Foto: Rafael Kroetz
"Nicht verdrängen, dass die Welt grausam ist!"
Jesus ist am Kreuz gestorben, einen schrecklichen Tod. Das Zeichen erscheint bis heute mit Bedeutung ­aufgeladen. Aber mit welcher? Es birgt ein Geheimnis – nicht nur für gläubige Christen. Dazu Christoph Markschies, ­Kirchenhistoriker in Berlin, Mitautor des neuen EKD-­Papiers „Für uns gestorben“.
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
24.03.2015

chrismon: Herr Professor Markschies, warum musste Jesus von Nazareth auf so fürchterliche Weise sterben?

Christoph Markschies: Wenn ich es historisch be­antworte: Er musste sterben, weil er die Priester­aristokratie am Jerusalemer Tempel in unerträglicher Weise herausgefordert hatte: Indem er die Händler und Geldwechsler hinauswarf, hat er den Tempel als höchste religiöse Autorität des Landes und seine Opfer­praxis infrage gestellt. Ein Frontalangriff auf das religiöse Establishment, dafür wurde er zum Tode verurteilt.

Für Christen gilt der Tod Jesu nicht als Scheitern, sondern als Schritt in eine positive Zukunft. Wieso?

Weil Gott dieser schrecklichen Form der Tötung nicht ausweicht. Er stellt sich vielmehr auf die Seite dessen, dem diese ganze Brutalität widerfährt, ja mehr: Wie der Philosoph Hegel formuliert hat: „Gott selbst stirbt am Kreuz“. Gott identifiziert sich radikal mit dieser Person in dieser kläglichen, aussichtslosen Lage. Er sucht sich keinen Helden, um sich dieser Welt mitzuteilen. Der Tod, in den sich Jesus von Nazareth fügt, ist damit eine Absage an jede Form der Lieblosigkeit, an die über­steigerte Ichbezogenheit des Menschen, an den Missbrauch anderer für eigene Zwecke.

Ist das nicht merkwürdig, dass ein Folterinstrument und nicht etwa ein Siegeszeichen als Symbol einer Religion dient?

Nein, das Kreuz zeigt besser als jedes andere Symbol die Lebensnähe, den Realismus dieser Religion. Das Christentum verdrängt nicht, dass die Welt grausam ist. Und es deutet ein Hinrichtungsinstrument um zu einem Lebenszeichen. Schon die ersten Kreuzesdar­stellungen, zum Beispiel an der Tür der römischen ­Kirche Santa Sabina, zeigen das alte Hinrichtungs­instrument als Heilszeichen. Es waren letztlich die Christen, die die Exekution am Kreuz abschafften, auch wenn es dafür ungefähr 300 Jahre brauchte. Durch ­seinen Realismus trug das Christentum zur Humanisierung der antiken Welt bei.

Haben Sie eine theologische Umschreibung für ­die Aussage: „Gott ist für uns gestorben“?

Ich umschreibe das so: Gott liebt uns Menschen so sehr, dass er das, was uns am meisten von ihm trennt, nämlich den Tod, nicht zwischen sich und uns stehen lassen will, sondern uns für alle Ewigkeit in seine Gemeinschaft einlädt.

Wollte Gott, dass sein Sohn stirbt?

Ich glaube nicht. Aber Gott hat sich von dem Menschen, der diesen schrecklichen Tod, den andere Menschen ihm zufügten, erlitt, auch nicht distanziert. Er hat, so widersprüchlich es auch erscheint, durch diesen Tod das menschliche Leben als letztlich un­zerstörbar erwiesen. So wurde das Kreuz im Licht der Auferstehung Jesu zu einem Symbol der Menschen­liebe, nicht des Untergangs.

Wenn Gott seinen Sohn nicht geopfert hat – hat sich dann Jesus selbst geopfert?

So könnte man es sagen. Jesus von Nazareth hat einen Gedanken aus dem Buch des Propheten Jesaja im Alten Testament übernommen: Der Tod des einen schafft die Sünden der vielen weg. Damals wurde Schuld für etwas Gegenständliches gehalten, gleichsam eine bewegliche Last, die man regelrecht aus der Welt schaffen kann. Das ist für uns heute relativ schwer zu verstehen. Wir können uns kaum vorstellen, dass Schuld etwas so materiell Konkretes ist.

Ist es den Menschen überhaupt recht, wenn ein anderer sein Leben für sie verliert?

