Jürgen Domian und Eckart von Hirschhausen auf dem Melatenfriedhof in Köln.
Fotos: Tamara Lorenz
Zum Totlachen!
Der Komiker Eckart von Hirschhausen und der Moderator Jürgen Domian über schwarzen Humor und Schluss mit lustig
Tim Wegner
Tim Wegner
16.06.2015

chrismon: Sie haben auf dem Friedhof gelacht. Darf man das?

Eckart von Hirschhausen: Warum nicht? Es gibt sogar eine alte christliche Tradition, das Osterlachen. Der Pfarrer führte seine Gemeinde über den Friedhof und brachte sie zum Lachen. Der Schmerz, der Tod sollten nicht das letzte Wort haben. Und wir hätten nicht gelacht, wenn Trauernde nebendrangesessen hätten.

Jürgen Domian: Natürlich darf man auf dem Friedhof lachen, wir waren ja ganz unbeschwert. Aber auf diesem Friedhof liegt auch mein Vater. An seinem Grab gibt es für mich nichts zu lachen. Stehe ich davor, läuft immer der Film ab, wie es am Ende war, nach einer zehn Jahre langen Leidenszeit. Vielleicht ist es auch eine Typfrage. Obwohl ich Menschen wie dich, Eckart, beneide – Menschen, die lachend schwere Schicksalsphasen ertragen ­können. Aber irgendwann ist Schluss mit Humor, oder?

von Hirschhausen: Ja, klar. Bisher hatte ich zum Glück mit dem Tod nur in einer relativ friedlichen Art und Weise zu tun, weil die meisten meiner Verwandten an Altersschwäche gestorben sind, ohne lange Leidenszeit. Natürlich ist einem nicht immer nach Lachen zumute. In deinem Job sowieso. Du bist ja so eine Art Seelsorger der Nation; die Leute laden, überspitzt gesagt, ihren Seelenmüll bei dir ab. Was macht das eigentlich mit dir?

Domian: Müll möchte ich das nicht nennen. Dafür sind die Anliegen der Leute zu ernst. Mein Menschenbild aber hat gelitten, weil ich in Abgründe blicke. Andererseits werde ich auch mit unge­heuer starken, couragierten Menschen konfrontiert. Neulich hatte ich eine ältere Frau in der Sendung, die seit 2008 schwer an Krebs erkrankt ist – und die das mit einer derartigen Leichtigkeit hinnimmt, da ziehe ich meinen Hut. Immanuel Kant sagt: "Die Menschen haben gegen die Widrigkeiten des Lebens drei Dinge zum Schutz – das Hoffen, das Schlafen und das Lachen."

von Hirschhausen: Humor lebt von Widersprüchen. Und von der Unfähigkeit unseres Verstandes, die Rätsel der Welt aufzulösen.

Domian: Was muss passieren, dass Humor bei dir nicht wirkt?

von Hirschhausen: Der Wegweiser muss ja den Weg nicht mit­gehen. Ich kann viel leichter andere zum Lachen bringen als mich.

Domian: Stell dir vor, du hättest eine schwere Erkrankung – könntest du damit mit Humor umgehen?

von Hirschhausen: Schwierig. Ich hatte kürzlich eine Operation, am Knie, und ich erlebte zum ersten Mal, dass es nicht so funk­tio­nierte, wie man es von seinem Körper erwartet: schnelle Heilung. Das geht natürlich auf die Stimmung. Aus der Glücksforschung weiß ich, dass es drei große Glückskiller gibt: chronische Schmerzen, Arbeitslosigkeit und Depressionen.

Herr Domian, warum ist der Tod Ihr Thema?

Domian: Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich mit elf, zwölf Jahren die Erkenntnis gewonnen habe, dass wir endlich sind. Das hat mir unglaublich Angst gemacht. Diese Angst zog sich dann durch mein ganzes Leben. Als Jugendlicher suchte ich Hilfe im Glauben. Ich wurde für ein paar Jahre ein tiefgläubiger Christ und stand kurz vorm Theologiestudium.

von Hirschhausen: Ich habe auch mit dem Theologiestudium geliebäugelt! Nicht umsonst waren Heilkunst und Religion über Jahrtausende ein Job: Medizinmann. Wenn die Kirche als Institution an Einfluss verliert, gehen die Leute mit denselben Fragen, mit denen sie früher zum Pfarrer gegangen wären, zum Arzt. 

