetzelt, ist das schon voll daneben und super unfair.

Wer Fußball nicht leiden mag, kann selbstverständlich mit meinem Respekt rechnen. Mit meiner Anwesenheit eher nicht. Bei einer Veranstaltung, die ich trotzdem nicht vermeiden konnte, habe ich heimlich mein Smartphone im Blumenschmuck auf dem Tisch versteckt. Der Ton war abgedreht. Trotzdem flog ich auf. Deswegen, weil alle Herren sich quasi von beiden Seiten an meine Schultern lehnten.

Sie wollten natürlich bloß sehen, wie das Spiel verlief. Das merkten dann alle im Raum. Ganz offen wurde schließlich die Bitte ausgesprochen, doch wenigstens in regelmäßigen Abständen den Spielstand bekanntzugeben. Das habe ich als Frau den Männern zuliebe natürlich gemacht. Ich habe ja Verständnis für Fußball-Freaks. Und letzthin habe ich einer Kollegin eine Fahne geliehen, die sie um sich wickelte. 

Sie jubelte, erst pflichtschuldig, dann immer enthusiastischer. Die Fotos, die ich davon auf ihre Bitten hin machen durfte, haben ihren Mann und ihren Sohn verblüfft. Diese Seiten kannten sie an der Mama noch nicht – sie waren begeistert.

Übrigens: Schreiben Sie mir ruhig, wenn Sie meiner oder anderer Meinung sind. Ich bitte Sie nur um ein bisschen Geduld. In diesem Monat ist Fußball. Dauert bis zum Finale am 10. Juli. Dann bin ich wieder ansprechbar.

Permalink

Sein privates Hobby sei jedem und jeder gegönnt, aber der Totalitarismus, wonach Fußball in jedem Fall wichtiger ist als alles andere und alle anderen Lebensbereiche sich nach ihm zu richten haben, nimmt allmählich extreme Formen an und erschwert die Arbeit von Schulen, Kirchengemeinden und auch die in anderen Sportarten. Deshalb kann ich solche Bekenntnisse nicht mehr mit einem Augenzwinkern lesen, sondern eher als Problemanzeige.

Antwort auf von Hans Schlicht (nicht registriert)

Permalink

Falls keine Moderationsgründe entgegen stehen, würde ich Herrn Schlicht gerne fragen, was er am Beitrag herrlich findet.

Traugott Schweiger

Antwort auf von Traugott Schweiger (nicht registriert)

Permalink

Herrlich finde ich den Artikel, weil er etwas, was heute eine Selbstverständlichkeit ist, genau wie eine solche behandelt, nämlich mit keiner Silbe erwähnt. Was ist der Inhalt der Ekstase und des Enthusiasmus, der die Fans beiderlei Geschlechts Fahnen schwingen und das Auto und das eigene Gesicht bemalen lässt? Ist es der Fußball? Keineswegs, der ist nur der Anlass. Der Grund ist die Parteinahme für die Nation. Deutschland soll die EM gewinnen oder zumindest nicht zu früh gegen andere Nationen rausfliegen. Und was ist die Nation? Das ist der täglich gewaltsam aufrecht zu erhaltende Zusammenschluss höchst unterschiedlicher Interessen. Das finde ich bemerkenswert.
Der nationalen Begeisterung darf nur noch der entkommen, der sein Desinteresse am Fußball bekundet. Das geht dann in Ordnung. Wer aber sagen würde, dass ihm Fußball spielen oder Fußballspiele anschauen durchaus Spaß macht, ihn aber die damit verbundene Parteinahme für die Nation schlagrührend ärgert, hätte schlechte Karten. Das war nicht schon immer ganz so ausgeprägt.
Ein Hinweis für jüngere Leser: Es gab mal deutsche Fußballweltmeister, die demonstrativ den Mund gehalten haben, wenn die Nationalhymne gespielt wurde. Ich meine nicht vornehmlich den entenjagderprobten Torwart, der vielleicht lieber "Gott mit Dir, Du Land der Bayern (tückische Doppeldeutigkeit des Begriffes Bayern in diesem Zusammenhang!)" gesungen hätte als das Lied der Deutschen. Ich denke mehr an einen noch heute lebenden Bartträger. Der gab sogar eine Antwort auf die Frage, warum er nicht mitsänge. Soviel indirekte Kritik am Staat war allerdings auch schon damals nicht erlaubt und er wurde für 3 Länderspiele gesperrt. Heutzutage undenkbar, dass ein Mitglied der Nationalmannschaft kritische Distanz zur Nation andeuten würde.
Wer es genauer wissen will, muss eine bekannte Suchmaschine bemühen.
Ich hoffe, lieber Herr Schweiger, damit Ihre Frage hinreichend beantwortet zu haben. Ihre Formulierung mit den Moderationsgründen lässt mich vermuten, dass mindestens ein Kommentar von Ihnen bereits im Moderationsfilter hängen geblieben ist. Nun, Ihre Frage durfte immerhin passieren. Ob es meine Antwort auch darf, vermag ich nicht einzuschätzen. Gott kommt nicht vor, also kann ich auch keine unzulässige Kritik an ihm geübt haben. Der Staat kommt schon vor. Ob auch der vollen Moderationsschutz vor abweichenden Meinungen genießt, wird sich zeigen.
Hans Schlicht

