Illustrationen: Astrid Ehlers
Das Geschäft mit Altkleidern
Wir denken, wir spenden unsere alten Klamotten an arme Leute. Tatsächlich werden die meisten der noch tragbaren Sachen in die ganze Welt verkauft, und der große Rest wird zu Putzlappen geschnitten oder zu Flocken geschreddert. Und das ist auch gut so. Ein Interview mit Andreas Voget vom Verein FairWertung
Tim Wegner
17.08.2012

Der Interviewpartner Andreas Voget ist Geschäftsführer von FairWertung e. V.

chrismon: Ich hab da eine Tüte mit alten Klamotten: Die Jeans passt nicht mehr, die Tunika hat die falsche Farbe, das Herrenjackett unmodisch breite Schultern. Aber das meiste ist noch gut! Bestimmt freuen sich arme Ukrainer darüber oder Leute in Katastrophengebieten...

Andreas Voget: Und wer zahlt den Transport dorthin? Ich würde an Ihrer Stelle erst mal zu einem Sozialkaufhaus oder einer Kleiderkammer in der Nähe gehen.

Die schreien dann „Juhu“?

Die freuen sich vor allem über Männer- und Kinderkleidung. In den Sozialkaufhäusern und Kleiderkammern, wo sich Menschen mit wenig Geld mit Kleidung versorgen, fehlt oft Kinderkleidung – weil es im Kinderbereich schon viele Secondhandkreisläufe gibt, etwa über die Kin­dergärten. Auch Männerkleidung ist oft Mangelware. Die wird nämlich seltener abgegeben, weil Männer ihre Sachen gern so lange tragen, bis die Frau sagt: Das geht aber nun wirklich nicht mehr.

Und was passiert mit Klamotten, die die Kleiderkammer nicht braucht?

Die gehen an gewerbliche Textilverwerter. Wie auch die meisten Sachen aus den Sammelcontainern. Das war schon immer so, denn wir haben mehr Altkleider, als in Deutschland gebraucht werden. Wenn man die Kleidersäcke, die jedes Jahr zusammenkommen, in Lkw packte, wären das 47 000 Lkw, eine Schlange von Kiel bis München. Deshalb gehen die noch brauchbaren Altkleider, nachdem sie sortiert sind, in den weltweiten Handel.

Andere machen Geschäfte mit meiner Kleiderspende?

Den Satz sagen die Leute merkwürdigerweise nur bei Kleidung. Aber wenn Sie ­einen Joghurtbecher in den Müll werfen, interessiert es Sie überhaupt nicht, dass damit jemand ein Geschäft macht. Dabei haben Sie beim Einkauf schon einige Cent fürs Recycling des Bechers mitbezahlt. Bei Kleidung zahlen Sie nichts für die Ent­sorgung und Verwertung. Aber sammeln, transportieren, sortieren kostet Geld. Auch gemeinnützige Organisationen verkaufen überschüssige Kleidung. Mit dem Erlös ­finanzieren sie soziale Projekte. Ihre Sachspende wird also in eine Geldspende verwandelt. Das Verkaufen ist nicht anstößig, es muss nur transparent sein, was mit Ihren Sachen passiert.

Auf einem Container vom Deutschen Roten Kreuz bei mir um die Ecke steht nur, dass man Schuhe bündeln soll. Ist das transparent?

Es sollte immer darüber informiert werden, wie die Textilien tatsächlich verwendet werden.

Gute Sache: Der Verkaufserlös geht in soziale Projekte

Es gibt auch die Variante, dass eine ­gemeinnützige Organisation ihr Logo an ­einen kommerziellen Sammler vermietet, der das Logo dann auf seinen Container klebt. Was halten Sie davon?