Denken Sie an die Diktatur des Nationalsozialismus: Ein Mensch geht in die Gaskammer, um einen anderen retten. Es gab manche Beispiele in dieser Zeit, und es gibt sie natürlich auch zu anderen Zeiten. Wir sollten nicht von unserer friedlichen Luxussituation heute hierzulande ausgehen. In Syrien oder in der Ukraine sieht das ganz anders aus.

Kann jemand anderes überhaupt meine Schuld tragen?

Ja, das geschieht auch heute. Fahren Sie als Deutscher in Länder, die in der Zeit des Nationalsozialismus von Deutschen besetzt und schlimm verheert worden sind. Da merken Sie bald, was es heißt, dass Sie etwas für andere tragen. Das ist keine mythologische Vorstellung aus grauer Vorzeit.

Ist auch das Verbrechen von Auschwitz durch den Kreuzestod Jesu geheilt?

Wie sich Gott zu den Tätern von Auschwitz stellt, das wird er uns dereinst schon selbst sagen. Es wäre sehr problematisch, wenn wir Theologen dies Gott vorwegnähmen.

Storify "Irgendwie heilig"

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Mehr Texte, Bilder und ein Video zum Geheimnis "Kreuz" finden Sie in unserem Storify "Irgendwie heilig"

Aber eine Rebellion ist die Kreuzigung Jesu gerade nicht?

In gewisser Weise doch. Nicht als politische Rebellion, sondern in einem anderen Sinn, etwa: Vertraut nicht auf die gewaltsame Durchsetzung eurer Interessen! Und: Es gibt Situationen, in denen man sich nur noch Gott überlassen kann. Die Kreuzigung war in der Antike die schrecklichste Form des Todes, das Opfer erstickte langsam und qualvoll. Ein Gehenkter galt als von Gott verflucht. Damit war er zugleich aus den Annalen der Lebenden gestrichen.  

Warum äußert sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) jetzt mit einer Schrift zum ­Thema Kreuz? Ist nicht schon alles gesagt?

Eine solche Schrift war notwendig, weil viele Menschen Schwierigkeiten mit der Kreuzestheologie haben. Mithilfe dieses Textes können hoffentlich einige von ihnen verstehen, was mit dem Kreuz eigentlich gemeint ist.

Kreuze baumeln am Hals von Popstars, sie werden zu Tattoos, auch Künstler befassen sich mit diesem Symbol. Wie erklären Sie sich die Kraft dieses ­Symbols weit über den Glaubensbereich hinaus?

Weil Menschen etwas von dem Geheimnis ahnen, das sich hinter der Kreuzigung dieses einen Menschen vor den Toren Jerusalems verbirgt.

Hätten Sie lieber ein anderes Symbol für das Chris­tentum als das Kreuz?

Nein, so realistisch, so stark kann kaum ein anderes religiöses Symbol sein. Im Gegensatz zu anderen Religionen der Antike stehen im Christentum nicht nur die Sonn- und Feiertage des Lebens im Vordergrund, vielmehr gehört auch der Alltag mit seinen Tiefen und seiner Brutalität dazu. Er wird in die Kirche mit hineingenommen, und damit sind zugleich auch Strategien seiner Bewältigung angeboten.

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Sehr geehrter Herr Knop, da stellen Sie ein für mich eine ganz wichtige Frage:
Ist es den Menschen überhaupt recht, wenn ein anderer für sie stirbt?
Und Sie lassen, es dabei bewenden, dass Herr Markschies überhaupt nicht auf die Frage eingeht .
Vielleicht stellen Sie diese Frage noch einmal: Will ich - eine sehr distanzierte Christin - , dass Gott seinen Sohn oder auch sich selbst opfert , damit ich gerettet werde?
Ich habe noch nie eine Anwort auf diese Frage aus christlicher Sicht bekommen. Überspitzt, ich will es nicht und will auch dafür nicht dankbar sein.
 
Freundliche Grüße
Hella Kuhlmann

Hella Kuhlmann (Leserbrief) schrieb am 2. Mai 2015 um 10:28: "Will ich - eine sehr distanzierte Christin - , dass Gott seinen Sohn oder auch sich selbst opfert , damit ich gerettet werde? Ich habe noch nie eine Anwort auf diese Frage aus christlicher Sicht bekommen." Sie möchten wissen, wie mit unverlangt zugesandter Erlösung per Kreuzestod verfahren werden soll? Schickt Ihnen eine Kosmetikfirma unverlangt Gesichtswasser zu, dann brauchen Sie das weder zu bezahlen noch aufzuheben. Sie können es weiterverschenken, ins Klo schütten, selber anwenden, ganz wie Sie wollen. Sie werden zwar nie Eigentümer des Gesichtswassers, können aber nach Belieben damit verfahren. Soweit die Rechtslage. Anders wäre es, wenn die Lieferung erkennbar in der irrigen Annahme einer Bestellung erfolgt wäre.
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Da Gott erstaunlich oft seine Angelegenheiten pfeilgrad so geregelt sehen möchte wie die Zweibeiner im marktwirtschaftlichen Rechtsstaat miteinander umspringen, vermute ich, dass Sie mit unbestellten Kreuzigungen entsprechend verfahren dürfen. Erkundigen Sie sich aber vorsichtshalber bei Gott selber, bevor Sie die Option "Kloschütten" wählen!

