Ursula Ott, Chefredakteurin von chrismon
Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon
Foto: Katrin Binner
Komische Handarbeiten
Tim Wegner
21.10.2015

Ich kann stricken. Zu den drei Dingen, die alle Umzüge überstanden haben, gehört ein lila Norwegerpullover mit grünen Hirschen, nach Brigitte-Anleitung im zarten Alter von 15 gefertigt, „nur für geübte ­Strickerinnen“. Das mal vorweg. Aber als ich dieses Jahr auf der Frankfurter Buchmesse zu einem „Handmade-Tag“ eingeladen wurde, dachte ich: Och nee, Mädels. Buchmesse! Das ist doch da, wo sonst die bewährten Kulturtechniken Lesen und Schreiben gefeiert werden. Da wollen wir jetzt ernsthaft stricken und häkeln?

Natürlich schreiben auch Frauen große Bücher. Aber deprimierend ist es schon, wenn man in Halle 3 Richard David Precht erlebt, wie er seine „Geschichte der Philosophie“ in drei Bänden vorstellt. Und tags drauf die Jungschauspielerin Maja Celiné Probst in der Do-it-yourself-Arena „an der Häkelnadel“. Die mir bislang unbekannte Akteurin verrät in „Häkeln ­ladylike!“, am Filmset reihe sie bei langen Wartezeiten Masche an Masche. Tja. Man liest ja so viel. Dass 85 Prozent der Filme von Männern produziert werden. Kann es sein, dass Männer in Drehpausen am Set ebenfalls knüpfen – und zwar Netzwerke? Und dann Erfolg haben? Während Frauen häkeln. ­Und dass Männer dann so erfolgreich wie Til Schweiger sind und Flüchtlingsheime bauen können?

Was Liebe aushält

###drp|j24w805fimVgqsYSrt2WLxpA00082410|i-45||### Ein Mann verknallt sich mit Haut und Haaren, und nach einem Jahr fällt seine Freundin in eine schwere Depression. Eine Frau macht eine steile Karriere mit liebevoller Unterstützung ihres Mannes, und dann wirft er sich vor einen Zug. Das ist ja nicht zum Aushalten! Sieben Reportagen über Liebe und Leidenschaft, Trauer und Abschied. Von der preisgekrönten Autorin und chrismon-Chefredakteurin Ursula Ott. Zum chrismonshop.

In denen Frauen dann wieder handarbeiten. In meiner Helfer-Facebook-Gruppe gibt es nämlich jetzt auch „Stricken mit Flüchtlingen für Flüchtlinge“. Hauptsache, die Flüchtlingsfrauen fangen nicht auch noch an, ihre Blechcontainer zu ­umhäkeln. Die „Guerilla-Häklerin­nen“ verschandeln ja schon genug unschuldige Laternenpfähle und Straßenbäume und posten danach ihre Kunstwerke im Netz. 
Eine gewisse Daniela etwa zeigt das Foto ­einer Fähre, mit der sie von Portsmouth nach Guernsey geschippert ist. Und auf der sie „ein paar Blümchen um die Scheinwerfer“ ge­häkelt hat. Blümchen. Auf Scheinwerfer. Hilfe! Männer bauen Schiffe. Frauen be­häkeln Schiffslampen. So ist sie, die Geschichte der Geschlechter in zwei Sätzen. Bislang unver­öffentlicht.
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Liebe Fr Ott,
ich habe den Text gelesen und winde mich vor Fremdscham! :-(
Ich muss wohl meine Einstellung zu chrismon und zur ev. Kirche überdenken.
Wenn das Ihre Meinung ist, bitteschön. Aber warum so viel Häme und Boshaftigkeit? Was haben Ihnen die Handarbeiterinnen getan?
Und kann es wirklich sein, dass Sie über die Buchmesse gelaufen sind und all die großartigen Schriftstellerinnen übersehen haben, die wunderbare Literatur schreiben? Warum hatten Sie nur Augen für die Männer?

