Anja Stiehler-Patschan
Ist das Schwarzarbeit?
Eine Osteuropäerin versorgt die alte Mutter. Liebevoll und bezahlbar. Und dann das: Der Zoll ermittelt. Das erleben gerade 1300 Familien in Deutschland. Sie sind – wie viele Angehörige von Pflegebedürftigen – in einem Dilemma. Es gibt Auswege
Tim Wegner
26.05.2016

Dass es doch nicht ganz legal sein könnte, und dass es rauskommen könnte – das ist das Damoklesschwert, das über vielen schwebt, die einen pflege­bedürftigen An­gehörigen durch eine Polin, Rumänin, Slowakin, Kroatin betreuen lassen. Auf rund 1300 Familien in ganz Deutschland saust das Schwert gerade herunter: Sie bekommen Post vom Zoll, der Polizei des Finanz­ministeriums.

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###drp|awb3bjwckaKM4u4UW8pUEGth00134787|i-43|Buch "Können wir nicht über was anderes reden?" von Roz Chast / Rowolth Verlag|###Viele Tipps in unserem Dossier: Die Mutter ist im Krankenhaus, der Vater unversorgt - und jetzt? Stress pur. Wo man Hilfe kriegt und was man sonst noch tun kann, finden Sie im Service-Teil "Mutter im Krankenhaus - was jetzt?"

Der Vorwurf an die Familien: Sie hätten mittel- und osteuropäische Haushaltshilfen oder Pflegekräfte von der Firma „Senioren­pflege Franzl“* (*Name und einige Details von der Redaktion geändert) vermittelt bekommen, für diese Frauen aber nichts in die Sozialversicherungen gezahlt, die Frauen also schwarz beschäftigt. Strafgesetzbuch § 266a sieht Freiheitsstrafe bis fünf Jahre oder Geldstrafe vor. Gegen den Inhaber der Firma hat die Staats­anwaltschaft Augsburg bereits Anklage erhoben: Er habe ­Arbeitnehmerinnen ohne Genehmigung überlassen. Damit habe er die Familien zur Schwarz­arbeit angestiftet. Gegen die Familien, die „Haupttäter“, wird noch ermittelt.

„Seniorenpflege Franzl“ ist einer der Billighuber in dieser Branche. Womöglich bekam der Zoll den Hinweis von einem Konkurrenten. Weil Franzl die Preise rui­niert. Für 900 Euro gibt es bei ihm eine Betreuerin ohne Deutschkenntnisse, für 950 Euro eine mit wenigen, für 1000 Euro eine mit guten Deutschkenntnissen. Die Familie bezahlt direkt an die Betreuerin. Franzl kriegt natürlich auch noch Geld. Einen Vertrag für 1680 Euro hält er auch noch vor, überschrieben mit „100 % legal“. Die neuesten Verträge – Herr Franzl betreibt sein Geschäft weiter, er ist bislang nicht verurteilt – sind überschrieben mit „100 % offiziell“.

Manchmal beschlichen ihn Zweifel, ob das wirklich alles korrekt sei

Wer unterschreibt so einen Vertrag? Zum Beispiel Klaas Benjes*, Logistik­ingenieur, angestellt in der Hafenbranche, Ende 40. Er habe den Herrn Franzl extra gefragt, ob das denn legal sei. „Ich hab mich auf den verlassen“, sagt Benjes. „Wenn ich jemanden hätte schwarz engagieren wollen, wäre ich bestimmt nicht über eine Agentur gegangen.“ Er sei blauäugig ge­wesen, er hätte nachhaken müssen. Heute sei ihm das klar.

Aber die Situation damals war so angespannt. Die Mutter wurde immer hinfälliger, das Bad lag im ersten Stock, „sie wusch sich nicht mehr, vegetierte nur noch unten, im Wohnzimmer“. Nach der Arbeit fuhr er, oft im Wechsel mit seiner Frau, ebenfalls berufstätig, die 40 Kilometer zur Mutter, setzte sie in die Badewanne, kochte, nahm die Wäsche mit. Die Mutter wollte auf keinen Fall ins Altenheim.

