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Dietrich Bonhoeffer war ein Mann des evangelischen Widerstands gegen das Hitlerregime und einer der großen Theologen des 20. Jahrhunderts. Vor 100 Jahren, am 4. Februar 1906, geboren, wurde er schon in jungen Jahren ein viel beachteter Hochschullehrer in Berlin. Seine Kritik am Nationalsozialismus bezahlte Bonhoeffer mit dem Leben. Ein chrismon-Gespräch mit dem Berliner Bischof Wolfgang Huber über sein Lebensthema Bonhoeffer, über die Irrwege seines Vaters im Nazistaat und über christliche Hoffnung angesichts des Todes.
Lena Uphoff
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
07.10.2010

Herr Bischof Huber, kürzlich waren Sie in Finkenwalde bei Stettin. Dort hat der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer von 1935 bis 1937 Vikare der Bekennenden Kirche ausgebildet, bis die Gestapo das Predigerseminar auflöste. Bei Ihrem Besuch haben Sie spontan ein Gebet gesprochen. Warum?

Ich habe dort gebetet um die Gegenwart des Heiligen Geistes und die Bereitschaft der Kirche zur Verantwortung für den Frieden und die europäische Verständigung. Es sind Gedanken, die vor siebzig Jahren bei der Ausbildung in Finkenwalde während der Nazizeit eine große Rolle gespielt haben.

Von dieser berühmten Ausbildungsstätte, dieser Stätte des Widerstands, ist heute nichts mehr zu sehen. Ein Rasen, ein paar Bäume direkt an einem Bahndamm ­- das ist alles.

Ich finde es trotzdem anrührend, dass die evangelische Gemeinde in Stettin den Platz, auf dem die Baracken des Finkenwalder Predigerseminars standen, gekauft und dort mit schlichtesten Mitteln eine Gedenkstätte eingerichtet hat. Es gibt unter freiem Himmel einen Gedenkweg, der zu einem Kreuz führt, und eine Gedenkplatte für Dietrich Bonhoeffer. . .

. . . die von polnischen Jugendlichen immer wieder geklaut wird.

Aber der Platz ist still und schön. Ich wüsste gar nicht, welche andere Haltung da angemessen wäre als die Haltung des Gebets.

Sie sind ein renommierter Wissenschaftler und rationaler Denker. Und dann solche Rührung. Wie passt das zusammen?

Dass jemand, der seinen Kopf benutzt, kein Herz haben dürfe, hat mir noch nie eingeleuchtet. Dass jemand, der das Denken in den Dienst des Glaubens stellt, nicht angerührt sein dürfe von einer solchen Situation, lasse ich für mich nicht gelten.

Bonhoeffers Denken und Handeln ist eines Ihrer großen Lebensthemen. Wie kam es dazu?

Dietrich Bonhoeffer ist mir schon in meiner Schulzeit in den fünfziger Jahren begegnet. Ein guter Religionslehrer hat mich mit ihm vertraut gemacht. Deshalb sage ich auch immer wieder, wie wichtig guter Religionsunterricht ist, gerade in den Lebensjahren, in denen junge Menschen anfangen nachzufragen. "Widerstand und Ergebung", die gesammelten Briefe aus dem Gefängnis, war das erste Buch Bonhoeffers, das ich gelesen habe, bald darauf das kleine Buch "Gemeinsames Leben", das aus den Erfahrungen im Predigerseminar Finkenwalde entstanden ist. Diese Lektüre war für mich ein entscheidender Anstoß, Theologie zu studieren.

"Ich konnte meinen Vater lieben, obwohl ich seinen Weg im Hitler-Deutschland nicht bejahen konnte"

Woher kommt die Leidenschaft und Konsequenz, mit der Sie sich mit Bonhoeffer befassen? Hängt es damit zusammen, dass Ihr Vater Ernst Rudolf Huber, ein namhafter Staats- und Verfassungsrechtsprofessor der Zeit, eine große Nähe zum nationalsozialistischen Staat hatte? Immerhin bekam er wegen seiner politischen Belastung nach dem Krieg lange Jahre keinen regulären Lehrstuhl mehr.

