­Jugendliche in einer ­Hamburger Vorbereitungs­klasse
Die ­Jugendlichen in dieser ­Hamburger Vorbereitungs­klasse haben das Zeug zum Studium – wenn sie durchhalten
Willing Holtz
„Jeder ist wie ein Buch“
Sagt die Lehrerin über ihre Klasse. 18 Flüchtlinge, sie haben Schweres erlebt. Jetzt sollen sie Abitur ­machen, und sie können das! Dann ersticht einer von ihnen einen Schüler in der Klasse nebenan
Hedwig Gafga, Autorin
02.06.2015

Beim Hereinkommen schütteln sie ihren Banknachbarn so herzlich die Hand, als hätten sie sich ewig nicht gesehen. „Guten Morgen!“, ruft die Lehrerin, und ihr Blick streift jeden Einzelnen. Jugendliche aus den derzeit bekanntesten Krisenländern der Erde, drei Mädchen, elf Jungs – vier fehlen heute. „Zieht eure Jacken aus“, sagt die Lehrerin. „Zu kalt“, sagen sie. „Es ist warm“, stellt die Lehrerin fest. Schließlich hängen sie die Jacken über ihre Stuhllehne. Sie haben Besuch, eine Journalistin ist da. Sie will die Jugendlichen kennenlernen und sagt, dass sie nach ein paar Wochen wiederkommt, um zu sehen, was aus ­ihnen geworden ist und wer noch da ist. „Wir werden bleiben!“, ruft Tariq energisch.

Ich möchte aus einer Schule erzählen, von einer Vorbereitungsklasse, einer von vieren, die es hier an der Nelson-Mandela-Schule in Hamburg-Wilhelmsburg gibt. Junge Flüchtlinge, die ohne Eltern nach Deutschland gekommen sind und denen man zutraut, dass sie sich relativ schnell zurechtfinden bei uns, dass sie einen guten Schulabschluss machen und vielleicht eines ­Tages studieren werden oder eine Ausbildung machen. Geschichten vom Gelingen statt vom Flüchtlingselend.

Tariq gehört zu denen, die mit ihrer Familie als Kinder aus ­Afghanistan in den Iran geflohen sind und die nun als Jugendliche weiter nach Europa fliehen. Acht afghanische Jugendliche sind in der Klasse, nur zwei kommen direkt aus Afghanistan, sechs aus dem iranischen Exil.

"Mit meinem neuen Pass überallhin reisen – außer nach Syrien"

„Wir Afghanen waren im Iran immer die Letzten. Nicht einmal eine SIM-Karte konnten wir uns kaufen. Das musste ein ­Iraner für uns machen“, sagt Tariq. Farid und Said, beide mit dem in der Klasse angesagten Haarschnitt, seitlich raspelkurz, in der Mitte aufgetürmt, unterstreichen das: „Stellen Sie sich das vor: Nicht einmal eine SIM-Karte.“ Als die Reaktion verhalten ausfällt, sagt Said: „Wir bekamen keinen Pass, keine offizielle Arbeitserlaubnis, keine höhere Schulbildung, dafür hätte man zahlen müssen.“ Und wenn ein Iraner einem Afghanen etwas antue, bleibe das ungestraft.

Die Klassenlehrerin Frau Ebrahimi erklärt mir: „Jeder ist wie ein Buch.“ Sie meint: Jeder hat eine Geschichte mit tiefen Einschnitten hinter sich, hat religiösen Fanatismus erlebt, Krieg, wirtschaftliche Not, Flucht. Gleichzeitig gehen die Schüler mit großen Hoffnungen in die Klasse, die sie für den Übergang in eine „richtige“ Klasse fit machen soll. Sie wollen etwas erreichen und irgendwann ein normales Leben führen. Diese Schüler können es schaffen. Für einen ist der Traum vorbei.