Hier wird in der Regel ein falscher Eindruck erweckt. Ein durchschnittlich informierter Verbraucher, der auf dem Container ein solches Logo sieht, geht davon aus, dass es hier um eine karitative Sammlung geht. Wenn aber faktisch nur ein kleiner Teil des Erlöses an die karitative Organisation geht, dann muss das aus der Beschriftung deutlich werden. Dasselbe gilt für die Zettel in den Wäschekörben, die Ihnen vor die Tür gestellt werden. Da hat ein Händler das Logo der Timbuktu-Hilfe gemietet, weil er damit mehr Kleidung bekommt; und Sie denken, die Sachen gehen als Hilfsgut nach Afrika. Wir raten Organisationen von der Logovermietung ab.

Aber was soll ein kleiner Wohltätigkeitsverein denn machen? Er hat keine Lkw mit Kran obendrauf, keine Container, ­keine Lagerhallen – er muss doch jemanden beauftragen!

Jemanden zu beauftragen, ist aber etwas ganz anderes als die Logovermietung, wo ich nicht weiß, was andere mit meinem Namen alles machen. Wenn ich dagegen einen Auftrag vergebe, übernehme ich die Verantwortung für eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung, auch für ordentliche Arbeitsbedingungen. Wir vermitteln solche seriöse Partner – zum Beispiel könnte eine kirchliche Beschäftigungs­gesellschaft mit Langzeitarbeitslosen die Container gegen Bezahlung leeren.

Womit verdient man bei der Altkleidersammlung richtig Geld?

Mit der guten Kleidung in den Sammlungen. Die Nachfrage nach gebrauchter Kleidung nimmt weltweit zu – weil die Bevölkerung wächst und viele Menschen nur über Secondhandkleidung preisgünstig an Kleidung kommen. Wegen dieser großen Nachfrage versuchen viele gewerbliche Firmen mit allen Tricks, an die Kleidung zu kommen, auch mit illegal aufgestellten Sammelcontainern. 

Sie sagten doch eben, das Geschäfte­machen an sich sei nicht schlimm...

. . . sofern die Textilien vollständig und fachgerecht sortiert werden. Ich erklär’s Ihnen an einer Geschichte, die wir immer wieder erleben. Ruft einer bei uns an und sagt in gebrochenem Deutsch: „Ich möchte einen Lkw mit Gebrauchtkleidung kaufen.“ Frag ich: „Woher sind Sie denn?“ – „Ich rufe aus Bulgarien an.“ – „Aha, sind Sie ein ­Sortierbetrieb?“ – Antwort: „Sor­tier­betrieb, was ist das?“ Dann ich: „Vielen Dank, das reicht mir schon.“ Das sind Leute, die vielleicht einen Secondhandladen haben und sich nur die gute Ware aus den Säcken raus­suchen. Was machen die aber mit den minderwertigen Textilien und den darin enthaltenen Rohstoffen? Da ­haben die kein Know-how! Viele Sachen werden auf der Müllkippe landen. Sie werden je­den­falls nicht recycelt und auch nicht stofflich verwertet, wie es das Gesetz verlangt.

Okay, jetzt werfe ich meine Klamotten in den Container einer gemeinnützigen Organisation, die bei Ihrem Verband FairWertung Mitglied ist. Aber am Ende machen die Sachen dann doch die Textil­industrie in Afrika kaputt!

Nein, das ist nicht so. Die Vorstellung, es hätte in allen afrikanischen Ländern eine einheimische Textilindustrie gegeben, die flächendeckend die Leute mit Kleidung versorgte, ist schon mal eine Illusion. Dass die Textilproduktion, die es gab, kaputt­gegangen ist, hat überwiegend andere Gründe: erstens problematische Produk­tionsbedingungen wie häufiger Strom­ausfall, unregelmäßige Wasserversorgung, keine Ersatzteile; und zweitens die Streichung der staatlichen Subventionen an die Textilbetriebe ab Anfang der 80er Jahre. Die hatten ja in geschützten Märkten ge­arbeitet.

Was heißt „geschützte Märkte“?