Ich glaube, es ist eher umgekehrt. Die Tatsache, dass ich mich mit Bonhoeffer befasst habe, hat dazu beigetragen, dass ich zu diesem Thema eine eigenständige Haltung entwickeln konnte. Auch deshalb musste ich mich nicht fortwährend mit meinem Vater auseinander setzen. Ich musste die Distanzierung von meinem Vater nicht immer wieder und wieder durchspielen. Ich konnte ihn als Person achten und als Vater lieben, obwohl ich seinen Weg im Hitler-Deutschland nicht bejahen konnte.

Immerhin schrieb Ihr Vater so fragwürdige Sätze wie: "Nicht der Staat . . . ist Träger der politischen Gewalt, sondern diese ist dem Führer als Vollstrecker des völkischen Willens gegeben."

Dem Führerstaat eine "Verfassung" geben zu wollen, wo er doch von Anfang an auf Rechtsbruch aufgebaut war, war bestimmt ein Irrweg. Auch mein Vater hat das später so gesehen. Aber auch unabhängig davon habe ich in meinen politischen Auffassungen immer völlig andere Grundpositionen vertreten als mein Vater. Umso mehr erfüllt mich mit Genugtuung, dass wir später gemeinsam ein großes Vorhaben verwirklichen konnten: eine wissenschaftliche Dokumentation des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche bis ins Jahr 1933. Und am Ende ist es sogar gelungen, dass wir uns bei der Auswahl der Texte in Wahrheit über das Jahr 1933 und die Rolle meines Vaters ausgetauscht haben. Aber diesen Umweg haben wir gebraucht. Erst in der letzten Lebenszeit meines Vaters war ein direktes Gespräch über seine Verwicklung in die Naziideologie möglich.

Wann fing Ihre politische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus an?

Auch dies begann Ende der fünfziger Jahre, zu Schülerzeiten. Ich las damals vieles über den deutschen Widerstand. Mein Geschichtslehrer stattete mich mit Literatur aus. Ich habe erst sehr viel später gemerkt, dass auch er ins nationalsozialistische Regime verflochten gewesen war. Mein Bezugspunkt, was die Nazizeit betrifft, war jedenfalls seit meiner frühen Jugend die Bekennende Kirche und der Widerstand. Und das war eine andere Welt als die Welt, in der sich mein Vater bewegt hatte.

Bonhoeffer hatte phasenweise unter seiner Kirche sehr zu leiden. Sie sind heute Bischof der Landeskirche, zu deren Geschichte auch die enge Zusammenarbeit mit dem Naziregime gehört. Was empfinden Sie heute, wenn Sie Zeugnissen dieser Geschichte begegnen?

Die Kirche in Berlin war gegenüber dem nationalsozialistischen Regime tief gespalten. Alle Grundhaltungen, die es im Protestantismus gegenüber Partei und Staat gegeben hat, hat es auch in Berlin gegeben. Inzwischen wissen wir das von vielen einzelnen Gemeinden bis ins Detail. Aber es gab in dieser Zeit auch Möglichkeiten, sich richtig zu orientieren. Denn diejenigen, die den Widerstand gegen den Arierparagraphen proklamiert haben, haben es öffentlich getan ­ so wie Martin Niemöller. Wer gegen die Zerstörung der Synagogen in der so genannten Reichskristallnacht am 9. November 1938 protestierte, tat es öffentlich ­ wie zum Beispiel Helmut Gollwitzer. Auch in Berlin konnte man sich auf kritische Strömungen innerhalb der evangelischen Kirche stützen. Fraglos hat unsere Kirche aber in vielerlei Hinsicht versagt, auch im Verhältnis zu Menschen jüdischer Herkunft, auch zu Christen jüdischer Herkunft.