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guten tag frau ott,
nein, hass möchte ich ihnen aufgrund ihres beitrages freundlicher weise nicht unterstellen. dafür aber eine menge intoleranz, einen hang zur überheblichkeit ( „… im zarten alter von 15 gefertigt ...“) und noch mehr unüberlegtheit.
eigentlich könnte ich mich ja freuen, über das viele wasser nämlich, dass da eben über meine mühle stürzt, denn ich halte die kirche bereits per se für intolerant. ich kann es eben aber nicht, anhand der zu vielen von ihnen verprellten.
eben auch genau ihre institution sorgt doch immer wieder dafür frauen möglichst „klein“ zu halten und an herd und kinder zu ketten, dass wäre also schon mal der widerspruch in sich. sie unterstützen indirekt mit, dass frauen nicht zugetraut wird unternehmerisch tätig zu sein. also bitte ganz vorsichtig mit ihren geschlechtertrennungen und daraus resultierenden arbeitszuweisungen!
sind sie sich wirklich sicher, sich nicht in ihrer derzeitigen beruflichen tätigkeit geirrt zu haben? ich meine da so einen anflug von unzufriedenheit, wenn nicht sogar schon verbitterung zu spüren.
sie sollten so dankbar sein über die strickenden und häkelnden flüchtlinge. das kommt uns nämlich preiswerter als eine evtl. jahrelange psychologische behandlung. und geb’s gott und die kuh dass das handarbeiten da große hilfe leistet! fahrrad reparieren? eher nicht meditativ.

stellenweise war er trotzdem lustig, ihr artikel. da habe ich sehr gelacht. ausgerechnet til schweiger…. so erfolgreich .. nee … wie herrlich … . (ich glaube ja, falls, baut er nicht selbst, sondern lässt bauen – mit sponsoren und vielleicht sogar handwerkerinnen. und das kann ich auch – das „machen lassen“) … da wäre das ‚aufgeblasene werben‘ zu zitieren angebracht gewesen … (und nichts gegen ein neues flüchtlingsheim – gott bewahre!)
was ist denn nur daran deprimierend, wenn jeder tut was er am besten kann? die männer hauen immer kräftig auf den putz und die frauen häkeln (u.a. auch um sich von diesem wahn gesund zu meditieren) und andere wiederum schreiben seichte liebesgeschichten. alles ist gut.
nur ihr unterton in diesem beitrag, der ist es nicht! auch nicht lustig und noch nicht mal sarkastisch komisch. das nenne ich ein phänomen! und da kann ihnen auch der arme luther nicht helfen. und als endgültige ablage ist das nun mal gar nicht zu sehen. ansonsten habe ich in meiner ablage ihre institution als unnütz zu betrachten, selbst wenn ich den caritativen einsatz durchaus zu würdigen weiß.
einen besonnenen tag wünscht
ella aus leipzig

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Liebe Frau Ott, ein toller Artikel! Ich fühle mich so verstanden.... Das Problem mit der Gleichberechtigung (und übrigens irgendwie auch das mit dem Weltfrieden) perfekt auf den Punkt gebracht. Wie perfekt, lässt sich auch unschwer an den Reaktionen ablesen. Als wollte man einem Dreijährigen ein Lieblingsspielzeug wegnehmen. Nein, es geht nicht gegen das Stricken oder das Handarbeiten an sich (ja, ich kann das auch – stricken, nähen, häkeln – muss man wohl, weil ohne das, darf man hier offenbar gar nicht erst antreten, seine Meinung kund zu tun) Es geht um die Vergeudung von Zeit, Energie, Geld und Grips. Bestes Beispiel: Schalstricken 'zugunsten syrischer Flüchtlingskinder'. Ich staune, weshalb man eigentlich das viele Geld (45 Euro für einen Schal) nicht direkt und komplett spendet. Aber dann hätten weder Brigitte noch der Wollhersteller etwas davon. Brigitte hat übrigens 2014 alle schreibenden Redakteure entlassen. Vorwiegend Frauen. Ob die es sich jetzt noch leisten können, für den Weltfrieden zu stricken? Ob man nicht mal etwas unternehmen sollte, wenn vor allem Frauen auf die Straße gesetzt werden, obwohl es dem Blatt doch sehr gut geht? Keine Ahnung! Wir sind ja gerade mit Strickmusterlesen beschäftigt....

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