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Diese ganze professorale Argumentation geht doch vollends am Kern vorbei.
Von Prof. Markschies folgendes Zitat: "Er musste sterben, weil er die Priesteraristokratie am Jerusalemer Tempel in unerträglicher Weise herausgefordert hatte: Indem er die Händler und Geldwechsler hinauswarf, hat er den Tempel als höchste religiöse Autorität des Landes und seine Opferpraxis infrage gestellt. Ein Frontalangriff auf das religiöse Establishment, dafür wurde er zum Tode verurteilt".

Von wem wurde Jesus getötet? Von vom Teufel beseelten Menschen oder doch von einer göttlichen Vorsehung? Im AT+NT steht mehrmals und von Jesus auch häufig wiederholt, dass sein Vater Gott schon von Beginn an den Tod von Jesus am Kreuz als absolut unvermeidlich vorgesehen hatte. Folglich kann es keine Schuld der Juden, der Römer oder von Anderen geben.

Folgt man aber der Argumentation von Prof. M. , wird von ihm mit dem Zitat der Wille Gottes und die Göttlichkeit von Jesus und die des Heiligen Geistes bestritten. Wenn man sich dann auf die Erbsünde als Ursprung allen Bösen und als Wiedergutmachung auf Jesus als Sündenträger zurückzieht, wird das ganze Glaubensgebäude noch fraglicher. Kommt dann doch leider die unvermeidliche Frage, wer uns denn warum die Erbsünde verliehen hat.

Die andere Alternative wäre: Da AT+NT zum Teil massiv gegensätzlich und als Beweismittel (Beweise kann man nicht glauben, aber warum wird dann immerzu aus ihnen zitiert?) schwierig bis unglaubwürdig sind, sollten sich auch die sich selbst so Wichtigen doch einmal überlegen, was sie da sagen.

Da hat wohl jemand und viele Andere haben die Schriften nach allen Regeln der eigenen „Kunst“ gelesen. Das erinnert mich alles fatal an die fabulösen und imaginären Beschreibungen auf Vernissagen. Alle nicken verständnisvoll und keiner hat was begriffen.

Ockenga schrieb am 4. Mai 2015 um 16:46: "Von wem wurde Jesus getötet? Von vom Teufel beseelten Menschen oder doch von einer göttlichen Vorsehung?" Gewöhnliche Hingerichtete sterben üblicherweise ziemlich umstandslos an der Justiz und an der hinter ihr stehenden staatlichen Gewalt. Handelt es sich beim Hingerichteten allerdings um einen mit Göttlichkeit ausgestatteten Verurteilten, ist der Fantasie keine Grenze mehr gesetzt. Dann muss auf jeden Fall etwas ungemein Kompliziertes vorgefallen sein. Die daraus resultierenden Streitereien und aufgemachten steilen Alternativen sind von erlesener Natur.

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Frage an Prof. Markschies:
"Haben Sie eine theologische Umschreibung für ­die Aussage: „Gott ist für uns gestorben“? Antwort: " Ich umschreibe das so: Gott liebt uns Menschen so sehr, dass er das, was uns am meisten von ihm trennt, nämlich den Tod, nicht zwischen sich und uns stehen lassen will, sondern uns für alle Ewigkeit in seine Gemeinschaft einlädt".

Ja, ist er nun gestorben oder nicht? Nicht einmal theoretisch kann es einen unverständlicheren Text geben. Warum muß man denn etwas umschreiben? Etwa weil man unfähig ist, etwas direkt auszusprechen? Und mit diesem Inhalt wollen Sie im Ernst Zweifler, Ungläubige und alle Anderen erreichen? Der ganze Text von Prof. Markschies ist eine Bankrotterklärung. Nur selbtsernannte Insider, die alles beklatschen, was irgendwie süß oder verheißungsvoll klingen könnte, werden den Text verständnisvoll begleiten. Frgt man sie nach dem Inhalt und der Bedeutung des Textes wird gestammelt.

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