Domian: Hat Jesus eigentlich gelacht, hatte er Humor? Ich habe damals bestimmt dreimal die ganze Bibel gelesen. Da gibt’s nichts zu lachen. Daher vielleicht auch meine eher ernste Prägung.

"Klar hatte Jesus Humor - wir haben nur so wenig Bewegtbilder von ihm"

von Hirschhausen: Ich glaube doch, dass Jesus Humor hatte, und wenn wir das nicht sehen, liegt das daran, dass wir so wenig Tonaufnahmen und Bewegtbilder von ihm haben. Allein, dass er ­Wasser in Wein verwandelt hat! Das Christentum ist die einzige Religion, in der der Religionsstifter den Rausch sogar herbeiführt. Und ein bisschen Alkohol ist ja sogar der Gesundheit zuträglich. 

Domian: Religion und Humor, ich weiß nicht. Ich hab mich in­tensiv mit dem Zenbuddhismus beschäftigt, mit Hinduismus, auch mit dem Islam. Schallend gelacht wird nirgendwo. Der Zenmeis­ter sagt, ein weises Herz ist ernst und lächelt.

von Hirschhausen: Immerhin! Aber gerade im Zen arbeitet man doch mit unlösbaren Rätseln, den Koans. Wenn ein Baum im Wald umfällt, und es ist niemand in der Nähe, gibt es ein Geräusch? Und wenn ein Mann im Wald spaziert, und keine Frau ist in der Nähe, ist er dann trotzdem im Unrecht?

Domian: Vielleicht hilft ein bisschen Witz. Ein Pfarrer, der Anekdoten erzählen und die in einen ernsten Kontext fassen kann, ist beliebter als einer, der nur trockene Mahnungen reproduziert.

von Hirschhausen: Humor ist die Würze. Das ist wie beim Sandwich, wo der Belag darüber entscheidet, ob ich das Schwarzbrot esse oder nicht. Guter Humor ist aber auch Wahrheit, ist kondensierte Lebenswirklichkeit. Deswegen lachen wir: über die treffende Zusammenfassung von einer Paradoxie, die uns selber schon mal aufgefallen ist, die wir selber aber nicht so treffend hätten formulieren können.

Domian: So finde ich es gut. Ohne Krampf. Aber Krampf ist furchtbar: Ich bin seit Jahren der Palliativmedizin und der Hospizbewegung eng verbunden. Und gerade bei Hospizlern, auch bei einigen Bestattern, erlebe ich oft, dass auch das Traurigste noch humorvoll gesehen werden soll. Das kommt mir aufgesetzt vor. Wenn in einem Sterbehaus Fröhlichkeit und Leichtigkeit zur Ideologie erhoben werden, ist das für mich so, als würde man durch das Lachen den Tod erneut tabuisieren.

von Hirschhausen: Verbissenheit hilft gar nicht. Dann benehmen wir uns wie das Huhn vor dem Zaun, das unbedingt auf die andere Seite will, aber es kommt und kommt nicht drüber. Dabei müsste es nur drei Schritte zurückgehen, um zu merken, dass der Zaun gerade mal einen Meter breit ist. Das heißt: drei Schritte zurück, schon ergibt sich eine andere Perspektive. Dabei ist der Tod der ultimative Lehrmeister, weil vieles, über das wir uns aufregen, in der Rückschau total Banane ist. Der Tod lehrt uns auch: Welche Beziehungen sind am Ende von Bedeutung? Wenn ich todkrank bin, welchen meiner 300 Facebook-Freunde dulde ich überhaupt in meiner Nähe? Es wird klar, wer wichtig ist. Insofern ist es lebensförderlich, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen.

"In Amerika soll man nicht mehr das D-Wort sagen, also 'Death'"

Domian: Das stimmt. Zugleich gibt es eine absurde Entwicklung in der amerikanischen Palliativmedizin: Man soll dort nicht mehr das böse D-Wort sagen, also "death". Da, wo der Tod zu Hause ist, wird am wenigsten über ihn gesprochen! In Deutschland ist das Gott sei Dank anders.