Vorbereitungsklassen

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Wie an der Nelson-Mandela-Schule, einer Hamburger Stadtteilschule mit gymnasialer Oberstufe, gibt es Vorbereitungsklassen an zahlreichen Schulen in jedem Bundesland. Sie sollen Schülern und Schülerinnen mit geringen Deutschkenntnissen einen späte­ren Wechsel in eine Regelklasse und einen Schulabschluss ermöglichen. Der Unterricht findet jahrgangs- übergreifend statt, meist in den Jahrgängen 3 bis 10, bereitet auf den mittleren Abschluss oder sogar das Abitur vor. In vielen Orten steigt der Bedarf an diesem Unterricht. Die meisten Schüler bleiben ein oder zwei Jahre in der Vorbereitungs­klasse, einige von ihnen auch länger. Die Bildungspläne unterscheiden sich je nach Bundesland, die Unterrichtspläne teilweise ­sogar von Schule zu Schule. Vorbereitungsklassen firmieren auch als Alphabetisierungsklassen („Alpha-Klassen“, „Abc-Klassen“) oder als Auffangklassen.

  Die Lehrerin fordert zu einem Kennenlernspiel auf. „Ich bin Farid“, sagt Farid und deutet mit dem Zeigefinger auf sich. „Hallo, Farid“, rufen die anderen und machen unter Gelächter die Geste nach – am muntersten die Gruppe der afghanischen Männer. Nach und nach treten auch die anderen deutlicher hervor. In der Querreihe: der 16-jährige Oumar aus Guinea, Malik aus dem Iran, der durch ein riesiges, vor seiner Brust baumelndes Kreuz auffällt, der stille Duc aus Vietnam, der kürzlich zu seiner mit einem Deutschen verheirateten Mutter ziehen durfte, und Asad aus Somalia, der durch seine kerzengerade Haltung und seine ausgesuchte Eleganz auffällt. Er floh aus seiner Heimatstadt, als islamistische Gruppen die Macht übernahmen und sein Vater in den Wirren spurlos verschwand.

Wie viele Nationen sitzen in der Klasse? So einfach lässt sich das nicht sagen. Wer war wo zu Hause, und wann ist er von dort weg? Im Klassenzimmer sitzen Arif und Samira, beide aus syrischen Familien stammend und in Südeuropa aufgewachsen, Arif im griechischen Teil Zyperns, Samira in Griechenland, beider Eltern zogen kürzlich wegen der Wirtschaftskrise auf ­der Suche nach Arbeit nach Deutschland. Melanie wuchs als Kind chinesischer Eltern in Italien auf, hielt es aber mit ihren strengen Regeln nicht mehr aus und zog zu Verwandten nach Hamburg. Rana ist Syrerin, sie floh aus ihrer von den Terrorgruppen des ­„Islamischen Staates“ besetzten Heimatstadt in die Türkei und weiter zu ihrer Familie nach Hamburg, wo der Vater als Arzt arbeitet.

Weil „Medien im Alltag“ gerade Unterrichtsthema sind, wollen die Schüler die Journalistin interviewen. Wie in einem Kreuzverhör feuern sie ihre Fragen ab: „Waren Sie schon einmal im Krieg?“, „Fühlten sich schon mal bedroht?“, „Wie denken Sie über IS?“, „Soll Deutschland gegen den IS kämpfen?“, „Könnte einer von uns Bundespräsident werden?“ Sie hören aufmerksam zu. Ganz hinten meldet sich Asad, der junge Somalier: „Ich möchte Journalist werden. Was muss ich tun?“ Er sammelt schon Er­fahrungen, er schreibt einen Internetblog über Somalia. „Kann man als Journalist Millionär werden?“, will Tariq wissen.

"Es ist dein Leben, du entscheidest, was passiert"

Pausengespräch über Pässe: Strahlend zeigt Karo, ein aus Syrien geflüchteter Kurde, seinen nagelneuen blauen Flüchtlingspass, und flachst: „Damit kann ich überallhin reisen – außer nach Syrien.“ Er ist Sohn eines Mathematikprofessors und fliegt am nächs­ten Tag in die Türkei, um Eltern und Geschwister zu treffen, die ebenfalls geflohen sind. Alle Hoffnungen seiner Familie ruhen jetzt auf dem 18-Jährigen, der Informatik studieren möchte. Arif dagegen verzweifelt an dem „Travel­document“, ausgestellt von zypriotischen Behörden, das in seiner Schultasche steckt. Seit Ende 2003 lebte seine syrische Familie auf Zypern. „Da bin ich aufgewachsen.“ Trotzdem schrieb die zypriotische Behörde in sein Reisedokument in der Rubrik Herkunft: „Belege fehlen.“ Sein Vater war als Gegner des Diktators Assad in Syrien im Gefängnis und durfte nicht mehr als Lehrer arbeiten. Auf Zypern erhielt die Familie Asyl, der Vater verdiente das Geld auf dem Bau, bis die Wirtschaftskrise kam und die Eltern nach Deutschland gingen, um Arbeit zu suchen. Die zypriotischen Behörden stellten ihnen keine Pässe aus; nun verlangen die deutschen Behörden, dass die Familie ins Aufnahmeland zurückkehrt.

