In ihrem Sozialpapier stellen die Kirchen sehr ernste Zukunftsfragen und fordern eine "Wende"
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
28.02.2014

Es ist der Vorteil der Kirchen, dass sie - anders als Parteien und Regierungen - nicht von Tagesfragen aufgefressen werden und sich ohne parteipolitischen Opportunismus um längerfristige Zukunftsfragen kümmern können. Wo Lobbyismus herrscht, blüht die Klientelpolitik, und wenn eine Große Koalition wie gegenwärtig in Berlin regiert, sind besonders viele Interessengruppen zu bedienen. Für unbeliebte politische Richtungsentscheidungen mit Fernblick bleibt da wenig Raum, für eine "Wende in eine gute Zukunft" erst recht.

In mancher Hinsicht treten die evangelische und die katholischen Kirche mit ihrem Sozialpapier „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ dem allfälligen Opportunismus der Regierung entgegen. Unbeliebt ist es sicherlich, die geplante Mütterrente und die Rente ab 63 in Frage zu stellen. Die Mütterrente, von der bislang nur Frauen mit Kindern ab Jahrgang 1992 profitierten, soll – auf geringerem Niveau – auch für Mütter gelten, die in den Jahrzehnten davor Kinder geboren haben. Gerecht ist das zweifellos, aber auch bezahlbar? Die Kirchen sind nicht die einzigen, die davor warnen, die Rentenversicherung zu überfordern und sich der „Verführungskraft voller Kassen“ hinzugeben. Der EKD-Ratsvorsitzende spricht von der Gefahr, dass die Rentenkasse ausgeplündert wird. 

Das Fernziel: eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung

Dass die  Wirtschaftsdenkschrift der beiden Kirchen aus dem Jahr 1997 aktualisiert werden musste, liegt auf der Hand. Deutschland steht vor einem dramatischen demografischen Wandel. Er wird – so der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider bei der Vorstellung des Sozialpapiers – immer noch völlig unterschätzt. Nicht weniger als „eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung“ schwebt den Kirchen vor. Denn die wirtschaftliche Ungleichheit vergrößert sich immer mehr, in Deutschland und international. Die Globalisierung hat Reiche noch reicher, Arme noch ärmer gemacht. Die Finanzkrise vor fünf Jahren zerstörte unglaubliche Werte, trieb ganze Volkswirtschaften an den Rand des Ruins.

Im dritten der zehn Kapitel des Sozialpapiers – es befasst sich mit dem Bankensystem – scheuen sich die Kirchen nicht, die Maßlosigkeit und eine „zum Teil bis ins Kriminelle gesteigerte Selbstherrlichkeit und Gier mancher Finanzakteure“ anzuprangern. „Boni ohne Mali darf es nicht mehr geben“, erklären sie. „Nicht die kurzfristige Steigerung der Aktienkurse, sondern der nachhaltige Unternehmenserfolg“ müsse Maßstab für die Entlohnung sein. Es ist eine der schärfsten Passagen des Papiers: Es sei ordnungspolitisch und auch moralisch verfehlt, wenn die Folgen riskanter Geschäftspolitik nicht von denjenigen getragen würden, die die Risiken eingegangen sind, sondern von Dritten oder der Allgemeinheit. Und wie ist die Realität? Gibt es eine Haftung für Fehlentscheidungen? Fehlanzeige.

Es gibt viel zu diskutieren bis zum 18. Juni 2014

Über den Tag hinauszudenken, das ist Aufgabe der Kirchen und dazu fordern sie Politiker und Wirtschaftsleute heraus. Eine nachhaltige Wirtschaft soll entstehen. Doch gerade weil es den Deutschen im Moment wirtschaftlich gut geht, drohen sie ihre Verantwortung aus dem Blick zu verlieren. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, brachte es auf die anspruchsvolle Formel: „Wir müssen die intergenerationellen, ökologischen und globalen Aspekte der Gerechtigkeit im Blick behalten.“

Was das im Einzelnen bedeutet, ist nicht immer klar genug beschrieben. Fachleute aus der Diakonie begrüßen deshalb einerseits, dass sich das Papier an den Schwächsten der Gesellschaft orientiere, aber sie beklagen zugleich, die Themen Altersarmut und prekäre Beschäftigung würden verharmlost. Auch der Umgang mit der wachsenden Zahl pflegebedürftiger alter Menschen und das Thema Migration finden manche Diakoniekenner nicht ausreichend berücksichtigt. Hier ist eine Erweiterung des Blicks wünschenswert und geboten.