Darf man als Besucher am Sterbebett weinen?

von Hirschhausen: Und dann muss der Patient den Besucher wieder aufheitern! Das hab ich tatsächlich erlebt. 

Domian: Darum geht es oft in meiner Sendung. Dann sage ich immer zu den Anrufern: Weine bitte nicht vor dem Todkranken. Weine, wenn du draußen bist. Wenn der Todkranke allerdings weint und man weint mit ihm – das ist in Ordnung.

Darf man einen Witz machen am Krankenbett?

Domian: Kommt auf die Situation an.

von Hirschhausen: Lachen ist auch eine Form, mit Angst umzugehen. Die besten Witze handeln von Krankheit, Altersgebrechen, Behinderung und Tod.

Haben Sie gerade einen?

von Hirschhausen: Ich habe eine echte Anekdote: Ein Neurologie-Professor sagte mir, er erzähle den Patienten Witze, wenn er auf Visite ist. Das hat einen diagnostischen Wert. Die Reaktion des Patienten sagt viel darüber aus, wie sein Gehirn funktioniert. Also, er kam in ein Zweierzimmer mit neuen Patienten und legte los: "Was ist der Unterschied zwischen einem Fallschirmspringer und einem Tennisspieler? – Der zweite Aufschlag!" Der eine Patient konnte nicht sprechen, aber der andere rollte sich im Bett vor Lachen. Der Oberarzt erbleichte und flüsterte seinem Chef zu: "Herr Professor, das war ein Fallschirmspringer!" Voll in den Fettnapf! Der Patient tat dann immer, wenn er den Professor sah, so, als spielte er Tennis  – und lachte. Aus dem Fettnapf über den Humor in die Empathie! Der Schlüssel zur besseren Atmosphäre auf der Station sind mitfühlende, empathische Menschen, die keine Angst vor peinlichen Situationen haben. Deshalb fördere ich auch mit meiner Stiftung "Humor hilft heilen" Workshops für Pflegekräfte, in denen sie das Improvisieren lernen.

Domain: Aber auf Sterbe- und Palliativstationen ist das was anderes. Man lacht, natürlich! Aber es ist nie ein befreites Lachen. Man weiß, über dem Lachen liegt ein großer Schatten. Das allgegenwärtige Leid und die Gewissheit des nahenden Todes.

von Hirschhausen: Es gibt ein jüdisches Sprichwort, das hilft: "Tränen, die man gelacht hat, muss man nicht mehr weinen." Lachen hat also etwas mit Verarbeitung zu tun. Und welcher Philosoph hat das noch gesagt: "Solange ich lebe, bin ich nicht tot; wenn ich tot bin, stelle ich mir die Frage nach dem Tod auch nicht mehr?"

Domian: Epikur, sinngemäß.

von Hirschhausen: Sehr pragmatisch! Hast du gehört, dass sich in Hamburg Nachbarn gegen den Bau eines Hospizes wehren?

Domian: Das zeigt, dass der Tod bei uns ein Tabu ist.

Warum ist das so?

Domian: Als die Menschen noch fest im Glauben verankert waren, war das anders. Heute leben wir in einem narzisstischen und absolut spaßorientierten Zeitalter: Jugendwahn, Schönheitschirurgie, Castingshows. Da gibt es nichts Schrecklicheres als die Endlichkeit, den Verfall und das Sterben. Der Tod wird als Störfall angesehen und schnell beiseitegeschoben.

"Erfolgsdruck ist zu unterwandern mit dem Gedanken: Wir können das alles nicht mitnehmen"

von Hirschhausen: Es ist zerstörerisch, dass jeder aus sich eine Menge machen und am besten unheimlich berühmt werden muss. Dieser Erfolgsdruck ist ja sofort zu unterwandern mit dem Gedanken, dass du das alles nicht mitnehmen kannst. Deshalb verdrängen wir den Tod, sonst ließe sich diese Gier nach Wachstum und Steigerung nicht aufrechterhalten.

Domian: Und das zieht sich noch in den Tod hinein. Diese pompösen Gräber, die wir eben auf dem Friedhof gesehen haben: so viel Narzissmus und Egozentrik – obwohl man doch schon tot ist!

von Hirschhausen: Obwohl, es kann lustig sein, sich vorzustellen, was man auf seinem Grabstein stehen haben möchte.