Während die anderen nach draußen gehen, spricht Tariq leise einen Rap: „Es ist dein Leben, du entscheidest, was passiert / Es liegt nur an dir, ob dich jemand respektiert / Wenn du mal verlierst, ist es lange nicht vorbei / Es gehört dazu, du kannst nicht immer Sieger sein.“ Der Rap hilft Tariq Deutsch zu lernen, zum Beispiel mit einem Loblied auf das multikulturelle Hamburg: „Das sind Deutsche, das sind Türken, das sind Kurden, das ist Hamburg.“ Er hat angefangen, auf Deutsch zu reimen. Mit Rap lassen sich Angst und Ohnmacht austreiben, wie er sie als Kind kennengelernt hat – als die Polizei seinen Vater einfach mitgenommen hat. Der kehrte nie zurück. Von Deutschland hat Tariq ein positives Bild: „Hier gibt es Respekt für andere Leute. Wenn du Leistung bringst, kannst du es schaffen.“

Aber du kannst nicht immer Sieger sein, das haben diese Jugendlichen vielleicht schon öfter erfahren als die Erwachsenen, mit denen sie hier zu tun haben. Ob sie je alles erzählen, was sie erlebt haben? Ein Schüler aus Albanien fehlt, sein Bruder ist vor ein paar Tagen gestorben. Auch einer der afghanischen Schüler fehlt oft. Selten sind die Familien zu Hause noch vollständig. Nebenbei höre ich von Vätern, die verschollen, Müttern, die früh gestorben sind, Geschwistern, die bei einem Selbstmordattentat ums Leben gekommen sind.

Die Autorin

Hedwig Gafga war froh, als sie eine gute Woche nach der Bluttat an die Schule zurückkehren durfte. Ihr Eindruck: Die Jugendlichen und ihre Lehrer stehen das zusammen durch.

Wie ein eigenes Leben aufbauen? Einige haben einen Plan A, Träume, und einen Plan B, der realistisch erscheint. Oumar spielt in der A-Jugend eines Stadtteilvereins, Traumberuf: „Fußballprofi. Wenn es nicht klappt, Elektriker oder IT-Fachmann.“ Die junge Frau aus Syrien, die mit Stolz ihr Kopftuch trägt, will Ärztin werden, das nächste Berufspraktikum auf einer Krebsstation absolvieren und dann in Dubai studieren. „Finanzbeamter?“, sagt Farid fragend. Langsam, um Beamter zu werden, braucht man einen deutschen Pass. Walid ist skeptisch: „Wie lange muss ich zur Schule gehen, wie lange dauert ein Studium? Wann kann ich heiraten? Wann kann ich arbeiten?“ Seine Schlussfolgerung: „Nach dem Realschulabschluss mache ich eine Ausbildung. Vielleicht als Elektriker.“ Frau Ebrahimi erhebt Einspruch: „Du bist doch gut in der Schule, du schaffst das, das Abitur. Heiraten kannst du auch schon während des Studiums.“ Derzeit leben die meisten Jugendlichen in einer durch die Stadt finanzierten Jugendwohnung mit anderen. Wer über 18 ist, muss sich selbst um ein Zimmer kümmern.

Einer in der Runde ist schweigsam geblieben. Mal macht er im Unterricht mit, dann zieht er sich gestresst zurück. Die Lehrerin sagt, dass er Fortschritte gemacht habe, jetzt sogar andere unterstütze. Als 14-Jähriger war er aus dem Iran mit Schleusern über einen Gebirgspass in die Türkei gegangen. Grenzbewacher hätten geschossen. So geht es weiter. Von serbischen Polizisten festgenommen und geschlagen, ein italienisches Gefängnis, ein Camp in Rom. In Hamburg trat bei ihm erstmals ein Zittern auf, so stark, dass seine rechte Hand hin und her geflogen sei wie Papier im Sturm. Mit der Therapie in der Flüchtlingsambulanz und Medikamenten sei es besser geworden, sagt der Junge.

