Thomas Meyer/Ostkreuz
Sich für die Armen einzusetzen, ist ein zentraler Auftrag des Alten wie des Neuen Testaments. Was bedeutet das für die Kirche?
Thomas Meyer/Ostkreuz
25.04.2014

„Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen“: Diese ziemlich herausfordernden Worte stammen nicht etwa aus dem Kommunistischen Manifest von 1848 oder aus irgendeinem Revolutionsmanual der heutigen Zeit. Diese Sätze stammen aus der Bibel. In dem sogenannten „Magni­ficat“ im ersten Kapitel des Lukasevange­liums lobt Maria ihren Gott dafür, dass er sie, die niedrige Magd, auserwählt hat, den Heiland der Welt zu gebären. Johann Sebastian Bach und viele andere haben das „Magnificat“ so wunderbar vertont, dass die Musik unsere Seele erreicht.

Und da sitzen wir dann in der gut gefüllten Kirche, haben für den Kulturgenuss 25 ­Euro Eintritt gezahlt und gehen hoffentlich danach mit dem Gefühl nach Hause, dass sich die 25 Euro gelohnt haben. Das revolutionäre Lied der Maria als Kultur­genuss derer, die in dem Lied doch „leer auszugehen“ scheinen – deutlicher könnten die Widersprüche, in denen wir leben, kaum zum Ausdruck kommen.

Wir sind hierzulande keine Kirche der Armen. Aber sollen wir es angesichts der Worte der Maria werden? Die „vorrangige Option für die Armen“ ist jedenfalls eine tragende Säule der christlichen Tradition, die ihre Grundlage in unzähligen Texten des Alten und des Neuen Testaments findet. Man kann die Beunruhigung, die diese biblische Option für eine reiche Kirche der westlichen Welt bedeutet, nicht mit irgendwelchen klugen Auslegungen weg­interpretieren. Und sich die Zumutung dadurch vom Leibe zu halten, dass man sich über „Gutmenschen“ lustig macht, die anders zu leben versuchen, ist am Ende auch wenig intelligent. Manche Anwälte der Option für die Armen heute mögen vielleicht die notwendige Differenzierung vermissen lassen, aber wenigstens versuchen sie, auch in ihrem eigenen Leben Konsequenzen zu ziehen.

Aber was heißt das nun für die Kirche?  Soll sie all ihren Besitz den Armen geben? Jeder, der schon einmal darum gerungen hat, das notwendige Geld für die Sanierung einer Kirche zusammenzubekommen, die sonst einfach verfallen würde, weiß, dass die Sache nicht so einfach ist. Und wer Rechtsverpflichtungen für die Altersversorgung der eigenen Mitarbeiter eingegangen ist, würde dieses Recht ver­letzen und verantwortungslos handeln, würde er das Geld einfach weggeben.

Die Option für die Armen ist so untrennbar mit dem jüdisch-christlichen Gottesverständnis verbunden, dass sie aus der damit verbundenen Vision des guten Lebens einfach nicht wegzudenken ist. „Hat dein Vater nicht auch gegessen und getrunken und hielt dennoch auf Recht und Gerechtigkeit, und es ging ihm gut? ­

Er half dem Elenden und Armen zum Recht, und es ging ihm gut. Heißt dies nicht, mich recht erkennen? spricht der HERR“, heißt es beim Propheten Jeremia (22,15f).

Den Armen zum Recht verhelfen – diesen Auftrag ernst zu nehmen, dazu gibt es nun allerdings auch heute allen Anlass. Gegen den Skandal des täglichen Todes vieler Tausender von Menschen aufgrund von Hunger und Medikamentenmangel protestieren! Flüchtlingen beistehen! Kinder bestmöglich fördern, deren Armutskarriere durch den familiären Hintergrund vorprogrammiert scheint! Alleinerziehende Frauen unterstützen, die in Beruf und Familie alles geben, aber trotzdem nicht am allgemeinen Wohlstand teilhaben!

Unsere Kirche hier ist keine Kirche der Armen, und wenn sie ihr Potenzial in der Gesellschaft nutzen will, muss sie es auch nicht sein. Aber Kirche mit den Armen und an der Seite der Armen, das muss sie sein.

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Die Kirche sollte sich weniger gegen die Armut und wesentlich mehr gegen die Ursachen der Armut engagieren. Unser Wirtschaftssystem öffnet die soziale Schere quasi automatisch immer weiter. Man muss die Ursachen kennen, um sie abzustellen. Informationen beispielsweise unter www.cgw.de

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Anselm schrieb am 30. Mai 2014 um 14:06: "Die Kirche sollte ..." Fromme Wünsche hat jeder nicht nur drei, sondern beliebig viele frei. Vielleicht sollte auch die Sonne besser ein Kühlschrank sein. Ich bin mir allerdings sicher, dass die Sonne mir diesen Wunsch nicht erfüllen wird. Genau so bin ich mir sicher, dass die Kirche nicht davon ablassen wird, sich als tragende Säule der Verhältnisse aufzuführen, deren Folgen sie dann teilnahmsvoll betreut. Landesbischof Prof. Dr. Bedford-Strohm macht doch erfreulich klar, wo die Kirche zu stehen hat: An der Seite der Armen! Da stehen alle anständigen Menschen. Die Unternehmerverbände, die Gewerkschaften, die Parteien, die Bürgerinitiativen, die Künstler usw. Oder kennen Sie irgendeine relevante gesellschaftliche Gruppe, die ernstlich verkünden würde, die Armen gehörten in den Allerwertesten getreten oder sie wären ihnen zumindest egal?

Daraus ergibt sich ein Hinweis für die anerkannt Armen und die Normalmenschen, die schneller, als sie zumeist denken, in der Armut landen können. Der Hinweis nämlich, dass all die, die sich zahl- und hilfreich an der Seite der Armen drängeln, alles Mögliche im Schilde führen, aber sicher keine Bündnispartner in einem Bemühen sind, die Armut auf den Mond zu schicken.

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