Brot und Wein vor Jesusbild
Lisa Rienermann
Die verwandelnde Kraft
Es ist eine Erinnerung an den, der sein Leben für seine Freunde gab. Und es ist mehr als das
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
26.01.2016

Wenn ihr Mann wieder auf Dienstreise ist, zieht die Frau nachts seinen Pyjama an; so fühlt sie sich ihm nahe. Bezieht der Student ein neues Zimmer, hängt er als Erstes die liebevoll gebastelte Marionette der Exfreundin auf; er kann sich nicht von ihr lösen. Das jährliche Sommerfest erinnert die jungen Leute an den Freund, den sie rund um die Uhr gepflegt haben, bis er starb; es hält den Freundeskreis zusammen. Kleidung, Erinnerungsstücke, Rituale können Nähe zu Menschen schaffen, die man schmerzlich vermisst.

Was ist das Abendmahl überhaupt und wozu dient es? Das klärt Pastor Henning Kiene im Gespräch mit Hans-Gerd Martens. Außerdem legt er dar, warum sich Katholiken und Protestanten hier unterscheiden.

„Der Herr, Jesus, in der Nacht, als er verraten wurde, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Dies tut zu meinem Gedächtnis“ (nach 1. Korinther 11,23–25). Das sagte Jesus am Abend, bevor er gekreuzigt wurde. Drei Tage später gehen zwei Jünger von Jerusalem nach Emmaus. Ein Fremder gesellt sich zu ihnen und kehrt später mit ihnen ein. „Und als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen.“ Als die Jünger merken, er ist der Auferstandene, entschwindet er vor ihren Augen (Lukas 24,13–35). Sie feiern das Mahl in seiner Gegenwart, er ist nur nicht mehr sichtbar noch greifbar für sie.

Das Abendmahl ist mehr als eine gemeinschaftlich gefeierte Erinnerung. „Brannte nicht unser Herz, als er mit uns auf dem Weg redete?“, sagen die Emmausjünger später. Jesus verwandelte Menschen mit seiner Gegenwart. Christen hoffen, dass diese verwandelnde Kraft auch im Abendmahl spürbar wird.

Als Jesus mit den Jüngern aß und trank, ahnte er seinen bevorstehenden Tod. Er deutete ihn als Opfergang: „Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinkt alle daraus; denn das ist mein Blut des Bundes, das für viele ver­gossen wird zur Vergebung der Sünden“ (hier nach Matthäus 26,26–28).

Wie genau Jesus sein Selbstopfer zur Vergebung der Sünden verstand, wissen wir nicht. Spätere Generationen deuteten es unterschiedlich. Der erste christliche Märtyrer Stephanus glaubte, Jesus, der ­leidende Gerechte, sei ihm in Tod und Auferstehung vorausgegangen. Stephanus setzte sich der Gewalt seiner Widersacher aus, ohne dass ihm eine Verwünschung seiner Mörder über die Lippen kam. Er hatte sich von Jesus verwandeln lassen.

Opfer für andere auf sich nehmen

Andere verstanden das Selbstopfer als stellvertretende Sühne: Jesus habe eine Strafe auf sich genommen, die er, Jesus, am allerwenigs­ten verdient hätte. „Ich, ich und meine Sünden, die sich wie Körnlein finden des Sandes an dem Meer, die haben dir erreget das Elend, das dich schläget, und deiner schweren Martern Heer“, dichtete der lutherische Pfarrer Paul Gerhardt 1647. Er erlebte im Abendmahl Vergebung.

Wofür sind die Engel da?

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Wieder andere sahen in der Ermordung dieses Unschuldigen eine Art Freikauf. Wie Jesus die Christenheit „durch sein Blut am Kreuze erlöst“ habe, so müsse auch jeder Mitchrist aus Gefangenschaft und Sklaverei erlöst werden. Bischof Cyprian von Karthago, der 258 nach Christus selbst als Glaubenszeuge starb, berichtete: Seine Gemeinde habe deshalb 100 000 Sesterzen gesammelt, um Gefangene freizukaufen.