"Heimat hängt doch nicht vom Pass ab"

„Kann man ohne Handy leben, ja oder nein?“, fragt die Lehrerin. Frau Ebrahimi ist für die Schüler Res­pekts- und Vertrauensperson in einem, eine, mit der sie diskutieren, lachen und auch persönliche Fragen besprechen. Einige beantworten ihre Frage mit einem klaren Nein. Das Handy ist für sie die Verbindung zu ihren Familien, zu Freunden, mit denen sie auf der Flucht waren. Vor einer längeren Stillarbeitsphase sammelt Farid, der Klassensprecher, auf einem Tablett alle Handys ein, später bekommen sie sie zurück, klar.

Beim Thema Heimat melden sich viele zu Wort. „Wo du ge­boren bist, da ist deine Heimat“, positioniert sich Samira. „Meine Eltern kommen aus Syrien, aber ich bin in Griechenland geboren und aufgewachsen, ich bin Griechin.“ Walid widerspricht: „Ich habe afghanische Eltern, bin im Iran zur Schule gegangen und habe eine Zeit lang in der Türkei gelebt. In unserer Familie gibt es drei Pässe.“ „Heimat hängt doch nicht vom Pass ab“, kontert Samira. „Die Frage ist doch: Was sagt dein Herz? Wo gehörst du dazu?“– Farid sagt: „Für mich ist wichtig: Wo kann ich eine Familie gründen, arbeiten, Freunde haben?“

Die meisten in der Klasse leben noch im Ungewissen darüber, ob ihr Asylantrag anerkannt wird, ob aus einem Abschiebeschutz irgendwann das Bleiberecht wird – oder ob sie wieder wegmüssen, zurück, weiter, jedenfalls ins Unbekannte. Plötzlich sagt Farid: „Ich habe in Hamburg noch keine Deutschen getroffen. Ich meine, ich hab einen Portugiesen kennengelernt, auch Leute von anderswoher, aber wie kann ich Deutsche kennenlernen?“ Die Lehrerin und Mitschüler widersprechen, sie kennen doch den Schulleiter und einige Lehrer. Farid meint etwas anderes. Ihm fehlt ein tieferer Kontakt zu Deutschen, er würde gern deutsche Freunde finden. Die Lehrerin, selbst vor einem Vierteljahrhundert in Deutschland eingewandert, hofft, „dass Einheimische auf sie zugehen, ein oder zwei Stunden in der Woche mit einem jugendlichen Flüchtling reden“, und erzählt von Beispielen.

In der Klasse sind nur drei Mädchen, zwei von ihnen sind als Einwandererkinder in Europa geboren. Selbstbestimmte Frauen treffen hier auf junge Männer, die mit religiös geprägten, traditionellen Rollenbildern groß geworden sind und auf der Flucht vorwiegend unter Männern gelebt haben. Da stehen die Vor­stellungen, wie man leben soll, manchmal klar gegeneinander. ­Einen Freund zu haben, ist für Samira „selbstverständlich, ganz normal“. Solche Entscheidungen werden innerhalb ihrer Familie akzeptiert, einigen in der Klasse aber fällt das schwer. Sie erwarten, dass Eltern „gute Mädchen“ beim Ausgehen begleiten und bei der Partnerwahl mitreden.

Und plötzlich Gewalt

Auf Maliks Käppi ist die Freiheitsstatue gemalt, wieder baumelt das große Kreuz vor der Brust. Der iranische Schüler hat sich in Deutschland taufen lassen. „In dieser Schule fragt jeder: ,Warum machst du das?‘ Ich sage: ,Das interessiert mich.‘ Dann ist es okay.“

Das klingt einfach. Ankommen, mutig und tolerant sein, sich ein neues Leben aufbauen. Dahinter stehen Geschichten, die immer nur in Bruchstücken erzählt werden. Aber dann passiert ein neuer Ausbruch von Gewalt. Nur wenige Wochen, nachdem ich die Jugendlichen kennengelernt habe, an einem der Tage, an denen ich in der Schule bin, ersticht einer der afghanischen Schüler – der oft gefehlt hatte – einen afghanischen Schüler aus der Nachbarklasse mit einem Messer. Etliche Mitschüler haben alles mit angesehen. Es war wie eine Raserei, sagen sie. Die ganze Schule steht unter Schock. Viele bleiben bis zum Abend in der Schule. Ein Kriseninterventionsteam rückt an.