Sie scheuen sich nicht, Dietrich Bonhoeffer einen evangelischen Heiligen zu nennen. Was ist heilig an diesem Mann, der doch auch seine offensichtlichen menschlichen Schwächen hatte?

Heilig ist im evangelischen Verständnis jemand, der für andere zum Vorbild im Glauben wird. Bonhoeffer dachte zwar eine Zeit lang selbst, er könne zum Heiligen werden, doch dann ließ er diesen Gedanken wieder fallen. Diese Vorstellung hatte er unter katholischem Einfluss gewonnen. Ihm wurde klar, dass die Treue zur Erde eigentlich eine solche Vorstellung verbietet. Unter der Treue zur Erde verstand er die Dankbarkeit dafür, dass er ein Geschöpf Gottes mit allen Freuden und Leidenschaften sein durfte.

Kein Heiliger also, der aus der Welt flieht?

Im Gegenteil. Seine Verlobung mit Maria von Wedemeyer lässt ihn umdenken. Das Warten auf diese Ehe und die Erfüllung dieser Liebe, die ihm wegen seiner Haft vorenthalten bleibt, ist eine Zeit, in der er deutlich sagt: Mein geschöpfliches Dasein gehört im Kern zum christlichen Glauben. Aus diesem Grund versteckt er auch seine eigenen Schwächen nicht: seine Angst in der Haft, seine Depression, seine Wut. Jemand, der diese unterschiedlichen Seiten des Lebens bejaht, ist für mich eher ein Vorbild im Glauben als jemand, der sich davon ganz weit entfernt und als Eremit in der Einöde lebt. Ein Mensch wie Bonhoeffer, der gern Klavier spielt, sich ins Gefängnis Zigaretten schicken lässt und ein gutes Glas Wein nicht verschmäht, taugt durchaus dazu, ein Heiliger zu sein.

"Bonhoeffer war schon vor seiner Konspiration gegen Hitler ein Vorbild für die Kirche"

Woran können wir uns heute ein Vorbild nehmen? Seine Rolle im Widerstand ist doch nicht so ohne weiteres auf die Gegenwart zu übertragen.

Zunächst einmal möchte ich, dass man seine Bedeutung und Leistung als Theologe ebenso ernst nimmt wie die oft beschriebene Rolle im Widerstand. Bonhoeffer hat im Alter von 21 Jahren die Kirche als Ort des Glaubens entdeckt und in einem sehr beeindruckenden Buch beschrieben, wie wir in der Kirche leben sollen ­ das finde ich vorbildhaft. Einer, der mit 26 Jahren die Bergpredigt neu entdeckt und die Kraft hat, einen solch zentralen Text noch einmal ganz neu zu lesen ­ auch das finde ich vorbildhaft. Einer, der aus diesem Grund die Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit zum zentralen Auftrag der Christen erklärt ­ vorbildhaft. Einer, der 28-jährig ein Weltkonzil des Friedens ausruft: Dieser Mann war bereits ein Vorbild noch vor Beginn seiner Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Regime, lange vor seiner Teilnahme an der Konspiration gegen Hitler.

In den Schulbüchern ist meist nur vom Mann des Widerstands die Rede.

Mein Rat ist, nicht allein die politischen Konsequenzen in den Blick zu nehmen, so dramatisch und eindrücklich sie sind, sondern ebenso auf Bonhoeffers Bereitschaft zu achten, Rechenschaft von seinem Glauben und seiner Hoffnung abzulegen.

In Zürich soll der Ökumeniker Visser't Hooft im Herbst 1941 Bonhoeffer gefragt haben: "Wofür beten Sie eigentlich in der heutigen Lage?" Bonhoeffer soll geantwortet haben: "Wenn Sie es wissen wollen, ich bete für die Niederlage meines Landes, denn ich glaube, dass das die einzige Möglichkeit ist, um für das ganze Leiden zu bezahlen, das mein Land in der Welt verursacht hat." Darf ein Christ so reden?