Sein Selbst­opfer begründe einen „neuen Bund“ zwischen Gott und Mensch, sagte Jesus, als er den Wein reichte. Eine neue Gemeinschaft entstehe, wie sie der Prophet Jeremia (31,33) angekündigt hatte: von Menschen, denen Gottes Gebote ­„in ihr Herz“ gegeben und „in ihren Sinn“ ­geschrieben sind. Die Opfer für andere auf sich zu nehmen bereit sind.

Theologen im 12. Jahrhundert behaupteten, Brot und Wein würden unter den Worten „Das ist mein Leib, mein Blut“ zu Fleisch und Blut Christi – nicht äußerlich, wohl aber in der Substanz. Die katholische Kirche hält an dieser Vorstellung fest, auch wenn sie manchem den Zugang zum Abendmahl eher verbaut als erleichtert. Entscheidend ist, dass sich Menschen beim Abendmahl verwandeln lassen. Streit darüber, ob sich auch Brot und Wein verwandeln, sollte Christen nicht entzweien. Schon gar nicht sollte er sie hindern, das Abendmahl gemeinsam zu feiern. 

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Sehr geehrte Damen und Herren,

Als katholischer Leser wundere ich mich ab und an über antikatholische Spitzen in Ihrem Magazin, das dank EKD-Sponsoring auch mich als Abonnent einer großen deutschen Tageszeitung erreicht. So ist mir zuletzt die Glosse „Wozu das Abendmahl?“ von Burkhard Weitz zum Ärgernis geworden, deren letzter Abschnitt sowohl theologisch mangelhaft als auch bar jeder ökumenischen Sensibilität ist: Dort wird die Realpräsenz Jesu Christi in der Eucharistie als scholastische Behauptung abgetan, die nur noch von der katholischen Kirche vertreten würde und Menschen den Zugang zum Abendmahl erschwere. Hierbei handelt es sich aber nicht um katholisches Sondergut, sondern um eine Glaubensüberzeugung, die biblische Grundlagen hat, der Christenheit des Ersten Jahrtausends (freilich ohne Verwendung eines bestimmten philosophischen Erklärungsmodells) von höchster Wichtigkeit war und bis heute altorientalische, anglikanische, katholische, orthodoxe und auch nicht wenige lutherische Christinnen und Christen vereint. Und die im Übrigen auch Martin Luther so sehr am Herzen lag, dass an ihr 1529 die Einheit der reformatorischen Bewegung gescheitert ist (Marburger Religionsgespräch) – bis weit ins 20. Jahrhundert hinein und teils bis heute. Mit einer derart läppischen Behandlung eines wichtigen konfessionellen Konflikts ist der Überwindung der vom Autor beklagten Entzweiung der Christenheit ein Bärendienst getan.
Mit freundlichen Grüßen

Markus Lersch, Marbug

Sehr geehrter Herr Lersch, die Realpräsenz ist das Thema des ganzen Beitrags. Der Beitrag stellt sie nicht in Frage, er versucht sie dem Leser nahezubringen. Kritisiert wird im letzten Absatz die Verwandlungslehre (Transsubstantiationslehre). Niemand außerhalb der katholischen Kirche begründet die Gegenwart Christi in Brot und Wein mit einer den Aristoteles derart verdrehenden Theorie, weder Lutheraner, noch Anglikaner, noch Orthodoxe, noch Altorientalen. Doch nicht an der Theorie an sich nehme ich Anstoß; wer daran festhalten möchte, soll das gerne tun. Schlimm ist nur, dass diese Transsubstantiationslehre und die Lehre von der Realpräsenz in der katholischen Kirche derart ineins gesetzt werden, dass hier das eine nicht ohne das andere zu haben ist. Wer sich dieser Lehre widersetzt, auch wenn er von der realen Gegenwart Christi ausgeht, wird nicht selten unter den Verdacht gestellt, nicht würdig am Abendmahl teilnehmen zu können. Tut mir leid, aber dafür habe ich kein Verständnis. Freundliche Grüße von Burkhard Weitz