Die Fotographen

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Yannik Willing  und Paula Holtz konnten beim  Foto­grafieren ­ihre Kenntnisse in Potenzrechnung ­auffrischen – und in den Pausen persische ­Sprichwörter lernen.

Die Tat ist über die unbeteiligten Zeugen, Lehrer und Mitschüler, als etwas Unfassbares, das fern jeder Vorstellung lag, hereingebrochen. Auch in den Tagen danach gehen die Gespräche in den Klassen weiter. Täter und Opfer haben sich gut gekannt, sie schienen herumzualbern. Die Tat sei urplötzlich, wie aus dem Nichts heraus geschehen, heißt es. Die Schüler suchen nach einem Grund, aber sie finden keinen. In der darauffolgenden Woche bieten Klassenlehrerin und Fachlehrer neben Gesprächen wieder Unterricht an – der Versuch, Normalität zurückzugewinnen.

Tage später ein Gespräch. Sollen wir trotzdem von der Vorbereitungsklasse erzählen, von den Schülern, die einen langen Weg hinter sich und die sich viel vorgenommen haben? Ja! Lehrer und Klassen wollen kein Tabu über der Gewalttat errichten und vor allem, sie soll nicht das letzte Wort behalten.

Die Furcht vor der verlorenen Zeit

An dem Tag, als ich die Klasse wieder treffe, sind die Schüler in Aktion. Sie haben ein anderes Thema, sie sammeln in jeder unterrichtsfreien Minute Unterschriften dafür, dass ihr Mit­schüler Arif nicht zurück nach Zypern muss. In kurzer Zeit haben 300 Schüler, Eltern, Lehrer unterschrieben. Auf dem Schulhof dreht jemand für Youtube einen Film über den Protest. Es ist, als wolle die Klasse einen schützenden Ring um Arif bilden.

Farid, der besonnene Klassensprecher, sagt: „Wir verlieren unsere Hoffnung ein bisschen. Wenn so etwas mit uns passiert“, er meint Arif, „warum sollen wir lernen?“ Für den Augenblick überlagert sich beides: die Solidarität mit dem Mitschüler, der – trotz der Fragwürdigkeit der dortigen Passvergabe – nach Zypern zurückgeschickt werden soll, und das Erschrecken über die vor kurzem geschehene Gewalttat.

Farid sagt, das Verbrechen habe ihn schlimmer getroffen als die Selbstmordattentate in Kabul – weil er Täter und Opfer gekannt habe. Er will den Täter irgendwann aufsuchen und fragen: „Warum hast du das gemacht?“ Jetzt aber fragen sich die Jugendlichen, was aus ihnen selbst wird. Einige haben nur eine Aufenthaltsgestattung, die gilt, solange ihr Asylantrag läuft. Andere haben eine Duldung, die in mehrmonatlichen oder halbjährlichen Rhythmen verlängert wird. Farid will Gewissheit.

Werden die Jahre des Erwachsenwerdens für sie „eine verlorene Zeit“, wie Farid manchmal fürchtet, oder gibt es Signale, dass sie hier ein Leben als Gleichberechtigte führen können? Diese Fragen drängen sich ihnen jetzt, wo sie die eigene existenzielle Unsicherheit deutlich spüren, unmittelbar auf. „Hierbleiben, arbeiten dürfen, Rechte haben“, ist seine Hoffnung, und er will wissen: „Bis wann sollen wir warten?“

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Warum sagt eigentlich niemand diesen jungen Menschen, dass sie sich mit einem bestimmten Haarschnitt, einer spezifischen Kleidung, Tatoos selbst stigmatisieren? Kein Wunder, wenn Hadi noch keinen Deutschen getroffen hat, diesen Mensche gehe ich nämlich ganz bewußt aus dem WEg. Ich bin übrigens bereit, mich mit ihm zu treffen. Und wieso wissen diese jungen Menschen nicht, dass man in Deutschland kein Messer mit sich herum trägt? Wer es dennoch tut, gehört nicht hierher, ausnahmslos! Ich bin Mentor eines jungen Russen - es ist meine Aufgabe, ihm solche (verdeckten) Spielregeln zu vermitteln. Und erst wenn er sie beherrscht, öffne ich ihm die nächste Tür. Ende Juni wird er sein Abitur bestanden haben, derzeit suchen wir Wege, sein Studium zu finanzieren.