Und was stünde da bei Ihnen?

von Hirschhausen: Vielleicht: "Er konnte Lachen machen." Das wäre ein Satz, den ich da gerne finden würde. Oder: "Ich hätte gerne eine zweite Meinung!"

Und Sie, Herr Domian?

Domian: Gar nichts. Ich will keinen Grabstein. Ich will sang- und klanglos anonym beerdigt werden. 

von Hirschhausen: Ich war mal in Nepal dabei, als Leichen verbrannt wurden, nach einer alten Zeremonie. Ich fand das psychologisch sehr geschickt: Die Angehörigen waschen den Toten und nehmen damit Abschied. Dann wird die Leiche verbrannt, die Asche kommt in den Fluss. Da schließt sich ein Kreislauf. Die Trauernden hatten genaue Vorstellungen davon, was zu tun war. Es gab ein Trauerhaus, da kam man für eine bestimmte Zeit rein. Danach war’s auch gut. Bei uns gibt es so wenige feste Rituale, du weißt als Angehöriger nie: Ist es jetzt vorbei?

Domian: Im tibetischen Buddhismus sollen die Angehörigen 49 Tage lang den Toten mittels des Totenbuches täglich ansprechen. Das ist eine Zeit der Auseinandersetzung. Vielleicht fällt es einem so leichter, den Tod anzunehmen und den Toten gehen zu lassen.

"Nach kurzer Zeit lassen wir die Trauernden allein" (Domian)

Trauen wir uns auf Beerdigungen nicht mehr, laut zu weinen?

Domian: Ich glaube, bei Beerdigungen trauen wir uns schon noch. Aber dann? Ich höre oft in meinen Gesprächen in der Nacht, dass die Trauernden nach ein paar Wochen allein sind. Man besucht sie auch nicht mehr. Im eigenen Familienkreis habe ich das auch erlebt: Das Thema ist ganz schnell vom Tisch. Als hätte man Angst, den Tod anzuziehen, wenn man über einen Toten spricht.

Da könnte natürlich Humor schon helfen. Als Eisbrecher...

Domian: Ein für mich sehr bedrückender Fall war, als eine Frau von ihrem sexuell missbrauchten und ermordeten Kind erzählte. Die Familie hatte sich völlig verkapselt. Die Frau konnte weder mit ihrem Mann noch mit ihrem anderen Kind reden und rief in ihrer Not in meiner Sendung an. Ich hatte keinen Trost, allerdings gab es eine Sequenz in dem Gespräch, die etwas lockerer war: Als die Anruferin erzählte, was das Kind gern gegessen hat, womit es gespielt hat. Das war nicht wirklich lustig, aber es war eine Leichtigkeit da. Das hat der Frau geholfen, wenigstens für den Moment. Deswegen spreche ich mit Trauernden oft die Vergangenheit an. Dann gibt es auch mal einen Lacher.

von Hirschhausen: Es geht ja nicht darum, die Trauer zu verdrängen, sondern darum, die Menschen daran zu erinnern, dass dieses beherrschende Gefühl nicht alles ist und sich wandeln wird. Ein Depressiver sieht die Welt eben nur noch verhangen. Es ist ja nicht so, dass ein Mensch, der daran denkt, sich umzubringen, nicht mehr leben will – er will so, wie er jetzt lebt, nicht mehr ­leben. Ich kenne aber auch Geschichten, da greift kein christlicher Trost. Die Freundin eines Bekannten legte sich im Park auf den Rasen, döste ein und wurde von einem rangierenden Müllwagen überfahren. Jetzt soll mir mal einer erklären, dass so was einem großen Plan gemäß passiert!

Domian: Genau. Das war eine der zentralen Fragen, als ich meinen christlichen Glauben verloren habe. Warum lässt dieser Gott, der mir als liebender Gott erklärt wird, so viel Leid zu? Ich weiß, es gibt kilometerlange Abhandlungen darüber, aber nichts davon hat mich überzeugt. Es wird damit argumentiert, dass das Leid letztlich auf den freien Willen des Menschen zurückzuführen sei. Nur, was hat es mit dem freien Willen zu tun, wenn ein Kind ­behindert zur Welt kommt, eine junge Mutter stirbt oder ein Erdbeben Hunderttausende dahinrafft?