Aber so ging es irgendwann auch nicht weiter. Der Sohn sagte: „Ruf mich abends bitte noch mal kurz an.“ Das hat sie nicht gemacht. „Dann hab ich angerufen, aber entweder war ewig besetzt oder es ist ­keiner drangegangen. Also was machst du? Du setzt dich ins Auto und fährst hin.“  

Da fügte es sich, dass die Cousine des Saxofonlehrers der Freundin des Sohns eine tolle Kraft von Franzl hatte. Alsbald zog auch bei Benjes Mutter eine Rumänin ein,  die Mutter verträgt sich mit ihr, die Situation beruhigte sich. Manchmal beschlichen Benjes Zweifel, ob das wirklich alles korrekt sei, aber der Herr Franzl war telefonisch nicht mehr greifbar.

Die Vermittlerin: „Unter 2000 Euro ist es nicht möglich, eine Betreuerin legal zu entsenden“

Als Klaas Benjes dann um Ecken herum erfuhr, dass gegen Franzl ermittelt wird, fiel er aus allen Wolken. Noch hat er keinen Brief vom Zoll bekommen, aber er erwartet ihn. „Wenn die mich anklagen, kann ich nur schuldvoll mit dem Kopf nicken. Ich war blöd, da muss man nicht drumrumreden. Jetzt muss ich halt Lehrgeld zahlen.“

„Man hätte zumindest hellhörig werden können, seit es das Mindestlohngesetz gibt“, sagt Rechtsanwalt Michael Moser aus Bad Wörishofen, der einige Kunden von „Seniorenpflege Franzl“ nun als Mandanten hat. Der Mindestlohn von 8,50 Euro gilt auch für Arbeitnehmerinnen aus dem Ausland.

So geht's: Betreuerin selbst einstellen

Wer eine Betreuerin zur Anstellung sucht oder seine derzeitige Betreuerin selbst anstellen will, kann sich an FairCare wenden, ein Projekt, das von der Diakonie ins Leben gerufen wurde: Telefon 0711 239 41-37, www.vij-faircare.de. Auf ausdrückliche Nachfrage bieten auch einige Vermittlungsagenturen das Arbeitgebermodell an – man zahlt der Agentur eine Provision, die Agentur hilft bei allen Formalitäten und stellt gegebenenfalls eine Ersatzkraft.

To-do-Liste für unerfahrene Arbeitgeber: Arbeitsvertrag mit der Betreuerin abschließen (darin müssen Arbeitszeit, Urlaub, Gehalt, Kündigungsfrist und die Aufgaben geregelt sein) – die Betreuerin meldet ihren Wohnsitz beim Einwohnermeldeamt an, danach bekommt sie eine Steuer-Identifikationsnummer – als Arbeitgeber eine Betriebsnummer beantragen: Telefon 0800 - 455 55 20 – mit der Betriebsnummer die Betreuerin zur Sozialversicherung bei einer gesetzlichen Krankenkasse anmelden – Unfallversicherung über Berufsgenossenschaft abschließen: Infohotline 0800 - 60 50 40 4 – das Abführen von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen organisieren, etwa mittels Lohn- und Steuerbüro oder Steuerberater.

Mindestlohn bedeutet: Bei einer 40-Stunden-Woche stehen der Arbeitnehmerin rund 1470 Euro brutto zu (netto 1170 Euro), und der Arbeitgeber muss insgesamt – mit allen Sozialversicherungen – etwa 1750 Euro bezahlen. Kost und Logis dürfen nicht abgezogen werden, der Arbeitgeber kann aber einen Mietvertrag mit der Betreuungskraft abschließen.

1750 Euro Arbeitgeberbrutto – und dann wollen die Vermittler ja auch noch was verdienen. Bei einer entsendeten Betreuerin sind es gleich zwei Firmen: die Entsendefirma im Heimatland und die Vermittlungsagentur in Deutschland. „Unter 2000 Euro ist eine Entsendung legal nicht möglich“, sagt Carmen Roth, Inhaberin der Agentur „Vis-à-Vis24“ in Augsburg. Manche Betreuerin wolle auch mehr als den deutschen Mindestlohn – weil sie gut Deutsch spricht, sehr gut kocht, Auto fährt. Dann sei man schnell bei 2500 Euro.

Ist eine "24 Stunden"-Kraft selbstständig?