Haben Sie Dank für Ihre notwendige Klarstellung. Der Formulierung "herrlich" war das nicht zwingend anzusehen. Ergänzend möchte ich noch auf die gängigen Versuche hinweisen, zwischen herzensgutem Patriotismus und bösem Nationalismus unterscheiden zu wollen. Ins Töpfchen Patriotismus kommt dann die als putzig gekennzeichnete Fahnenschwingerei und sonstige nationale Begeisterung, wenn sie sich unterhalb von 70 Dezibel abspielt und die Anwendung unmittelbaren Zwangs den dazu vorgesehenen Staatsorganen überlässt. Ab 80 Dezibel und eigener Handgreiflichkeit soll es sich um unschöne Übertreibungen und ungesunden Nationalismus handeln.
Das ist eine sachlich nicht gerechtfertigte Unterscheidung. Die Bejahung der und Begeisterung bei der Zugehörigkeit zur Nation wollen beide nichts wissen von den Zwängen (Steuern zahlen, Wehrdienst leisten, Schulpflicht genügen, Gesetzen gehorchen, sich nach der Decke strecken müssen), die diese Zugehörigkeit beinhaltet. Daraus besteht der Nationalismus. Der ist für den Normalmenschen immer ein Fehler. Ganz unabhängig davon, ob einer diesen seinen Fehler in gesitteter Form vor sich her trägt oder einen Eintrag im Führungszeugnis riskiert.
Traugott Schweiger

Den springenden Punkt der Geisteshaltung, die zustimmend als Patriotismus oder mit leicht negativem Unterton als Nationalismus bezeichnet wird, haben Sie bereits benannt. Man soll an ein freudig zu begrüßendes "Wir" denken und nicht an die schnöde Wirklichkeit mit ihren beinharten Unterschieden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Vermietern und Mietern, Lehrern und Schülern, Vollzugsbeamten und Knastinsassen. Wo wird dieses gefühlte "Wir" dringend benötigt? Spätestens wenn die wahre Nationalmannschaft zu ihren Auslandsspielen aufläuft. Die Austragungsorte liegen noch nicht im einzelnen fest, Kennerkreise munkeln was von Afrika. Die Siegesmeldungen stehen dann allerdings nicht mehr auf den Sportseiten, sondern im politischen Teil. Und die Niederlagen bei den Todesanzeigen.
Soweit also der staatsdienliche Nutzen der ganz harmlosen, fröhlichen und bunten Sommermärchen im Stile der Fußball-EM.
Hans Schlicht

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.