Antwort auf von Burkhard Weitz

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Burkhard Weitz schrieb am 10. Februar 2016 um 11 Uhr 06: "die Realpräsenz ist das Thema des ganzen Beitrags. Der Beitrag stellt sie nicht in Frage, er versucht sie dem Leser nahezubringen." Liebe Religionseinsteiger, um Christi Präsenz beim Abendmahl müsst Ihr Euch überhaupt keine Sorgen machen. "Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." So sprach es der Auferstandene in Matthäus 28,20. Da wird er sich ja wohl nicht gerade beim Abendmahl eine Auszeit von seiner Dauerpräsenz leisten. Und außerdem gilt: "Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." (Matthäus 28,20) Der Meister ist also auf jeden Fall schon so präsent, wie es nur geht, noch bevor irgendwelche Einsetzungsworte gesprochen werden und Wandlungen stattfinden oder auch nicht. Außerdem gehört es einfach zur Allgemeinbildung aller anständigen Menschen, zu wissen, dass der dreieine Gott, wie auch immer er Christus einschließen mag, sowieso ständig bei jedermann präsent ist. Ganz gleich, ob der Jedermann oder die Jederfrau das großartig findet oder sich genervt fühlt.
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Gottes Präsenz ist also mehrfach gegen Systemausfälle aller Art abgesichert. Wie die Wandlung von Brot und Wein in Christi Leib und Blut nun im einzelnen zu verstehen sei, ist selbstverständlich von höchstem Interesse, kann aber der Präsenz Christi nie etwas anhaben. Deswegen wird seine Präsenz ja zur Realpräsenz gesteigert. Das gelingt dem am Arbeitsplatz präsenten Malocher auch nicht. Der hat bei fehlender Präsenz ein Attest vorzulegen.

Antwort auf von Burkhard Weitz

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In meinem letzten Beitrag ist die Fundstelle des zweiten Bibelzitats falsch angegeben. Es muss heißen "Matthäus 18, 20" nicht "Matthäus 28, 20". Ich hoffe auf Christi Gnade für diesen Fehler.

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„Wozu das Abendmahl?“ fragen Sie im aktuellen Heft und versprechen hilfreiche Informationen in der Rubrik „Religion für Einsteiger“.

Tatsächlich verschweigt Ihr Artikel allen interessierten Lesern und Suchenden entscheidende Informationen und präsentiert andere Fakten in zumindest fragwürdiger Weise. Drei Beispiele sollen genügen:

An keiner Stelle wird erwähnt, dass es sich beim Abendmahl bzw. der Eucharistie in beiden Konfessionen um ein Sakrament handelt, mithin um ein zentrales Element des christlichen Gottesdienstes, in seiner Würde der Taufe gleich. Statt dessen entsteht der Eindruck, es handele sich um eine beliebig zu verstehende gemeinschaftliche Sitte, die Menschen irgendwie „verwandeln“ könne. Was darunter zu verstehen ist und wie diese „Verwandlung“ vonstatten gehen soll, bleibt völlig offen.

Erschreckend einseitig und latent polemisch bleibt der Verweis auf die Transsubstantiationslehre. Die reformatorischen Abendmahlsstreitigkeiten hingegen, die mit bitterem Ernst geführt wurden, werden nicht einmal erwähnt. Luthers Vorstellung von der Realpräsenz fällt völlig unter den Tisch. Das erweckt den Eindruck, als seien alle Dogmen, auch die der eigenen evangelischen Tradition, peinlich, störend, unzeitgemäß.