Es gibt Situationen, aus denen niemand schuldfrei herauskommt. Die Grundfrage, so hat Bonhoeffer eingeschärft, ist nicht, wie man sich selbst heroisch aus der Affäre zieht, sondern wie eine künftige Generation leben kann. Bonhoeffer provoziert mit seiner Antwort. Das hat damit zu tun, dass ihm bereits klar war, wie schwer es sein würde, die alliierten Mächte, insbesondere Großbritannien für Gespräche mit den Verschwörern zu gewinnen. Er wusste auch, wie schwer es war, ein Attentat gegen Hitler zustande zu bringen. Er sah mit großer Klarheit, dass nur die Kriegsniederlage Deutschlands übrig blieb.

Hinter einem Dachbalken des Hauses, in dem Bonhoeffer am 5. April 1943 verhaftet wurde, überdauerte ein Manu-skript die Nazizeit. Es trägt den Titel "Nach zehn Jahren" ­ gemeint sind die zurückliegenden zehn Jahre Nationalsozialismus. Darin findet sich der Satz: "Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will." Eine ungeheuerliche Aussage, wenn man bedenkt, was alles vorausgegangen war: Reichspogromnacht (1938), Überfälle auf Polen, Frankreich, UdSSR (1939 bis 1941), Wannseekonferenz (1942). Wie soll denn daraus Gutes entstehen?

Erstaunlicherweise lebt heute ganz Deutschland in Freiheit. Die Mauer ist gefallen. Wir alle, die wir den Weg der alten Bundesrepublik, die Teilung Deutschlands, die Vereinigung Deutschlands vor 15 Jahren erlebt haben, wir alle müssen doch eigentlich tief durchdrungen sein davon, dass sogar aus diesen dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte sich schließlich und endlich etwas entwickelt hat, was uns Luft zum Atmen und Aussicht auf die Zukunft vermittelt.

Ist das nicht eine nachträgliche Beschwichtigung angesichts der schrecklichen Naziverbrechen?

Nein, mit dieser Äußerung Bonhoeffers rechtfertigt man kein einziges dieser schrecklichen Ereignisse. Sie betont aber, dass die Geschichte mit dieser Katastrophe nicht zu Ende ist. Es ist doch ein Wunder, dass der Holocaust nicht eine Verfinsterung über Deutschland und Europa gebracht hat, die sich nie wieder aufhellt. Und dieses Wunder prägt unsere eigene Lebensgeschichte Tag für Tag, Jahr für Jahr.

39-jährig wurde Bonhoeffer auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers gehenkt. Es geschah am frühen Morgen des 9. April 1945, im Konzentrationslager Flossenbürg. Das war nur 21 Tage vor dem Selbstmord Hitlers, nur einen Monat vor der Gesamtkapitulation Deutschlands. Man kann nicht eben sagen, dass das Schicksal es gut mit ihm meinte, theologisch gesprochen, dass Gott ihm gnädig war . . .

. . . schrecklicherweise sogar noch unter Beteiligung eines Richters, der im Nachhinein noch Verständnis für dieses Urteil haben wollte. Das ist wirklich eine absolut gruselige Geschichte. Und trotzdem hat Dietrich Bonhoeffer auf der letzten Station dieses Wegs im KZ Flossenbürg eine Andacht zu Ostern gehalten. Er wollte den Osterglauben weitergeben und sagte: Für viele sei es das Ende, für ihn aber der Beginn. Selbst sein letzter Schritt auf der Stiege zum Galgen wurde zum Glaubenszeugnis.

Als Bonhoeffer in Tegel einsaß, sagten Gefangene und Schließer über ihn, er trete aus der Zelle wie ein Gutsherr aus seinem Schloss. Aber er durchlitt auch schlimmste Verzweiflung. Hat Bonhoeffer Gott eigentlich nie eine Mitschuld an seiner üblen Lage gegeben?