Man glaubt Carmen Roth, dass sie gern auch einer alten Rewe-Verkäuferin die Rundumbetreuerin gönnen würde und nicht nur alten Steuerberatern, Bundes­tagsabgeordneten und Geschäftsleuten.

Roth wuchs in einem rumänischen Pfarrhaus auf und sieht beide Seiten: die deutschen Familien, die nicht so viel Geld ­haben, und die osteuropäischen Frauen, die ihre Familie durchbringen müssen.

Am liebsten würde Carmen Roth die Frauen als Selbstständige vermitteln. Dann könnten die ihre Vergütung und Arbeitszeit selbst verhandeln. Und weil Selbstständige nicht in die Rentenver­sicherung einzahlen müssen, käme das die Familien billiger. Leider nicht erlaubt, sagt Roth, der Zoll betrachte selbstständige „24 Stunden“-Kräfte als scheinselbst­ständig. Warum bloß?

Man erinnere sich einmal kurz daran, wie man zuletzt von einem Handwerker versetzt wurde. Oder wie die Handwerker punkt fünf Uhr ihre Werkzeuge einpackten, obwohl die Küche nicht fertig war. Oder wie der Handwerksmeister dann doch nicht selbst kam, sondern eine Hilfskraft schickte. Das ist Selbstständigkeit!

Jetzt sich einmal vorstellen, die osteuropäische Betreuerin sagt am Freitagmittag: „Tschüss dann, ich geh jetzt ins Wochenende! Nächste Woche hab ich einen Großkunden, ich schick stattdessen eine Freundin her, kann aber Dienstag werden.“ Und weg ist sie. Kurz darauf teilt sie der Tochter mit: „Ihre Mutter wird dement, das war so nicht vereinbart. Macht 800 Euro mehr.“ Das wäre eine selbstständige Gewerbetreibende!

"Es gibt grundsätzlich keinen freien Tag" steht auf dem Merkblatt

Es mag solch selbstbewusste Betreuerinnen geben, die Regel ist das nicht. Meist fügt sich die osteuropäische Betreuerin den Erwartungen der Haushalte: dass sie rund um die Uhr verfügbar ist und den Weisungen der Angehörigen oder der Betreuten folgt. Damit aber wird sie zur abhängigen Arbeitnehmerin, und der Haushalt wird zum Arbeitgeber mit allerlei Fürsorgepflichten.

Die Autorin

###drp|AbCbMzxDSNSY80dbsA_nv0pF00134005|i-43|Foto: Privat|###Christine Holch, Jahrgang 1959, hofft, dass die Pflege besser ge­regelt ist, bis sie selbst Pflege braucht. Solange macht sie eifrig Gymnastik.

Manchem kommt das deutsche Arbeitsrecht überreguliert vor. Also unsinnig. Den Sinn dahinter kann Bernhard ­Emunds, Professor für Christliche Gesellschafts­ethik und Sozialphilosophie in Frankfurt am Main, erklären: Wer Eigentum hat, ist frei, so habe man das in der Geschichte immer gesehen. Wer kein Eigentum hat, muss sich zeitweise verdingen, damit er ein Auskommen hat, also auch frei wird. Er muss sich für eine gewisse Zeit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterstellen. Das öffnet Missbrauch Tür und Tor. Deshalb braucht man beschränkende Gesetze.  

Nun muss man nicht jeder Familie oder jeder Vermittlungsagentur unterstellen, sie behandle ihre osteuropäischen Betreuungskräfte absichtlich mies. Aber schützen­de Gesetze sind immer für die­jenigen gemacht, die keine wohlgesonnenen Mitmenschen haben. Auch der Straftatbestand Vergewaltigung in der Ehe wurde eingeführt, obwohl es jede Menge nette Ehemänner gibt.

Geradezu nach Leibeigenschaft klingt das Merkblatt, das die „Seniorenpflege Franzl“ ihren Kunden aushändigte: „Es gibt grundsätzlich keinen freien Tag.“ Die Hilfe dürfe keinen Besuch empfangen. „Auch Treffen mit Frauen aus demselben Land, die bei einer anderen Familie ar­beiten, sind nicht gerade ideal.“ Sind wir im 19. Jahrhundert?