Schließlich; Die Bemerkung, dass die katholische Kirche mit dem Festhalten an ihrem Verständnis der Eucharistie „manchem den Zugang zum Abendmahl eher verbaut als erleichtert“ folgt einem dubiosen Maßstab. Populismus und das leichtfertige Verwischen von Unterschieden können kein Weg in eine verantwortete Ökumene sein. Nicht alles, was Anstrengung vermeidet, auch im Verstehen, ist deshalb schon richtig.

Kurzum: Das alles ist keine um wirkliches Verständnis bemühte Aufklärung; es ist bestenfalls weichgespülter Indifferentismus, der sich am Zeitgeist und nicht an der Tradition orientiert: Religion für Aussteiger.

Sabine Doering, Oldenburg

Ja, wozu was? Der Beitrag offenbart zwischen Allen und in Allen die totale Verwirrung. Wer will im Ernst hoffen, dass man mit diesem Wust an Argumentationen und an gegenteiligen und verwirrenden Ansichten auch nur einen zweifelnden Gläubigen ins Reich einer Kirche zurückholen kann? So gerät dann auch die Mission, die Überzeugung der "Heiden" von christlichen Werten, in das Reich der Illusion.

Leo Aul schrieb am 3. Februar 2016 um 17 Uhr 43: "So gerät dann auch die Mission, die Überzeugung der "Heiden" von christlichen Werten, in das Reich der Illusion." Dann legen Sie doch mal los, lieber Herr Aul, mit der gelungenen Predigt zum Abendmahl und der daraus resultierenden erfolgreichen Heidenmission! Als verstockter Heide stelle ich mich gerne als Versuchskaninchen zur Verfügung. Vielleicht wird Ihnen ein durchschlagender Erfolg beschieden sein?
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Dem vorliegenden Artikel entnehme ich: "Entscheidend ist, dass sich Menschen beim Abendmahl verwandeln lassen." Tja, die einen lassen sich vom Friseur eine neue Frisur verpassen, um sich verwandeln zu lassen. Anderen genügt das nicht, da muss schon der Schönheitschirurg her. Wem es nicht um schnöde Äußerlichkeiten zu tun ist, wird neugeborener Christ. Wer es nicht gleich so heftig und alles auf einmal mag, geht eben zum Abendmahl. Regelmäßige Sakramentsempfänger (gute Katholiken wöchentlich!) sind dann also in der Endlosschleife einer Dauerverwandlung begriffen. Da kann ich nur viel Erfolg und Spaß bei wünschen!

Was will IWAN eigentlich? Eine Antwort um jeden Preis, auch wenn seine Logik nicht passt? L.A.: "So gerät dann auch die Mission, die Überzeugung der "Heiden" von christlichen Werten, in das Reich der lusion." IWAN: „Dann legen Sie doch mal los, ..mit der..Predigt. .und der Heidenmission!“. L.A. schreibt, dass so nichts werden kann und IWAN fordert ihn auf, mit ihm als selbst angebotenes Versuchskaninchen loszulegen! Da hat das Kaninchen wohl die Karotten verschmäht und ist für das Lesen blind geworden.

Ockenga schrieb am 8. Februar 2016 um 13 um 24: "Da hat das Kaninchen wohl die Karotten verschmäht" Achtung! Der Herr Weitz hat das Kaninchen immerhin mit einer Karotte zu füttern versucht. Seine Karotte lautet: Das Abendmahl ist eine gemeinschaftliche Erinnerungsveranstaltung mit dem wesentlichen Zusatz (beim Heizöl würde man von einem Additiv sprechen) einer verändernden Kraft. Was das Kaninchen von dieser Karotte hält, habe ich am 5. Februar 2016 um 20 Uhr 54 im zweiten Absatz angedeutet.
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Herr Aul hat dem Kaninchen leider noch keine Karotte in die Futterschale gelegt. Darauf hat das Kaninchen mit Betrübnis hingewiesen. Vielleicht haben Sie, lieber Herr Ockenga, einen heißen Draht zum Herrn Aul und können für Abhilfe sorgen?