So deutet sich schon jetzt an, dass die „Sozialinitiative“ zu einer breiten Diskussion über eine zukunftsfähige Wirtschafts- und  Sozialordnung führen wird. So gesehen ist seine Veröffentlichung bereits ein Erfolg. Am 18. Juni 2014 wollen die großen Kirchen mit Experten aus Politik und Wissenschaft und mit den einschlägigen Verbänden den Diskussionsstand zusammenfassen und die eingegangenen Kommentare auswerten. Es steht einiges an Arbeit zu erwarten.

Leider, leider ist die Sozialinitiative bisher eine zahnlose, in weiten Teilen auch ärgerliche Aneinanderreihung von Pseudo-Thesen. Da hilft es auch nicht, wenn man "ökologisch" und "für die sozial Schwachen" einstreut und gegen die Gier wettert. Eine Diskussion über eine "erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung" kommt so jedenfalls nicht zustande...

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Zitat aus dem Artikel: "Es ist eine der schärfsten Passagen des Papiers". Die Schärfe soll also in dem moralischen Vorwurf der Gier und Selbstherrlichkeit liegen. Es wird damit zum wiederholten Male die Bankenkrise zu erklären versucht mit der angeblichen Verruchtheit von Bankmanagern. Das ist ein Irrtum. Bankmanager sind genau so anständige Menschen, wie es die sonstigen Anhänger der Marktwirtschaft sind. Sie sind Mitbürger, die sogar für Frauen und Atheisten bremsen und sich in der Freizeit beim Öko- und Tierschutz engagieren. Weder die Werftenkrise, noch die Krise des Steinkohlebergbaus, noch die Bankenkrise hatten und haben irgend etwas zu tun mit schlechtem Charakter der Entscheidungsträger. ________________________________ Krisen in der Marktwirtschaft rühren her vom unermüdlichen Einsatz der wirtschaftlichen Vernunft. So nennt man die Verpflichtung aller Akteure darauf, erfolgreiche Geschäfte zu machen, also eingesetztes Kapital zu vermehren. Weil alle Kapitale das machen müssen und dabei in Konkurrenz zueinander stehen, wird aus dem ehemals so Erfolg versprechenden Wirtschaftszweig ein ruinöses Geschäft, das in der Krise dann eben Verlierer und Gewinner hervorbringt. Es ist ebenso ungerecht wie unsachlich, den Verlierern hinterher vorzuwerfen, sie hätten wohl den Kanal nicht voll genug kriegen können. Wenn es gilt, profitable Geschäfte dadurch zu machen, dass man Häuslebauern Kredite andreht, dann ist der Vorwurf der Gier fehl am Platze. Wenn sich darauf dann ein schwungvoller Handel mit Derivaten aufbaut, dann ist ebenso nicht Gier am Werke, sondern unsere dynamischen Jungs und vereinzelten Mädels sind für ihre Innovationskraft und Einsatzfreudigkeit zu loben. Wenn schließlich auf Grund dieses hochlöblichen, weil erfolgreichen Treibens sich soviel Kapital auf dem Markt drängelt, dass kein Geschäft mehr zu machen ist, dann ist es nur noch billig und peinlich, plötzlich Gier auszumachen. ___________________ Beliebt ist dieser falsche Vorwurf der Unanständigkeit von Managern deshalb, weil man damit jeden zutreffenden Gedanken über das Wie und Warum der Marktwirtschaft vermeiden kann. So kann man seine unerschütterlich gute Meinung über dieses Wirtschaftssystem aufrecht erhalten trotz aller offensichtlichen Krisen und Gemeinheiten für den normalen Menschen. Man geht hausieren mit der Vorstellung, der Kapitalismus alias soziale Marktwirtschaft sei eine segensreiche Einrichtung für jedermann, wenn es nur nicht diese bösen schwarzen, weil gierigen Schafe gäbe. Das ist die Botschaft des Papiers "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft".

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