Der Rechtsanwalt: „Wenn Sie zufrieden sind mit Ihrer Betreuerin, stellen Sie sie an“

Szenenwechsel aufs bayerische Land: ein Festsaal voller Kunden von „Seniorenpflege Franzl“, besorgte Gesichter. Rechtsanwalt Michael Moser hält einen Vortrag, obwohl Franzls Anwältin ihm die Veranstaltung untersagen wollte. Sicherheitshalber informiert der Anwalt eher allgemein. Doch die Leute sind von konkreten Fragen geplagt. Wenn man sich jetzt einen Anwalt nehme, fragt einer, zahlt den die Rechtsschutzversicherung? Antwort: „Ja, wenn Sie nicht mit Vorsatz gehandelt haben. Wenn Ihnen im Vertrag versichert wird, dass alles legal ist, dann sind Sie meist aus dem Vorsatz raus. Jedenfalls, wenn Sie ­Maschinenführer, Tischlerin, Spengler oder Kosmetikerin sind.“

Dann erklärt Anwalt Moser, was man eigentlich alles beachten muss, wenn man eine Betreuungskraft hat: Sie kriegt Mindestlohn. Und bezahlten Urlaub. „Das kennen Sie selbst, falls Sie angestellt sind.“ Zaghafte Frage: „Aber wenn jemand nur zwei Monate da ist?“ Dann gilt das genauso. Mindesturlaub in Deutschland bei einer Sechstagewoche: 24 Tage; bei zwei Monaten sind das vier Tage Urlaub.

Die Betreuerin muss auch Freizeit haben. „Freizeit heißt, dass ich tun und lassen kann, was ich will. Wenn Sie sich bereithalten müssen, ist es keine Freizeit.“ Die Wirklichkeit, das ist Moser bewusst, sieht anders aus: Die meisten Betreuerinnen bekommen gerade mal einen Nachmittag frei pro Woche. Oft nicht mal das.  

Was tun, wenn man noch Kunde ist bei Franzl? „Wenn Sie zufrieden sind mit der Betreuerin, stellen Sie sie an.“ Aber der Vertrag? Einen rechtswidrigen Vertrag könne man fristlos kündigen.

"Die '24 Stunden'-Pflege ist schlichtweg ausbeuterisch"

Klaas Benjes hat die Rumänin jetzt angestellt. Damit er wieder schlafen kann. Selbst wenn die Verfahren gegen die Franzl-Kunden wegen geringer Schuld eingestellt werden sollten, nachzahlen müssen die Familien trotzdem: die rund 19 Millionen Euro, die sie den Sozialversicherungen vorenthalten haben; was die Familien der Betreuerin zahlten, gilt als Netto­gehalt. ­Zumindest bei der Rente werden die Betreuerinnen davon was haben. Im Schnitt kommen auf jede Familie 15 000 Euro zu. Für manche eine bedrohliche Summe. Benjes wird umstandslos zahlen, Haupt­sache der Stress ist endlich vorbei.

Ausgerechnet das Anstellen der Frau raubte ihm fast den letzten Nerv. „Ich wusste doch nicht, wie man jemanden anstellt! ­Also hab ich bei der Arbeitsagentur angerufen: Nö, können wir nicht sagen. Wirklich wahr! Dann hab ich beim Einwohnermeldeamt angerufen. Die sagten: Bei uns sind Sie falsch, rufen Sie die Arbeitsagentur an.“

Wieso eigentlich gibt es keine öffentlichen Servicestellen, die Angehörige bei diesen ungewohnten Arbeitgeberauf­gaben beraten? Und wieso gibt es für private Haushalte kein vereinfachtes Verfahren, eine Beschäftigung jenseits der Midijob-Schwelle anzumelden? Klaas Benjes jedenfalls war der Verzweiflung nahe. Aus seinem stressigen Job heraus mit Ämtern zu telefonieren, das ging eigentlich nicht. Schließlich riet ihm ein Kollege: Meine Tochter ist Steuerberaterin, ruf die mal an. Die managte dann alle Formalitäten.

Im Moment sei alles gut, sagt Benjes. Seine Mutter habe nur Pflegestufe eins, Nachteinsätze seien nicht nötig, er könne die Arbeitssituation verantworten. Nicht selten aber ist eine osteuropäische Be­treuerin Tag und Nacht mit einem demenz­erkrankten Menschen zusammen, ist ständig seiner Unberechenbarkeit und seinen stupiden Wiederholungen ausgesetzt, ist immer in Anspannung. Oder sie ist gleich für zwei schwer Pflegebedürftige zuständig. Es ist das Pausenlose, das die Betreuerinnen über die Maßen anstrengt.