Antwort auf von Iwan der Schre… (nicht registriert)

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Nee, vermutlich mault Aul. Außerdem, warum tummelt sich IWAN eigentlich noch in diesem Forum, wenn er sowieso nichts vom Glauben hält? Will er gar missionieren und alle in seiner Privat-Hölle schmoren lassen? Soll er sich doch aus allen Karotten eine eigene Torte backen.

Ockenga schrieb am 10. Februar 2016 um 15 Uhr 42: "Soll er sich doch aus allen Karotten eine eigene Torte backen." Danke für den kulinarischen Tipp! Ich befürchte allerdings, dass aus lauter unterschiedlichen, aber durch die Bank ungenießbaren Zutaten keine schmackhafte Torte wird. Auch nicht für Kaninchen.
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Zitat: "warum tummelt sich IWAN eigentlich noch in diesem Forum, wenn er sowieso nichts vom Glauben hält?" Das ist klarerweise Atheistentücke. Die trifft sich allerdings mit den Intentionen der Veranstalter. Die wollen mit dem chrismon-Forum doch gerade nicht ausschließlich die tausendste Auflage des Mainstream contra Fundi Hickhacks (auf katholisch: Reformer gegen Amtskirche) herausgeben, sondern sich als weltoffen darstellen. Da kommt ein Heide, der nicht auf dem Gottsuchetrip ist, vermutlich gerade recht.
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Auf die verhandelte Sache bezogen: Die berühmte Realpräsenz des Herrn im Abendmahl wird durch meine lausige wirkliche Präsenz in diesem Forum in keiner Weise gestört. Woran das bloß liegen mag?

Antwort auf von Leserbrief

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Frau Doering schreibt u.a.:

„Kurzum: Das alles ist keine um wirkliches Verständnis bemühte Aufklärung; es ist bestenfalls weichgespülter Indifferentismus, der sich am Zeitgeist und nicht an der Tradition orientiert: Religion für Aussteiger.“

Ja, da ist das Argument des „Zeitgeistes“ wieder aus der Kiste. Alle Christen, die dieses Argument benutzen, ist eine Eigenschaft eigen: Sie wehren sich gegen jegliche Art von Reformen in ihrer Kirche und lassen sie gegen die Wand fahren. Innerhalb der kath. Kirche gehen die Zahlen der Gottesdienstbesucher, der Sakramentenempfänger, der kath. Bestattungen, der Priester- und Ordensangehörigen, etc. ständig zurück – doch die Hard-Core-Christen verweigern kontinuierlich alle Versuche, die junge Generation wieder an das Christentum heranzuführen.

Papst Benedikt ließ kaum eine Gelegenheit aus, um gegen den Liberalismus, gegen die Diktatur des Relativismus und gegen den Zeitgeist in unzweideutiger Schärfe Stellung zu beziehen. Dass der Papst in diesen seinen Kreuzzügen von immer weniger Menschen als ernstzunehmender Gesprächspartner angesehen wurde, störte ihn nicht. Benedikt wies den „Relativismus in der Theologie“ entschieden zurück und proklamierte:

„Ein Glaube, den wir selbst festlegen können, ist überhaupt kein Glaube. Und keine Minderheit hat einen Grund, sich durch eine Mehrheit Glauben vorschreiben zu lassen. Der Glaube und seine Praxis kommen entweder vom Herrn her durch die Kirche und ihre sakramentalen Dienste zu uns, oder es gibt ihn gar nicht.“

Das ist überdeutlich und dazu ein klares Eigentor. Denn dann hat eine Minderheit vatikanischer Würdenträger auch nicht der Mehrheit der Gläubigen einen Glauben vorzuschreiben. Benedikt meinte jedoch nicht den persönlichen Glauben des Einzelnen, sondern die katholische Glaubenslehre, also das, was über Gott und die Welt gedacht werden darf oder soll. Aber wieso kommt das direkt vom Herrn durch die Kirche zu uns, wenn die Kirche zugleich die Gemeinschaft aller Gläubigen ist, die laut Benedikt nicht selbst – „wir (!) nicht festlegen können“, also Benedikt eingeschlossen – den Glauben festlegen kann?
Meine folgenden Ausführungen richten sich weitgehend an die katholische Seite des Christentums.