Es gibt eine ganze Phase im Gefängnis, die von tiefer Verzweiflung geprägt ist, die ersten Monate nach seiner Inhaftierung. Selbstmordgedanken quälen ihn, die er in den Briefen an die Eltern zudeckt, die wir aber aus Zettelnotizen ganz genau kennen. Ich kenne nur wenige vergleichbare Dokumente solch tiefer Verzweiflung. Und er erhebt auch Vorwürfe gegen Gott selbst.

Und dann?

Er nimmt einen ganz eigenen Weg, um aus dieser verzweifelten Seelenlage herauszukommen: Er versenkt sich in seine eigene Lebensgeschichte und kommt auf die Idee, in der literarischen Form eines Romans, eines Dramas, einer Erzählung die gemeinsame Biografie seiner Familie zu rekonstruieren. Erst sehr viel später findet er das theologische Grundmotiv, das ihm dabei hilft, auch eine solche Situation auszuhalten. Es ist die Erinnerung an die Verzweiflung Jesu im Garten von Gethsemane vor seiner Verhaftung. Jesus betet zu Gott, dass der Kelch von Verhaftung, Folter und Tod an ihm vorbeigehe. Und er richtet an seine unaufmerksamen Jünger die Frage: Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen? In eine ähnliche Situation ist auch Bonhoeffer gekommen.

Die nach dem Krieg veröffentlichten Briefe aus dem Gefängnis ­ der Titel "Widerstand und Ergebung" ­ enthalten eine kühne Theorie von großer Wirkung, die Forderung nach einem "religionslosen Christentum". Ihr wichtigster Gedanke: Menschliche Frömmigkeit gleich welcher Art darf sich nicht Gottes bemächtigen. Schoss Bonhoeffer mit seinem Generalverdacht gegen die Frömmigkeit über das Ziel hinaus?

Es geht ihm darum, dass man den christlichen Glauben nicht länger einsperren kann in einen abgegrenzten Raum der Innerlichkeit ­ genannt "Religion". Man versteht diese provozierenden Sätze Bonhoeffers also nur dann, wenn man sich klar macht, welche Vorstellung von Religion ihn herausfordert. Es ist eine Vorstellung, nach der Religion ein besonderer, weltabgewandter Lebensbezirk ist, in dem man zum Beispiel am Sonntagmorgen zwischen zehn und elf Uhr eine metaphysische Gottesvorstellung pflegt, die sich allenfalls auf Stimmung und Gesinnung auswirkt, nicht aber auf das wirkliche Leben.

War das ein Reflex auf das politisch korrumpierte Christentum dieser Zeit?

Bonhoeffer sagt das auch angesichts des protestantischen Bildungsbürgertums seiner Zeit. Ihm gegenüber empfindet er das religionslose Christentum als eine Befreiung für den christlichen Glauben.

Wie erklären Sie das "religionslose Christentum" 14-, 15-jährigen Schülern von heute?

Wir können Bonhoeffers Sätze nicht einfach wiederholen. Denn wir verstehen Religion heute anders, als Bonhoeffer es tat.

Moderne Menschen, besonders jüngere, begegnen dem Glauben meist in einer religiös geprägten Form ­ also zum Beispiel in bestimmten Riten. Das ist ja auch der ursprüngliche Sinn des Wortes Religion. Ich würde die Jugendlichen deshalb fragen: Wo und wie werdet ihr eures Glaubens gewiss? Und ich würde sie dazu ermutigen, dieser Gewissheit eine Sprache zu geben, ja, danach zu forschen, wie sie überzeugend formuliert werden kann. Miteinander würden wir dann darauf stoßen, dass der christliche Glaube niemals mit einzelnen religiösen Formen identisch ist. Das Wirken Gottes und die religiösen Aktivitäten der Menschen sind nicht dasselbe. Davor, beide zu verwechseln, kann Bonhoeffer uns bewahren.

Bei den religiösen Großereignissen der jüngsten Zeit stehen fromme Liturgien und mediale Inszenierungen ganz im Vordergrund. Denken wir nur an das katholische Weltjugendtreffen oder die Wiedereinweihung der evangelischen Frauenkirche in Dresden.