Das ist keine menschenwürdige Arbeitssituation, sagt der katholische Sozialethiker Bernhard Emunds. Die „24 Stunden“-Pflege sei schlichtweg ausbeuterisch. Und zwar nicht nur in den skandalösen Einzelfällen, sondern von der Struktur her. Ein hartes Urteil.

"Die Politik duckt sich weg"

Aber bitte sehr: Die UN-Menschenrechtscharta von 1948 sagt in Artikel 24: „Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub.“ Bezahlten Urlaub! Wenn die Betreuerinnen nach zwei, drei Monaten in ihr Heimatland zurückreisen, fahren sie nicht in bezahlten Urlaub. Die Bezahlung endet dann oder schrumpft auf den kleinstmöglichen Lohn.

Freizeit! Der weltweite Mindeststandard sind 24 aufeinanderfolgende Stunden pro Woche, und in dieser Zeit ist die Hausangestellte nicht verpflichtet, im Haushalt zu bleiben. So hat es die ILO, die UN-Unterorganisation für Arbeit, in ihrem Übereinkommen über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte festgelegt. Die Bundesregierung hat das unterschrieben, aber sie setzt den Mindeststandard für die geschätzt mindestens 300 000 osteuro­päischen Betreuungskräfte nicht um.

Die Politik ducke sich weg, sagt ­Emunds. Man könnte sich doch wenigstens allmählich an faire Arbeitsverhältnisse annähern!

Das Wichtigste: Ein Gesetz müsste die Arbeitszeit begrenzen – wenn auch nicht sofort auf die sonst übliche Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden. Aber mindestens ein Tag pro Woche wäre komplett frei. Für Nachteinsätze gäbe es zusätzlich Ausgleich. Jede Familie, die sich daran hält (begleitet und kontrolliert von Externen), bekäme einen Zuschuss, sagen wir mal: 500 Euro im Monat. Natürlich müsste die Familie die Betreuerin anstellen. Damit die Verantwortlichkeiten klar sind.

Jedem Alten seine Osteuropäerin? Nicht vorstellbar

Das kostet, aber man könnte die Erbschaftssteuer erhöhen, das wäre nur gerecht, findet Bernhard Emunds, dadurch würden sich alle Erben an der Finanzierung der Altenpflege beteiligen. Derzeit hätten ein verringertes Erbe ja nur jene, deren Eltern lange Zeit stark pflegebedürftig waren. Wie heißt es im Pflegegesetz, 1994 beschlossen: „Die pflegerische Versorgung der Bevölkerung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“

Die Rewe-Verkäuferin allerdings würde sich auch mit 500 Euro Zuschuss keine rumänische Betreuerin leisten können. Ihr bliebe weiterhin nur der Umzug ins Heim. Das Heim kann sie sich zwar auch nicht leisten, aber da zahlt das Sozialamt die Differenz.

Eigentlich müssten die Heime besser werden, meint Emunds. Denn ganz ohne Pflegeheime werde man nicht auskommen. Einem jeden Alten seine persönliche Osteuropäerin – nicht vorstellbar.

„Wenn das mit der Pflege alles so ein Problem ist“, sagte ein Besucher der Infoveranstaltung des Rechtsanwalts, nachdem er länger vor sich hin überlegt hatte, „warum ändert der Gesetzgeber das nicht?“ Antwort von Anwalt Moser: „Geht in die Sprechstunde eurer Bundestagsabgeordneten und sagt denen: Das funktioniert so nicht!"