Frage an Frau Doering:

Wer hat sich eigentliche wem angepasst. Ein Blick zurück in die Geschichte kann bei der Beantwortung der Frage sehr hilfreich sein!

Waren es nicht die Vertreter der katholischen Kirche, die bereits im 4. Jahrhundert sich dem Zeitgeist – d. h. den Mächtigen und Herrschenden in Rom bzw. Konstantinopel – in die Arme geworfen haben? Das Toleranzedikt von Kaiser Galerius aus dem dem 311 und die Erklärung der kath. Religion zur Staatsreligion 380 unter Kaiser Theodosius sicherten der katholischen Kirchenhierarchie reichhaltige und sich ständig vermehrende Privilegien und Herrschafts- bzw. Machteroberungen – stets in jeweiliger Abhängigkeit von Kaisern und Königen.

War es nicht die katholische Kirche, die im Rahmen der Kreuzzüge den Namen Gottes missbraucht und zu blutigen Kreuzzügen aufgerufen hat? Johannes von Legnano (Jurist und Vertrauter verschiedener Päpste) verfasste um 1360 ein scholastisches Spezialwerk zum gerechten Krieg: De bello, de repressaliis, de duello. So wurden die Kreuzzüge zum Anstoß für interreligiöse Rechtsprinzipien und deren theoretische Erörterung.

War es nicht die katholische Kirche, die in Mittel- und Südamerika sich im 16. und 17. Jahrhundert den erobernden Spaniern und Portugiesen als willfährige Büttel zur Verfügung gestellt haben – und zu den unzähligen Verbrechen (bis hin zum Völkermord) weitgehend geschwiegen haben?

War es nicht die katholische Kirche, die in ihrer Kirchengeschichte sich immer wieder einer Liaison bzw. Kollaboration zwischen Thron und Altar bereitwillig zur Verfügung gestellt hat – nur um ihre Machtprivilegien zu erweitern und abzusichern – und zwar auf Kosten eines Verrats gegenüber der ursprünglichen Botschaft Jesu, so wie diese im Matthäus-Evangelium festgehalten ist? : „Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ (Mt 10, 42-45)

Die Herrschenden passten sich stets dem Zeitgeist an

Wer hat sich denn in der katholischen Kirche wem angepasst? Es waren doch nicht die Gläubigen, sondern die Herrschenden, die sich dem Zeitgeist angepasst haben! Mit Hilfe genau dieser Anpassungen an Vorstellungen von Macht und Herrschaft der Könige und Kaiser wurde es den Päpsten und Bischöfen der katholischen Kirche möglich – bis auf den heutigen Tag -, in Palästen und Schlössern (ausgestattet mit unzähligen Privilegien) ihre Herrschafts- und Regierungszentralen aufbauen zu können! Ohne eine solche Anpassung wäre der Glaube der Kirche eher aus den Vorgaben des Evangeliums abgeleitet worden statt aus der Begriffswelt der griechischen Philosophie, die das Christentum zu einer „Expertenreligion“ machte. Ohne eine von der Kirche vollzogene Anpassung hätten jesuanische Glaubensvorstellungen der Bergpredigt eine Chance gehabt, ins Glaubensbekenntnis der kath. Kirche aufgenommen zu werden – mit der Konsequenz, dass der Glaube Jesu an die bedingungs- und voraussetzunglose Liebe Gottes (befreiende Liebesbotschaft) nicht überlagert worden wäre von der Angst und Schrecken einflößenden Botschaft des Richtergottes (Drohbotschaft), dessen Stellvertreter der Papst ist und der an Stelle des Richtergottes der alleingültige Herr über Recht, Wahrheit und Glaube ist; natürlich immer unter der Prämisse, den kirchlichen Herrschafts- und Machtinstrumenten nicht nur eine absolute und nicht hinterfragbare Gültigkeit im kirchlichen, sondern auch im weltlichen Bereich zu verschaffen!