Diese Frage ist auch für die Kirche rational nicht lösbar.

Domian: Bist du gläubig, Eckart?

von Hirschhausen: Ich glaube nicht an einen persönlichen Gott, der uns einen Schutzengel schickt. Und auch nicht daran, dass irgendwo geschrieben steht, wie mein Leben zu laufen hat. Ich glaube aber an diesen Satz in der Bibel: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“ – also an das Verbindende ­zwischen Menschen. Es geht den Menschen besser, wenn sie das Gefühl haben, an etwas teilzunehmen, was über sie hinausweist.

Domian: Du glaubst an eine höhere Macht?

von Hirschhausen: „Macht“ klingt so, als wenn die eingreifen könnte. Ich glaube aber, dass wir die Entscheidung haben, so oder so zu handeln. Und wenn Neurowissenschaftler da auch widersprechen, glaube ich, dass es sinnvoll ist, an diese Freiheit zu glauben. Wenn man Menschen sagt, dass sie keinen freien Willen haben, verhalten sie sich noch schlimmer als sowieso schon.

Das ist eine sehr taktische Einstellung zum Glauben!

von Hirschhausen: Glaube wirkt. Und alles, was wirkt, hat Nebenwirkungen. Absolute Gewissheiten bergen eine Gefahr: In einem sozialpsychologischen Experiment wurden Menschen aufge­fordert, einen Vortrag über die Geschichte vom barmherzigen Samariter vorzubereiten. Und sie wurden vorher gefragt, ob sie gläubig sind und ob sie eher als andere Menschen jemandem in Not helfen. Als sie ihren Vortrag schrieben, stürzte hörbar jemand im Nebenraum, das war inszeniert. Die erschütternde Erkenntnis: Die angeblich hilfsbereiten Christen sind häufiger an dem Raum, in dem jemand wimmerte, vorbeigegangen, um ihren Vortrag zu halten. Der war auf ihrer Prioritätenliste wohl weiter oben.

Domian: Ich hatte nie das Gefühl, auf der besseren Seite zu sein. Was mich belastet hat als Christ, war die Frage nach der Schuld. Warum bin ich mit Sünde zur Welt gekommen?

Haben Sie Angst vor dem Tod?

von Hirschhausen: Das hat Woody Allen schon beantwortet. „Ich hab keine Angst, ich will nur nicht dabei sein.“

Domian: Nee, nun mal ernst!

von Hirschhausen: Ja. Ich glaube nicht an eine persönliche Wiedergeburt und hoffe, dass ich noch viel erlebe und anstifte. Es fällt leichter, sich mit dem Tod anzufreunden, wenn Menschen das Gefühl haben, dass andere in ihrem Geist weiterwirken. Dieses Gefühl habe ich, und das tröstet mich auch irgendwie. Mag aber auch daran liegen, dass meine Vorfahren alle Pastoren waren.

Darf man auf Ihrer Beerdigung Witze über Sie machen?

von Hirschhausen: Ich bitte darum!

Domian: Ist die Frage, ob deine Hinterbliebenen das wollen.

von Hirschhausen: Meine Großmutter sagte immer: Auf einer Beerdigung weint jeder seine eigenen Tränen. Der Irrtum ist, dass man um den weint, der im Sarg liegt. Jeder kommt aus diesem Anlass auch an seine eigene Endlichkeit heran. Ich glaube nicht, dass sich das ausschließt – lachen und weinen.

Domian: Ich erinnere mich an die Beerdigungsfeier meines Vaters. Da gab es den Leichenschmaus, der mir sehr lästig war, ich wollte lieber allein sein mit meiner Mutter. An einem Tisch saßen Verwandte, die haben gelacht. Ich fand das unerhört. 

Und wenn jemand auf Ihrer Beerdigung lacht?

Domian: Meinetwegen kann man aus meiner Trauerfeier eine Karnevalssitzung machen. Mich interessiert das nicht mehr. Manche meiner Anrufer haben ihre Beerdigung komplett ge­plant, das ist mir fremd. Ich habe extreme Angst vorm Sterben, vor Leid und Schmerzen. Aber die Angst vor dem Tod hat sich durch die Arbeit an meinem Buch sehr relativiert. Vielleicht ist es irgendwann auch schön, unsichtbar zu werden und zu gehen.