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Absolut verständlich, dass Arif und Samira ihr Glück in Deutschland versuchen. Hier ist es schön, angenehm und fast alle sind reich - verglichen mit Ihnen. Sie kommen nicht als Flüchtlinge, denn sie wurden bereits in Europa aufgenommen und leben sicher. Sie kommen hierher um ihr Glück zu machen. Einverstanden. Eure Wünsche habt Ihr gleich formuliert. Was ist denn Euer Beitrag, den Ihr für unsere Gesellschaft leisten wollt? Wer ist bei der freiwilligen Feuerwehr, Gerätewart im Sportverein? Willkommen sind die, die ihren Beitrag zur Allmende leisten. Ihr wollt Deutschen gleichberechtigt sein? Dann übt das untereinander. "Gute Mädchen" können in Deutschland - übrigens gibt es auch hier Grenzen, die dann aber auch für Jungens gelten - mit Freunden allein ausgehen.

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Sehr geehrte Frau Gafga, sehr geehrte Damen und Herren.

Macht hoch die Tür? So fragen Sie auf der Titelseite des letzten Chrismon und geben im Untertitel die heutzutage in moralischen Kreisen unvermeidbare Antwort „ja“.

Dazu ein paar Anmerkungen.

  1. Was ist moralisch? In der berühmten Stelle in Jesaja 58 Vers 7 lesen wir „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“ Brich dem Hungrigen DEIN Brot, und die ohne Obdach sind, führe ins Haus. Es ist ziemlich offensichtlich, dass damit das eigene Haus gemeint ist und nicht das Sozialamt, das es damals noch nicht gab. Wenn Sie die Obdachlosen in Ihr Haus führen und dem Hungrigen Ihr Brot brechen, dann müssen Sie selbst den Preis für Ihre Moral bezahlen. Es ist dann nämlich IHR Brot, dass sie abgeben und IHR Risiko, dass Sie eingehen, wenn Sie einen Unbekannten in Ihr Haus führen. Vielleicht hat der Läuse, wahrscheinlich stinkt er, und vielleicht ist er gefährlich, der Landstreicher. Sie kennen ihn ja nicht. In einer Talkshow oder in der Zeitung können Sie viele schöne Sachen schreiben von Vertrauen und so, aber wenn Sie selbst es tun, ohne dass eine Kamera dabei steht, dann ist es was anderes. Dann ist nämlich die Wahrheit, die Realität da. Und die ist anders als in der Zeitung, als in der Talkshow. Es hat in der Tat schon Leute gegeben, die von denen umgebracht wurden, die sie aufgenommen hatten. Eine Lehrerin in Bremen hatte mal jungen Roma Geigenunterricht gegeben und als die merkten, dass sie eine teure Stradivari besaß, töteten sie sie und nahmen die Stradivari an sich. Wenn dann also ein Unbekannter in Ihrer Wohnung Unterkunft sucht, dann schlägt das Gebot „Du sollst Deinen Nächsten lieben, wie Dich selbst“ voll durch. Dann nämlich müssen Sie abwägen zwischen Ihren Interessen und denen des Obdachlosen und dann werden Sie nicht nur den Obdachlosen sehen, sondern auch Ihre –völlig berechtigten- eigenen Interessen. Sie kennen den Obdachlosen ja gar nicht. Und dann werden Sie ihn vielleicht doch lieber wegschicken, statt ihn bei sich aufzunehmen, und ich persönlich würde Ihnen das gar nicht übelnehmen und es ginge mich auch gar nichts an. Es ist Ihre Entscheidung, Ihre Wohnung und Ihr Risiko. Genauso lassen Sie aber bitte dieses Land mit Ihrer Moral in Ruhe. Es ist nicht moralisch, von anderen gute Taten zu verlangen, und diese anderen den Preis und das Risiko bezahlen zu lassen.
  2. Es ist nämlich gar nicht so einfach, Flüchtlinge aus muslimischen Ländern zu integrieren. Ich habe selber einen afghanischen jungen Mann in meiner Wohnung wohnen lassen, am Anfang wohnte ich selbst auch noch dort (ich hatte noch ein Zimmer frei), inzwischen bin ich aus beruflichen Gründen umgezogen und habe ihm das eine Zimmer vermietet. Er hatte sich in unserer Kirche taufen lassen, ist nicht zuletzt daher  hat er auch Asyl erhalten, aber inzwischen lässt er sich kaum noch dort blicken. Seine iranischen Bekannten aus unserer Gemeinde sagen, er hätte sich verändert und wollen mit ihm nichts mehr zu tun haben. Er hat eine iranische Freundin (mit Kopftuch) und noch immer viele muslimische Freunde. Es ist nicht christlich, sich hier etwas vorzumachen. Viele Einwanderer sind junge Leute auf der Suche nach Glück und Erfolg. Das kann man verstehen, aber man muss auch das Risiko für uns und unsere Kinder und Enkel sehen. Demographie ist kein Kinderspiel. 1950 waren noch 30% aller Jordanier Christen, heute sind es noch 9%. Es wäre absolut unrealistisch und naiv zu glauben, dass die Konflikte, die der Islam mit sich bringt, vor der Haustür Europas abgegeben werden und Sie sehen an Charlie Hebdo und den Verfassungsschutzberichten, was da auf uns zu kommt. Das zu beschönigen im Namen der Moral ist nicht naiv, sondern verantwortungslos. Das Argument, das man den Rechten nicht in die Hände spielen will, kann nicht dafür herhalten, die Wahrheit unter den Teppich zu kehren und nachfolgenden Generationen wider besseres Wissen den Libanon zu hinterlassen. Je naiver Sie da vorgehen, umso mehr spielen Sie den Rechten gerade erst recht in die Hände. Hier fehlt genau das, was ich oben unter Punkt 1 erwähnte, dass man seine eigenen Interessen nicht gegen die Interessen des Anderen abwägt. Warum trauen Sie sich z.B. nicht, anzuregen, dass man nur christliche Flüchtlinge aufnimmt? Und warum flüchten Muslime nicht an den persischen Golf in die Öl-Emirate? Da gibt es auch jede Menge Arbeit und Zuwanderer in Menge.