Genau deshalb müssen wir heute wieder Bonhoeffers Frage stellen: Wie kommt das Evangelium zum Ausdruck in den großen Riten unserer Mediengesellschaft? Religion ist ein Megathema des 21. Jahrhunderts, und sie ist zu unterscheiden vom Evangelium. Man muss es bejahen, dass Religion in großen, prägenden Ereignissen zum Ausdruck kommt. Aber man braucht auch Bonhoeffers Religionskritik, damit die Freiheit des Evangeliums auch diesen Ereignissen gegenüber zum Ausdruck kommt.

"Zur Spiritualität von heute hätte Bonhoeffer Kritisches zu sagen"

Der Trendforscher Norbert Bolz schrieb in einem Text in chrismon, heute gingen nicht mehr reumütige Sünder in den Gottesdienst, sondern Konsumenten von spiritueller Unterhaltung. Das würde doch wohl die entschiedene Kritik Dietrich Bonhoeffers hervorrufen!

Auch früher sind nicht nur reumütige Sünder in den Gottesdienst gegangen, und nicht allen, die heute in Gottesdienste gehen, kann man unterstellen, sie wollten nur konsumieren. Natürlich ist es auch wichtig, Gottesdienste schön, ansprechend zu gestalten. Aber man muss ebenso über den Inhalt nachdenken. Beides ist wichtig: Achtsamkeit im Umgang mit dem Ritus, mit der Liturgie, also mit der Religion, wie Bonhoeffer es sagte. Hinzu kommt die Verantwortung gegenüber dem Evangelium ­ sie ist übrigens die Hauptaufgabe.

Als junger Dozent führte Bonhoeffer im Seminar von Finkenwalde ein fast klösterliches Leben. Das ist das glatte Gegenteil dessen, was ihm mit seinem "religionslosen Christentum" in den Jahren der Gefangenschaft vorschwebte. Was zählt heute mehr?

Wann immer man über die Erneuerung evangelischer Spiritualität redet, kommt die Rede auch auf diese frühe Phase Bonhoeffers. Doch wir müssen heute unsere eigenen Formen finden. Wichtig ist es, dass evangelische Frömmigkeit einen Bezugspunkt in biblischen Texten hat und nicht eine Meditation um ihrer selbst willen ist. Auch wer die Übernahme fernöstlicher Meditationstechniken erwägt, sollte dies am Evangelium überprüfen.

Wie würde Bonhoeffer nach dem Krieg gelehrt und gehandelt haben, wenn er überlebt hätte?

Angesichts seines Alters hätte er den Weg unserer Kirche noch lange Zeit beeinflussen können. Wir haben aus dem Sommer 1944 eine Gedankenskizze, wie er sich den Weg der Kirche nach dem Ende der Hitlerherrschaft vorstellt. Da äußert er radikale Gedanken zum Beispiel über eine viel stärkere Verankerung der Kirche in der Lebenswelt der Menschen bis hin zu der Vorstellung, dass die Pfarrer einen weltlichen Beruf ausüben sollten.

Und was ist daraus geworden?

Etwas Ähnliches versuchen wir heute unter anderen Bedingungen zu verwirklichen, indem wir Pfarrer auch ehrenamtlich mit Seelsorge- und Verkündigungsaufgaben beauftragen. Ich habe diesen Plan sehr gefördert und dabei natürlich auch an Bonhoeffer gedacht. Aber ich habe niemals gesagt: "Jetzt verwirklichen wir das Bonhoeffer'sche Ideal", weil das doch übertrieben gewesen wäre.

Und wo stünde Bonhoeffer heute politisch?