Geschützt vor ausländischen Importen. In Tansania zum Beispiel gab es keinen Import, weder von Neu- noch von Gebrauchtkleidung. Dann bekamen Tansania und andere hoch verschuldete Länder vom In­ter­nationalen Währungsfonds Umschuldungsprogramme, und das bedeutet immer: Die Länder müssen die Subventionen für einheimische Produzenten streichen und ihre Märkte für Importe öffnen. In dem Moment waren einheimische Betriebe nicht mehr konkurrenzfähig. Denn dann kam auch Neukleidung ins Land.

Woher kommt die Neukleidung?

Vor allem aus asiatischen Ländern, besonders aus China. Die produzieren preisgüns­tiger. Wir haben in Deutschland ja auch keine nennenswerte Textilindustrie mehr, schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Es kam dann auch Gebrauchtkleidung in die afrikanischen Länder und fand ihren Markt. Denn wenn man weniger als 30 Euro Einkommen im Monat hat, kann man nicht 50 Euro und mehr für eine Jeans ausgeben, wie wir das tun.

Unsere abgetragenen Shirts und Jeans: in Afrika begehrt

Was kostet eine gebrauchte Bluejeans in Afrika?

Auf dem Kleidermarkt ungefähr zehn Euro, Markenjeans können auch teurer sein. Ein Hemd oder eine Bluse gibt es für zwei bis drei Euro.

Und wer kauft die Neuware aus China?

Vor allem junge Leute finden die chinesi­schen Billigtextilien hip. Aber manche wechseln auch wieder zu Secondhand­ware, weil die zum Teil eine bessere Qua­lität hat als die Neuware. Die hat einen hohen Kunstfaseranteil und ist daher bei hohen Temperaturen nicht so angenehm auf der Haut.

Das klingt, wie wenn der Gebrauchtkleider­handel ein richtiger Wirtschaftszweig ist.

Ja! In Kenia zum Beispiel leben 200 000 kleine Markthändler vom Verkauf der importierten Gebrauchtkleidung. Dazu kommen die, die ein paar Kleidungsstücke auf dem Markt kaufen, mitnehmen in ihr Dorf und dort weiterverkaufen. Und in Tansania gehen Jugendliche mit einem Arm voll Secondhandkleidung in die Büros – so wie man bei uns im Katalog bestellt, sagen dort die Leute zu den Jugendlichen: Wenn du eine blaue Bluse siehst, bringst du mir die vorbei! Das heißt, es sind Arbeitsplätze entstanden.

Wenn es in Afrika kaum noch Textilindus­trie gibt – wieso spenden wir dann Geld für Nähmaschinen an Ausbildungsprojekte?

Textilindustrie ist was anderes als Nähereien. Es ist gut, Leuten das Nähen bei­zubringen. Denn auf den Secondhand­märkten arbeiten zunehmend auch Schnei­derinnen: Die kaufen Kleidungsstücke auf dem Markt und peppen sie auf oder nähen etwas anderes aus dem Stoff. Eine Näherin erzählte uns: „Ich kaufe auf dem Secondhandmarkt große Sweatshirts, und die nähe ich um zu Kinderkleidung, weil es bei uns keine Kinderkleidung gibt.“ Sie hat eine richtige Marktlücke gefunden und ernährt damit ihre Familie. Außerdem gibt es nach wie vor festliche Kleidung, die überwiegend von Schneiderinnen her­ge­stellt wird. Nähen verliert also nicht seine Bedeutung.

Gibt es denn noch einheimische Textil­fabriken?

Ja, aber eher für Nischen, weniger für den Massenmarkt. Einige Firmen stellen Stoffe her, und ein großer Markt sind Schul­uniformen. 

45 Prozent in einem Kleidersack sind minderwertig

Zurück nach Deutschland: 45 Prozent der Klamotten in den Sammlungen kann man noch anziehen, sagten Sie...

Vor 15 Jahren waren das noch 65 Prozent! In den 90er Jahren war klar, dass ein Wintermantel Jahre halten muss. Heute heißt es nach drei Jahren: Du hast ja einen ollen Mantel an! Man kauft heute mehr, achtet dabei vor allem auf Farbe und Mode und weniger auf Qualität, und man wirft dann auch schneller weg. Deshalb haben wir im Schnitt in einem Altkleidersack 55 Prozent minderwertige Sachen.