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“Das funktioniert so nicht“, das möchte man nicht seinem Abgeordneten zurufen, sondern dem Autor. Der hat natürlich völlig recht, dass es nicht in Ordnung ist gegenüber der gewerblichen Pflegekraft, das Arbeitsrecht zu ignorieren. Aber was ist denn in vielen Familien die Alternative? Er beschreibt eine gepflegte REWE-Verkäuferin, eine völlige Fiktion. Was es dagegen unter vielen Dächern gibt: eine REWE-Verkäuferin, die ihre Mutter pflegt, zusätzlich. Hat sie Urlaub? Hat sie geregelte Freizeit? Hat sie Mindestlohn (und ich meine nicht die Stunden bei REWE)? Ist sie Unberechenbarkeiten ausgesetzt und ständig in Anspannung? Das ist der wahre Alltag für viele Angehörige, und sie haben keinerlei gesetzlichen Schutz, nicht einmal Rentenanspruch, darüber könnte man ja mal mit seinem Abgeordneten reden. Aber sie klagen auch nicht, es geht ja um ihre Mütter, Väter, Ehemänner, Onkel. Gottes Werk für Gottes Lohn.

Hallo, Herr Arbs, ich bin kein Autor, sondern eine Autorin. Und nicht die Autorin sagt was über eine Rewe-Verkäuferin, sondern die Inhaberin einer Vermittlungsagentur wird zitiert, die sich wünscht, es gäbe auch für Rewe-Verkäuferinnen eine bezahlbare Zuhause-durch-andere-gepflegt-Werden-Variante. Natürlich haben Sie Recht: Viele Töchter (und manche Söhne) pflegen selbst, unbezahlt, bis zur Erschöpfung und mit Aussicht auf eigene Armut im Alter. Es ist ein Dilemma und eine untragbare Situation, genau das versucht der Text zu beschreiben. Und so wirklich kümmert sich "die Politik" nicht darum. Vielleicht sollten sich mehr Leute organisieren und richtig Radau machen? Die Initiative "Wir pflegen" macht ja schon einen Anfang. Die könnten natürlich auch Unterstützung von allen anderen gebrauchen.

Herzliche Grüße
Christine Holch
Redakteurin chrismon
 

Sie haben Beide zwar prinzipiell Recht, aber was ist das für ein Recht? Wenn bereits die Pflege von Angehörigen als eine einem Beruf und der einer sonstigen Erwerbstätigkeit gleichzusetzende Beschäftigung mit Rentenanspruch angesehen wird, dann müßte auch die Haus- und Gartenarbeit mit einem Rentenanspruch ausgestattet werden. Die Hilfe beim Abwasch durch einen 8-Jährigen ist dann eine unzulässige Kinderarbeit. Wo führt das hin und welche Arbeit ist dann noch frei von solchen Ansprüchen? Praktizierte Nächstenliebe ist frei davon. Das Dilemma entsteht auch vorrangig und vermehrt dadurch, dass immer mehr Ältere allein leben oder, aus welchen Gründen auch immer und leider auch häufig leichtfertig, die Verbindungen zur Familie und zu Freunden und Nachbarn abgebrochen haben. Diese Entwickung hin zu einem total selbstbestimmten Leben ist auch eine menschenrechtlich favorisierte besondere Form des Egoismus, der in jungen Jahren zwar als frei und angenehm angesehen wird, im Alter aber die Schattenseiten zeigt.

Antwort auf von OCKENGA (nicht registriert)

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Jaja, diese problematische Unsitte vieler Männer, einfach vor ihren Frauen wegzusterben. Deswegen gab es in manchen Gesellschaften, die noch nicht von verderblicher, egoistischer Selbstbestimmung angekränkelt waren, den schönen Brauch, in solchen Fällen die Frauen gleich mitzubestatten. Aber spätestens die gott- und wertevergessenen 68-er hätten diese sehr sinnvolle Einrichtung zu Fall gebracht.
Ursprünglich sollte mein Kommentar hier enden. Ich bin durch Zufall auf einen Hinweis der Redaktion in diesem Forum gestoßen: "Die Kommentarfunktion dient dem Austausch mit anderen Lesern". Dieses lobenswerte Anliegen möchte ich jetzt mit Leben füllen. Lieber Herr Ockenga, nächstes Jahr stehen die großen Feierlichkeiten zum 500-jährigen Reformationsjubiläum an. Ich weiß aus Ihren Beiträgen, die ich meist gerne und mit viel Vorfreude lese, dass Sie sehr unzufrieden sind mit der Auswahl der FestrednerInnen. Da kann ich Ihnen leider auch nicht helfen. Im Jahr darauf wird aber das 50-jährige Jubiläum der 68-Umtriebe gefeiert. Wollen Sie nicht selber als durchaus kritischer Festredner dort auftreten? Ich bin mir sicher, dass die versammelten Alt-68-er ganz bestimmt ihre Freude daran haben würden. Also überlegen Sie mal und geben Sie mir bitte Bescheid!