Mit der Hellenisierung des Christentums hat die vom Wanderprediger Jesus eingeleitete Bewegung der jungen Christen eine gar nicht hoch genug einzuschätzende Veränderung erfahren. Die Okkupierung der Jesusgestalt und seiner auf konkrete Lebensveränderung zielenden Botschaft vom Reich Gottes durch die der griechischen Philosophie entnommenen Instrumentarien führte immer stärker zu einem metaphysischen Überhöhung der Jesusgestalt. Aus der von Jesus immer wieder vorgelebten und von den Menschen seiner Zeit eingeforderten Einstellungsveränderung ihres Alltagslebens wurde ein philosophisches Lehrgebäude, das mit fortschreitender Zeit immer strenger und enger dogmatisiert wurde. Hatte Jesus den Menschen noch sagen können hinsichtlich ihres Lebensalltags : „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium.“ Mk 1,14 , so formulieren die ersten Konzilien philosophische Lehren: Es geht nicht mehr um konkrete Umkehr, sondern um den Glauben an die Gottessohnschaft Jesu, um die Unterscheidungen wie „Wesen“, „Natur“ und „Person“, um die Lehre von der Trinität, um den Glauben an Auferstehung und Himmelfahrt, um die Ausformulierung einer Sühneopfer-Theologie, um die Einführung einer Logos-Theologie des Johannesevangeliums, …

Es ging nicht mehr um Jesu Reich-Gottes-Botschaft

Besonders am Johannes-Evangelium wird deutlich, dass es dem Verfasser gar nicht mehr um die Verkündigung der Reich-Gottes-Botschaft durch den Wanderprediger von Nazareth geht, sondern ausschließlich um die christologische Überhöhung eben dieses Jesus mit Hilfe der Instrumentarien der griechischen Philosophie. „Die neutestamentlichen Aussagen der Präexistenz Jesu und entsprechend die Aussagen seiner Inkarnation sind im Zuge des Anliegens, die Singularität Jesu aufzuzeigen, auf Grund von zeitgeschichtlichen Faktoren im hellenistischen (juden- und heidenchristlichen) Raum entstanden. Im palästinensisch – judenchristlichen Raum sind Präexistenzaussagen zur Sicherung der Singularität Jesu weder notwendig noch nachweisbar. An ihrer Stelle ist der Begriff der Sendung zu beachten.“, stellt der 1998 verstorbene neutestamentliche Exeget Wilhelm Thüsing aus Münster fest.

Eine Änderung der Christen und breiter Kreise der Bevölkerung zur kath. Kirche wird es erst dann geben, wenn die Amtskirche endlich bereit ist, sich zu befreien von ihrem androzentrischen Klerikalismus, von ihrem exzessiven Juridismus (der CIC enthält 1752 Canones), von ihrer exzessiven Abscheu von auch nur kleinsten Partikeln, die sich in Verbindung bringen lassen mit Aufklärung, Demokratie und Gewaltenteilung, von ihrem Hang zu obsessiver Überwachung des „rechten“ Glaubens (der Weltkatechismus bringt es auf 2865 Glaubenssätze bzw. -artikel) von ihrem in der Vergangenheit immer wieder an römischen Caesaren sich messenden Triumphalismus und vor allem von ihrer unsäglichen und die Menschwürde mit Füßen tretenden Misogynie. Wer den Frauen den Zugang zu einem Weiheamt verwehrt, dokumentiert damit nicht nur das Ausmaß seiner Petrifizierung, seiner Weltabgewandtheit und Menschenfeindlichkeit, sondern auch das öffentliche Betonen eines nur auf Macht und Herrschaft ausgerichteten Androzentrismus.

Paul Haverkamp, Lingen

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