Was heißt hier „minderwertig“ – ich bin doch damit rumgelaufen!

Ich weiß, an Kleidern hängen Gefühle und Erinnerungen. Deswegen löst das Thema Altkleidersammlung auch immer sehr viele Reaktionen aus. Oft erzählen uns die Leute persönliche Geschichten, wenn sie Kleidung abgeben: Das hat mein Mann dann und dann getragen.

Aber wieso sind das dann minderwertige Textilien?

Weil die nur noch zu Rohstoffen oder Putzlappen verarbeitet werden können. Das sind zum Beispiel ausgeleierte Pullover oder Sachen, die die Leute jahrelang im Schrank gehortet haben, völlig unmodern, im Grunde will die niemand mehr haben. Klassischer Fall: Eine alte Dame ist gestorben, der Haushalt wird aufgelöst, sie hat einen grünen Lodenmantel, den sie 20 Jahre getragen hat, immer noch picobello, nix dran – aber im Secondhandladen oder Sozial­kaufhaus würde den keiner nehmen.

Und er ist nicht so alt, dass er wieder chic wäre, also Vintage.

So ist es.

Und was was wird aus dem Lodenmantel der alten Dame? Rohstoff!

Aber die Katastrophengebiete, wo es jetzt kalt ist!

Ja, aber die wollen auch nicht unbedingt den Lodenmantel der alten Dame haben. Die Katastrophenhilfe braucht vor allem Zelte und Schlafsäcke. Und sollten die Hilfs­organisationen doch mal Kleider brauchen, kaufen sie die gezielt von einem Sortier­betrieb ab – warme Anoraks zum Beispiel.

Was wird dann aus dem Lodenmantel?

Rohstoff. Der Sortierbetrieb gibt das, was nicht mehr als Secondhandkleidung zu verkaufen ist, an einen Rohstoffverwerter weiter. Der häckselt Textilien zu einer Art Flocken. Und die werden zum Beispiel Teil von Hutablagen im Auto oder vom „Autohimmel“. Jeansreste gehen auch an Dachpappenhersteller. Die saugfähigen Sachen dagegen, etwa das alte Baumwollbettlaken, werden zu Putzlappen, 17 Prozent der Altkleider enden als Putzlappen.

So viel Putzlappen brauch ich doch gar nicht!

Sie nicht! Aber Autoindustrie, Möbelindus­trie oder Maschinenbau brauchen große Mengen an saugfähigen Lappen. Überall, wo viel poliert oder mit Öl gearbeitet wird.

Landet auch was im Müll?

Ja, knapp 15 Prozent gehen an die Müllverbrennung. Textilreste brennen gut.

Noch einmal ganz praktisch: Ich hab einen ungereinigten Pulli und ein Jackett mit zerschlissenem Futter. Was mach ich jetzt damit – Mülltonne oder Sammelcontainer?

Tja. Da bin ich selber am Zögern. Eventuell kann man aus dem Rohstoff noch was machen. Aber wie viel Transportweg hängt da dann dran? Ist die Ökobilanz am Ende vielleicht sogar negativ? Im Zweifelsfall kann es ökologischer sein, solche Textilien in die Mülltonne zu werfen.

Und was machen Sie selbst mit Ihren ­alten Kleidern?

Ich gehöre zu den Männern, die die Sachen so lange tragen, wie es irgendwie noch geht. 

Was ist Ihr ältestes Kleidungsstück?

Mein Wintermantel, der ist inzwischen zwölf Jahre alt. Den trage ich aus Überzeugung, weil ich finde, dass der noch gut ist.

Ist er noch modisch?

Das kommt drauf an, ob Sie als Mann oder als Frau da draufgucken. Ich finde, es geht noch.

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Sehr gut geführtes und aufschlussreiches Interview. Kriegt alles unter in kurzer Form.
Vielen Dank!

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