Monika Höfler
Eine unsinnige Hungerkur, eine aussichtslose Bewerbung: Darf man dem anderen Zweifel einpflanzen?
15.08.2014

Sascha überlegt, ob er sich auf den Posten des Abteilungsleiters bewerben soll. Seine Frau Irene rät ihm ab – die Konkurrenz ist groß, und sie hat läuten hören, dass Saschas Kollege bei den Chefs der Favorit ist. Ihr Mann will sich dem Verfahren dennoch stellen – mehr als unterliegen könne er nicht. Irene weiß, dass es so einfach nicht ist: Sascha ist sehr sensibel und wird an einer Niederlage ziemlich zu knabbern haben. Dann kommt zu der möglicherweise sinnlosen monatelangen Vorbereitung noch eine lange Zeit des Aufarbeitens. Sie kennt ihn gut genug – Sascha wird deprimiert sein, an sich zweifeln und keine richtige Freude mehr am Leben haben. Das Ehe- und Freundesleben wird dadurch sicher mehr als ein ganzes Jahr beeinträchtigt sein. Sie seufzt innerlich. Sascha die Sache ausreden? Ihm wider besseres Wissen zureden?

Es ist schwer, wenn ein lieber Mensch etwas plant, von dem man ahnt, dass es schiefgehen wird – oder bei dem man das Gefühl hat, dass es einfach nicht richtig ist. Die Ehefrau bekommt ein tolles berufliches Angebot, das sie ohne langes Nachdenken ausschlagen will, obwohl so eine Chance nie wiederkommt. Sie wird es bereuen, so viel ist sicher. Kann man sie bei ihrer Absage wirklich unterstützen? Der Sohn plant einen längeren Auslandsaufenthalt in den USA, dabei wird zu Hause gerade jeder gebraucht, weil die Großeltern schwer krank sind und ins Pflegeheim müssen. Soll man ihm zuraten, obwohl auch er ­seinen Beitrag zur Betreuung leisten könnte?

Wann schweigt man, wann greift man ein? Einiges kann man eben doch klipp und klar sagen. Kommt eben immer darauf an, wie man das macht, sagt Susanne Breit-Keßler im Gespräch

Wenn einer etwas tun möchte, was einem selber aus guten Gründen widerstrebt, hilft nur, miteinander zu reden, die eigenen Argumente und Bedenken offen vorzutragen und anzuhören, warum der oder die andere so entscheiden möchte. Vielleicht kann man ihn oder sie überzeugen – oder wird selbst überzeugt.

"Was tun, wenn einer, der einem lieb ist, etwas vorhat, das ihn gefährdet?"

Viel belastender ist es, wenn man die Entscheidung des anderen beim besten Willen nicht mittragen kann. Meine Freundin, gertenschlank, will eine Diät machen, damit sie bis zur Hochzeit in Kleidergröße 34 passt. Sie war schon einmal magersüchtig, und ich fürchte, dass sie durch dieses unsinnige Unterfangen wieder krank wird. Der Cousin möchte sich wegen einer „frozen shoulder“ einer Operation an der Schulter unterziehen, von der jeder Orthopäde händeringend abrät. Physiotherapie würde mehr Zeit in Anspruch nehmen, aber wirksamer sein. Die nette Nachbarin überlegt, ob eine Hausgeburt nicht viel angenehmer wäre als der Kreißsaal – dabei hat es schon bei ihrem ersten Kind erhebliche Komplikationen gegeben. Was tun, wenn ein anderer, der einem besonders lieb und wert ist, etwas vorhat, das ihn gefährdet oder gar sein Leben aufs Spiel setzt?

„Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten“ ­ (1. Korinther 6,12) heißt es in der Bibel. Also auf keinen Fall schweigen. Auch dann nicht, wenn ich sonst den Menschen, die mir am nächsten stehen, gern recht geben und ihnen alles zuliebe tun würde. Für die eigene Auffassung sollte man schon aus Respekt vor sich selbst geradestehen. Und ich bin meinem Gegenüber Ehrlichkeit schuldig; er verdient es einfach, dass ich aufrichtig bin. Nicht auszudenken, wenn es tatsächlich so schlimm kommt, wie man befürchtet hatte – und man hat nichts gesagt. Dann wird man sich wahrscheinlich ein Leben lang Vorwürfe machen. Natürlich muss klar sein, dass der andere letztlich seinen eigenen Weg gehen wird. Aber dann hat man alles getan, was möglich war. Der Rest liegt in Gottes Hand.

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Die Argumentation kann ich durchaus nachvollziehen. Es gibt aber auch eine andere Sichtweise.

Was, wenn derjenige eben diesen unsinnigen Bewerbungsdurchlauf, diese Diät braucht, gerade um schließlich doch noch seinen eigenen Weg zu finden, womöglich kurz vor dem Abgrund endlich die Kurve kriegt? Was, wenn die eigenen zweifellos gutgemeinten Ratschläge ihn davon abhalten, diese Erfahrung zu machen, diese Kurve zu kriegen?

"Auf keinen Fall schweigen" finde ich deutlich zu pauschal. Wenn wir handeln, hat das Konsequenzen. Wenn wir nicht handeln, hat das auch Konsequenzen. In beiden Fällen sind wir für die Konsequenzen unseres Tuns (oder Nicht-Tuns) verantwortlich. Das haben wir zu akzeptieren und gleichzeitig anzuerkennen, dass wir die Konsequenzen niemals bis zum Ende überschauen können. Was bleibt? Dem Herzen folgen in unserem eigenen Handeln - oder eben auch Nicht-Handeln. Auch das hat mit Respekt zu tun, vor uns selbst wie vor dem Gegenüber.

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