Beste Grüße!

Sepp Stramm

Oh ja, es wäre mir ein Vergnügen und für die 68 sicher eine innere Einkehr. Aber es ist ja nach denen, die mit keiner Roadmap, dafür umso mehr Elan, die Vor-68-Welt verändern wollten -und zwar sofort!-, eine kostenlose Vergangenheit und Wiederholung parat. Die Reformation, die Energiewende, der Brexit, alles geschah, ohne dass die Initiatoren wußten, was denn dabei herauskommen konnte, sollte und und noch werden wird. Auch Franziskus leidet unter dieser vagen Aussicht. Die evangelische Kirche ist schon lange auf diesem Pfad der Überraschungen ohne Wiederkehr. Zur Zeit windet sie sich. Ein Aal könnte es nicht besser machen. Luther wirft mit seinem, damals zeitgemäßen, Antisemitismus, so lange Schatten, dass bald die ewige gläubige Finsternis herrschen könnte. Frau Käßmann würde wohl am besten absagen oder einfach die 500 Jahre verlängern wollen, bis wieder schöneres Wetter herrscht. Aber das kommt nicht. Denn da droht ja immer noch und zusätzlich die eigene über 70jährige Vergangenheit. Luther mit seiner Vergangenheit anmalen, sich selbst aber mit dem body-painting der Friedensbewegungen verzieren, kann zu einer Implosion führen. Die steht als "innere Einkehr" im neuen Buch der ev. Akademie Landau mit dem umwerfenden Titel "Protestanten ohne Protest". Da wird für 1932 bis 1945 (Jahre später war von Erleuchtung immer noch keine Spur) fürwahr Tacheles geschrieben. Gemessen an dem Inhalt sind viele Mitläufer-Ahnen wahre Waisenknaben.

Haben Sie Dank für Ihre schnelle, klare und selbst meine hochgesteckten Erwartungen übertreffende Antwort. Alt-68ern erfolgreich eine "innere Einkehr" verpasst zu haben muss auf Seiten des Predigers ein inneres Missionsfest sein. Aber ein bisschen üben sollten Sie schon noch. Sonst erschließt sich nicht unmittelbar, warum die Initiatoren von Reformation, Energiewende und Brexit nicht wussten, was herauskommt. Genauer mit den Worten eines Herrn Bundeskanzlers formuliert: Was hinten heraus kommt.
Ich werde Sie auf jeden Fall vorschlagen als ersten Träger der noch zu schaffenden Hilarius-von-Freudenberg-Medaille. Wenn Ihnen oder manchem Leser der Name nichts sagt: Bürgerlich hieß er Johann Ulrich Megerle, besser bekannt ist er als Abraham a Sancta Clara. 50 Jahre in unverbrüchlicher Treue fest im Anti-68er-Kampf gehören auf jeden Fall anständig gewürdigt!
Beste Grüße!
Sepp Stramm

Antwort auf von Sepp Stramm (nicht registriert)

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Besser und strammer hätte auch der "selige?" IWAN nicht antworten können. Man könnte glatt meinen, dass eine Personalunion besteht. Was solls, warum auch nicht. Bleibt nur noch die Frage, ob es sich um ein vergiftetes Lob handelt, oder es sich um einen veritablen Deutschkundler mit erzieherischen Ambitionen handelt, der seine eigenen Fantasien kaum noch zurückhalten kann. In Ermangelung einer weisen IT-Einsicht gehe ich mal vom Lob aus. Es könnte ja sein. Der Konjunktiv ist in der deutschen Sprache eh notleidend.