Hochachtungsvoll
Niels Steppan
Dortmund

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Ja, Hadi, Yasser, Valentina werden es schaffen.

Jussuf, Ali, Baschir – und sie sind 80% - werden es nicht schaffen. Ihre Mentalität (Tradition, Gewohnheiten, Denk- und Fühlweisen) ist – noch – nicht europäisierbar Vielleicht in the long run. Optimismus ist gut, Euphorie ist schlecht. So einfach ist das. Heilige Nüchternheit ist die Forderung des Tages.

Dr. Erwin Leibfried, Fernwald

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Sehr geehrte Damen und Herren,

die Berichte auf Seite 12-18 habe ich  schönfärberisch empfunden.Wo steht es geschrieben,daß man  den Wünschen dieser Menschen nachkommen muß.Für die Verhältnisse in  deren jeweiligen Ländern sind nur alleine die Menschen dort verantwortlich.Fremde Mächte sind  weder in Afganistan,Syrien oder Erythrea  beteiligt.Der universale Anspruch  der Kirche berechtigt nicht die partikulären  Interessen der Ortsansässigen zu ignorieren.Das scheinen Sie  zu vergessen.

Dr.med.Karl Borde

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Sehr geehrte Frau Gafga, sehr geehrte Frau Burfeind und Fallet,

bei allen (!) Berichten über das Elend der Flüchtlinge die uns in Europa erreichen, vermisse ich einen auch nur kurzen Hinweis, dass die christlichen Industrienationen unter Führung der USA sich Ursache und Schuld daran vorwerfen lassen müssen.

Ich erwähne nur in Stichworten:

Beginnend mit dem während langer 100 Jahre begangenen Völkermord an den Indianern Nordamerikas zieht sich eine blutige Spur unserer christlichen Brüder und Schwestern mit dem überaus blutigen Kolonialkrieg der USA auf den Philippinen, Bombenterror gegen Zivilbevölkerung im 2. Weltkrieg bis hin zu atomarer Verbrennung ganzer Städte, mit Lüge provozierte Kriege in Vietnam, Laos, Jugoslawien, Irak, Zerstörung Afghanistans, Inscenierung von Bürgerkriegen in Somalia, Sudan, Libyen, Syrien.