Bonhoeffer hatte eine wache Aufmerksamkeit für soziale Probleme. Man denke nur an seine Offenheit für die schwarzen Kirchen Amerikas. Genauso intensiv hat er sich auf politische und kirchliche Streitfragen eingelassen. Am "Dasein für andere" und am Eintreten für Gerechtigkeit und Frieden hätte er ganz bestimmt festgehalten. Ich glaube, er hätte uns nicht ein Dogma von der Religionslosigkeit der Kirche vorgehalten, sondern uns dazu ermutigt, das religiöse Suchen der Menschen ernst zu nehmen. Und er hätte den Menschen nicht nach dem Mund geredet, sondern ihnen auch das Sperrige am Evangelium zugemutet. Er nannte das die "teure Gnade"; ihm ging es um die Folgen des Glaubens für das Leben.

 

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Ein sehr lehrreiches Interview. Was Herr Huber hier für junge Menschen vorschlägt, ist nur auf dem Hintergrund einer konsumorientierten Gesellschaft verständlich, deren Werte rein materieller Natur sind. Aber junge Menschen müssen immer erst intensiv eingeführt, informiert, interessiert werden. Also handelt es sich doch um Weitergabe des Glaubens, was ist daran das Besondere ? Die Notwendigkeit der Rehabilitierung Bonhoeffers, die erst so spät, weil 1998 möglich wurde, ist ein großes Unrecht, dass es überhaupt nötig war, und nicht sofort als ein Kriegsverbrechen angesehen wurde, ist skandalös ! Diese zähe deutsche Vergangenheitsbewältigung war ein fruchtbarerer Boden für die Entwicklung der Welt , wie wir sie heute vorfinden ! Was bleibt da zu sagen ? Je tiefer man in der Vergangenheit gräbt, desto mehr Schlacke wird zu Tage gefördert, und wenn ich hier auf die neueste Entwicklung, die s.g.n Energiewende, und im Besonderen auf Fracking aufmerksam machen darf, dann müsste dabei die metaphorische Beziehung überaus deutlich werden ! Es mag wichtig sein, zurückzuschauen, doch darf dabei die Gegenwart nicht übersehen werden. Die Theologie ist für den Glauben nicht das Wichtigste, sie ist die Grundlage, mehr aber auch nicht. Sie darf den Menschen nicht so beanspruchen, dass er in einer säkularen Welt zum Einzelkämpfer wird, bzw. auf Gemeinschaften reduziert ! Eine starke Persönlichkeit im Glauben, die ihre feste Position in der Welt behauptet, und für Menschlichkeit und die Erhaltung der Erde eintritt, dass dürfte doch als Ziel hoch genug positioniert sein, auch im Sinne Bonhoeffers ? Dem müssen Rituale nicht im Wege stehen, und auch nicht lediglich als Unterhaltung verstanden werden, dann besteht auch nicht die Gefahr esoterischer Unterwanderung, wobei hier der Absolutheitsanspruch an den Glaubenden sichtbar wird. Bonhoeffer lebte in einer finsteren Zeit, und doch sah er das Licht der Zukunft voraus, nämlich die Befreiung aus Zwängen einer allzu starren Theologie. Zusätzlich : eine Bresche für den katholischen "Heiligen ": dieser ist ebenfalls vor allem ein VORBILD . ------------Aber was hat all das, mit unserer heutigen Arbeitsmarktpolitik, der Frauenquote, dem Run an das Migrantenfachpotential, ( im Politjargon gesprochen ), und der " alternden " deutschen Gesellschaft zu tun ? Moderner Menschenhandel, man merke auf, die Politbühne ähnelt einem Marktplatz wie zu Kolonialzeiten !!! Eine Entwicklung, die so enttäuschend ist, dass man sich unwillkürlich fragt, wes Geistes Kind mag hier am Werke sein ??? Bildung als Pfand für ein Leben im Wohlstand .
Wer bietet mehr ?!!! Richtet sich an alle Konsumenten .

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Dietrich Bonhoeffer ein evangelischer Heiliger? Was können wir von ihm lernen? Wie kann man ihn mit Sophie Scholl vergleichen? Was hatte Hitler mit der Kirche vor? Was bedeutet Heiliger in der evangelischen, was in der katholischen Kirche?
Welche Aspekte in Bonhoeffers Leben sprechen für eine Heiligsprechung?

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