Ich verstehe nicht ganz. Von welchem seligen Iwan sprechen Sie? Ein Blick in den einschlägigen ökumenischen Heiligenkalender ergibt für Ivan 3 Treffer, die aber alle nicht hierher passen. Ich bitte um Aufklärung.
Angemessene indikative Grüße!
Sepp Stramm

Der, der alles weiß, also insbesondere alle Ivans kennt, sitzt im Himmel und irrt sich nie. Daran ist nichts kryptisch. Dieser Glaubensinhalt hat in der Tat zur Folge, dass die Zweibeiner ihr schnödes Zweibeinerwissen nicht zu wichtig nehmen dürfen, es im Grunde genommen überhaupt nicht brauchen.
Glaubensvolle Grüße!
Sepp Stramm

Antwort auf von Sepp Stramm (nicht registriert)

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Kein Wunder, dieses Mißverständnis. Es war auch nicht der Ivan, wer immer das sein mag, sondern der IWAN gemeint. Mit diesem Disput ist aber immer noch nicht das Problem der ausbeuterischen Pflege gelöst. Wenn es denn je gelöst werden kann. 1300 ? Doch wohl eher 130.000! Die Franzl-Firma soll kriminell sein, die hat man jetzt am Wickel. Und all die anderen, die illegal, halblegal und die vorgeblich legal hier Personen unter Bedingungen der Herkunftsländer beschäftigen, die wir für uns auf keinen Fall akzeptieren würden? 24 Stunden Dienstbereitschaft und Dienst sind keine Seltenheit, eher üblich. Das sind dann schon leicht ca. € 5.000 im Monat. Davon streicht die osteuropäische Vermittlungsfirma einen erheblichen Teil ein. Diese Abhängigkeits-Grauzone ist auch ein Problem. Ein weiteres Problem besteht darin, dass häufig das Personal aus aufenthaltsrechtlichen Gründen alle 3 Monate gewechselt werden muß. Dieses Problem der erwerbstätigen Pflege liesse sich ja noch mit Gesetzen regeln. Ganz anders hingegen die familiäre Pflege. Da gibt es keinen Schutz, keine gesetzliche Anerkennung. Allenfalls kann das Erbe zum Teil-Ausgleich der Mühen und Belastungen herangezogen werden. Aber wo nichts ist?

Antwort auf von O (nicht registriert)

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Wer der demokratisch verfassten Marktwirtschaft laufend die Meldung entnimmt, hier würden schwierige Probleme und Zwickmühlen der Lösung harren, will eben nichts wissen von den Zwecken, die diese Gesellschaft beherrschen. Wenn es die höchste Errungenschaft der Menschheit darstellt, das Leben als das erfolgreiche Abwickeln von Geschäften zu organisieren, dann braucht es nicht zu verwundern, dass die brutalen Folgen dieser Überzeugung auch und gerade im Umkreis von Pflegebdürftigen voll durchschlagen. Wer mit Begeisterung Feuer legt, es dann aber als Problem bezeichnet, dass es überall brennt, macht irgendwo einen Denkfehler.
Hans Schlicht

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Dazu hier das Urteil des OLG Frankfurt in Bezug auf eine große Vermittlungsagentur, welche ausschließlich selbstständige Betreuungskräfte aus Osteuropa vermittelt. Alle Betreuungskräfte wurden vom OLG Frankfurt als selbstständige Betreuungskräfte anerkannt. Auch von der Rentenversicherung! Gewusst wie! Aber auch eine selbstständige Betreuungskraft, welche sich privat Versicherung muss brauch mehr als 950 Euro im Monat! Chrismon ist leider nicht investigativer Jounalismus, sondern Klienteljournalismus. Traurig, dass hier nur schwarz oder weiss argumentiert wird ohne sich ein umfassendes Bild zu machen. http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lareda.html?&doc.id=KORE217682014%3Ajuris-r01&showdoccase=1&doc.part=L#docid:7115030

Guten Tag, Frau Meier,

das von Ihnen genannte Urteil ist mir selbstverständlich bekannt. So wie ich das verstehe, wurde von diesem Gericht nur die Beziehung Franchisegeber - Betreuungskräfte untersucht mit dem Ergebnis, dass der Franchisegeber in diesem Fall kein Arbeitgeber sei. Nicht untersucht wurde das Verhältnis Haushalte - Betreuungskräfte. Da scheint mir (und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit) sehr wohl ein Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis vorzuliegen. So wird es in dem im Text eingangs geschilderten Fall auch von der Staatsanwaltschaft gesehen.

Was meinen Sie eigentlich mit Klienteljournalismus? Also welches Klientel bediene ich als Journalistin Ihrem Eindruck nach?

Freundliche Grüße
Christine Holch/Redaktion chrismon

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