Vielen Dank für dieses tolle Interview. Es ist ein Genuss, diesen beiden tiefsinnigen und doch humorvollen Christen lauschen zu dürfen.
An einer Stelle möchte ich jedoch eine Nachfrage stellen. Eckart von Hirschhausen sagt, dass es ein sozialpsychologisches Experiment gibt bei dem nachgewiesen wurde, dass Christen weniger hilfsbereit handeln. Dieses Experiment konnte ich trotz intensivem Studium der wissenschaftlichen Quellen nicht finden. Ich wäre dankbar für einen Hinweis auf die genaue Quelle, da ich mir dieses Ergebnis inhaltlich nicht vorstellen kann und es auch der aktuellen Forschungslage komplett widerspricht.
Meines Wissens ist für diese Frage nach wie vor ein Experiment von 1970 von Batson & Darley maßgeblich. Dieses Experiment wurde mit Theologiestudenten durchgeführt. Es gab allerdings keine Versuchsbedingung und keine Experimentalkriterium in Bezug auf den aus wissenschaftlicher Sicht äußerst schwammigen Begriff „Christ sein“. Das Ergebnis dieses Versuchs weißt ebenfalls in eine andere Richtung. Es wurde gerade belegt, dass nicht innere Überzeugung sondern äußere Umstände (z.B. Zeitdruck) für Hilfehandeln verantwortlich sind. Diese Erkenntnis wurde danach mehrfach bestätigt. Daraus könnte man im Extremfall ableiten, dass Christen genauso hilfsbereit sind wie Nicht-Christen. Die geringere Hilfsbereitschaft von Christen, ergibt sich aus meiner Sicht daraus jedoch nicht.

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Autor des folgenden Beitrages ist Iwan der Schreckliche. Gast schrieb am 2. August 2012 um 13:27. "Daraus könnte man im Extremfall ableiten, dass Christen genauso hilfsbereit sind wie Nicht-Christen." Und was hätte ich von dieser sogenannten Erkenntnis? Was wäre anders, wenn die Christen Weltmeister in Hilfsbereitschaft wären und der Rest der Menschheit diesbezüglich schwer zu wünschen übrig lassen würde? Was hätte es für Folgen, wenn es gerade andersherum wäre? ______________________________ Angenommen, ich falle von einem Pferd, das bei der Abtei Himmerod den Pferdesegen erhalten hat. Interessiert es mich wirklich, ob der Ersthelfer oder der Sanitäter ein hilfsbereiter Mensch ist? Oder darf er in dieser psychologischen Kategorie ruhig schwer patzen, solange er seine Hilfe sauber hinbekommt? Hat es mich zu interessieren, ob der Mann im weißen Kittel Christ ist oder nicht? Spielt es eine Rolle, ob das Pferd evangelisch, katholisch oder atheistisch herumwiehert? __________________ Für Leser, die das Beispiel mit dem Pferdesegen für etwas weit hergeholt halten, ein kleiner Tipp: Öffnen Sie den Link, der sich hinter dem "Gast" meines Vorkommentators befindet!

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Vielen Dank für das interessante und informative Gespräch.
Ich bedaure sehr, daß die christlichen Religionen so wenig Humor haben und über sich selbst am wenigsten lachen können. Daher meine Empfehlung an die Herren bzw. auch an den geneigten Leser. Kaufen Sie sich das Buch Dixie Chicken von Frank Ronan. Darin läßt der Autor den Herrn seine ganz persönliche, "göttliche" Geschichte erzählen. Und gleichzeitig wird darin Herrn Domians Frage nach dem Warum des vielen Leids auf der Erde von Ihm ganz persönlich erklärt. Er habe diese Welt zwar gemacht, aber nicht die Regeln, nach denen sie funktioniert.
Das Bild von Gott als Betrachter, der nur einmal den Fehler beging, eingreifen zu wollen, in dem er uns seinen Sohn geschickt hat ("eine Eitelkeit", wie er im Roman sagt), hat mir ausnehmend gut gefallen. Ich mag diesen sehr - für die christlichen Kirchen natürlich all zu sehr - persönlichen Gott und würde ihm sogar huldigen. Aber seine Gotteshäuser sind noch nicht gebaut.

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