Entmachtung Mossadeghs in Iran, Allendes in Chile mit Bestechung und Intrige.......mir fehlen die Worte!

Am Ende eines jeden Berichtes über Flüchtlinge muss der Satz stehen:

"Im Übrigen war es die Menschen verachtende Politik der christlichen Industrienationen unter Führung der USA, mit der die Heimatländer der Flüchtlinge in Chaos, Not und Elend gestürzt wurden"

Friedemann Ungerer

Bezugnehmend auf Herrn Friedemann Ungerer:

Dieser ist wohl einer der diversen USA-Hasser in Deutschland. Nicht die USA und christlichen Industrienationen sind primär Schuld an den Flüchtlingszahlen und an dem Chaos, Not und Elend in den Heimatländern, wie er schreibt. Es sind einzig und allein die eigenen politischen Führungen in diesen Ländern. Und dies seit Jahrzehnten, mit jeweils wechselnden Diktatoren und sogenannten Regierungen. Ihnen ist das Elend ihrer eigenen Bevölkerung, die Infrastruktur und Versorgung in ihren Ländern, vollkommen gleichgültig. Nun kommen die furchtbaren religiösen Fanatiker in diesen Regionen dazu. Dieser Satz muß am Ende eines Berichts über Flüchtlinge stehen und nicht sein polemisch und auch noch geschichtlich falscher. Kennt der Herr die Geschichte nicht und verfolgt eigentlich nicht die heutigen Nachrichten?

Ich habe viele Jahre in diesen Ländern verbracht und kann es bestens beurteilen. Deshalb fliehen die Menschen. Nur, unsere deutsche Gutmenschenattitüde, die sich stets an den USA reibt (nie an anderen Nationen, die sehr viel Übel aufweisen), will dies nicht wahrhaben.

Deutschland und Japan haben den Zweiten Weltkrieg begonnen, nicht die USA. Auch nicht den Ersten Weltkrieg. Ebenfalls unzählige Bombardierungen und Terrorakte mit Millionen Toten in Europa und den asiatischen Ländern gehen auf das Konto Deutschlands, Japans. Müßte dem Herrn bekannt sein. Die USA und damals verbündeten Länder haben im Ersten und Zweiten Weltkrieg mit hohen eigenen Verlusten Europa und Deutschland befreit. Sie haben endlich Demokratie nach Deutschland gebracht.

"Kolonialkriege" mit den dann geschaffenen Kolonien haben die europäischen Länder in Afrika, Asien, Mittelost, Mittel- und Südamerika, etc.bereits vor Jahrhunderten mit Brutalität begonen und geführt. Die USA dagegen zu nennen, ist einfach lächerlich.

So einfach lassen sich Geschichte und Fakten ja nun nicht verdrehen.

Wolfgang Sammel
Wipperfürth

Wo muss was stehen?

Zitat: "Am Ende eines jeden Berichtes über Flüchtlinge muss der Satz stehen..."!.: Es muß da stehen, dass es immer die unbelehrbaren Moralisten, die Utopisten und auch die zu gerne fehlgeleiteten Idealisten sind, die unfähig sind, sich von ihren Utopien, Phantasien und Visionen zu trennen.

Aber vor den USA war doch noch etwas? Gab es da nicht noch die viel verheerenderen Kolonialisten, Kommunisten, Sozialisten, Visionisten und die Linken, die bis heute weltweit für diesen Gutemenschenterror verantwortlich sind?

Wir brauchen gar nicht die USA zu bemühen. Europa tat es und tuts auch. Und noch schlimmer als die politischen Utopisten haben ununterbrochen seit 15Hundert Jahren die religiösen Weihrauchkämpfer gewütet, die ja erst für das geistliche und geistige Rüstzeug verantwortlich waren. Auf die USA als angeblich Alleinschuldige zu zu bestehen, dass ist zu durchsichtig und links. Letzlich sind auch die christlichen Sektierer keinen Deut besser als der IS. Der hat nur mehr Mut. Hätten die "Zeugen" und die Evangelikalen den Rückhalt, die Mehrheit (51%) und die technischen Mitteln, wären alle Minderheiten hoffnungslos verloren.

Das sollte auch am Anfang und Ende jeder Schulddebatte stehen.

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