Pränataldiagnostik: Im Mai kommt ein neuer Ungeborenen-Test auf den Markt. Ist die Aufregung darüber gerechtfertigt?
23.04.2012

 Ende Mai kommt ein neuer Ungeborenen-Test auf den Markt. Die Aufregung ist groß: noch mehr Selektion, noch mehr Abtreibungen von behinderten Kindern! Doch bedeutet der Praena-Test der Firma LifeCodexx tatsächlich eine Verschärfung der eh schon scharfen Fahndung? Und bedeutet er eine Verschärfung der Tatsache, dass 9 von 10 Schwangeren ihr Kind abtreiben, wenn sie wissen, dass es ein Downsyndrom hat?

Schon heute lassen 85 % der Schwangeren ihren Fötus überprüfen

Das ist die Situation heute: Mittlerweile lassen 85 Prozent der Schwangeren – über die regulären drei Ultraschalle hinaus — mit mindestens einer Methode den Fötus überprüfen; ein Viertel von ihnen gab in einer Befragung an, dem Check auf Wunsch von Arzt/Ärztin zugestimmt zu haben. Nur 15 Prozent lassen keine Pränataldiagnostik durchführen — zum Beispiel weil sie ihr Kind annehmen wollen, egal wie es beschaffen ist.

Meist wählen die Schwangeren das Ersttrimester-Screening (100–150 Euro). Aus Blutwerten, Alter der Mutter und Nackendicke des Fötus wird ein Risiko abgeschätzt. Ob das Kind aber tatsächlich eine Trisomie hat, klärt man bislang meist mit einer Amniozentese. Dabei wird mit einer Hohlnadel durch die Bauchdecke Fruchtwasser entnommen (die Krankenkasse übernimmt die rund 700 Euro). Risiko: Bei etwa einer von 100 Amniozentesen erleidet die Frau eine Fehlgeburt.

Künftig kann man der Schwangeren Blut abnehmen und darin die DNA-Fragmente des Babys untersuchen, in erster Linie auf Trisomie 21. Kosten: etwa 1300 Euro, selbst zu bezahlen. Sinnvoll ist der Test erst ab der 12. Woche, da bis dahin viele fehlgebildete Föten ohnehin absterben.

Aufregen sollte man sich über etwas anderes

Der neue, harmlose Bluttest soll die riskante Amniozentese ersetzen. Es würden also nicht mehr Kinder mit Trisomie 21 entdeckt. Vielmehr würden Kinder gerettet: die ein Prozent, die bislang durch eine Amniozentese sterben. Macht bei rund 70 000 Amniozentesen im Jahr 700 Babys.

Kurzum: Speziell wegen dieses Tests muss man sich nicht aufregen. Er macht die Situation nicht dramatischer als sie eh schon ist. Aufregen sollte man sich dagegen zum Beispiel hierüber: dass die seit 2010 geforderte ergebnisoffene Beratung (das ist mehr als bloßes Informieren!) vor und nach Pränataldiagnostik in vielen Praxen nicht stattfindet; und dass die Eltern behinderter oder chronisch kranker Kinder einen Hürdenlauf absolvieren müssen, um für ihr Kind das zu bekommen, was es braucht und was ihm zusteht – zum Beispiel Unterricht an einer „normalen“ Schule, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention seit 2009 vorschreibt.

Vielleicht würden sich dann mehr Eltern zutrauen, ein – eigentlich doch gewünschtes – Kind großzukriegen, auch wenn es behindert sein sollte.

"Speziell wegen dieses Tests muss man sich nicht aufregen. Er macht die Situation nicht dramatischer als sie eh schon ist" DOCH: ich bin der Meinung, dass man sich aufregen sollte und dagegen wehren, dass hier ein Test entwickelt wurde, mit dem gezielt nach einer Störung, nämlich der Trisomie 21, gesucht wird. Die Zahl der Abbrüche bei Down-Syndrom wird ansteigen, weil es vor der 14.SSW technisch einfacher ist.
Das Ersttrimester-Screening mit einem gut durchgeführten Ultraschall ist eine sinnvolle Methode der Pränataldiagnostik, insbesondere wenn sie angewandt wird unter dem Aspekt, nach Abweichungen zu suchen, die die weitere Betreuung der Schwangerschaft beeinflussen. Vorsorge in der Pränataldiagnostik ist nicht gleichzusetzen mit Suche nach Fehlern und Selektion sondern mit der Suche nach Risikofaktoren und nachfolgend Abwendung von Schaden durch intensivere Betreuung und Geburtsplanung.
Das grundlegende Ärgernis für mich ist die im letzten Jahr erfolgte, zum Teil unqualifizierte Diskussion unter dem Aspekt "Ethik" und Hetzjagd auf betroffene Familien und die Tatsache, dass nun mit Mitteln aus dem Bundesforschungsministerium gefördert, ein Test entwickelt wurde, der aufgrund der Patentierung des Verfahrens, der amerikanischen Muttergesellschaft eine Lizenz zum Gelddrucken gibt.
Den Eltern betroffener Kinder wird es dadurch nicht einfacher, im Gegenteil.

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Selbstverständlich sollte man empört sein, vor allem im Hinblick darauf, wie viel Geld von Seiten des Bildungs(!)- und Forschungsministeriums hier zugeschossen wird - Geld, dass man gut für die immer noch unzureichende Inklusion nutzen könnte.
Und natürlich wird es durch den Test mehr Abtreibungen geben. Denn das Signal ist es, was so scheußlich wie klar ist: Wir - die Gesellschaft - wollen keine Menschen mit Downsyndrom mehr haben. Dänemark etwa hat sich ganz öffentlich zum Ziel gesetzt, dank des Tests bis 2030 keine neuen Menschen mit Downsyndrom mehr im Land zu haben! Ein schlichter Bluttest, kein Wehwehchen für die Mutter, keine Gefahr für die anscheinend als wertvoller betrachteten "normalen" (wobei sich das nach der Geburt auch anders darstellen kann) Kinder - was danach kommt, kann man sich ausmalen ... Eine einfache Abtreibung, noch keine für die Mutter lästige Spätabtreibung, danach schnell wieder schwanger und gucken, ob es diesmal der Norm entspricht. Sonst: Einfach wieder ab in den Müll damit.

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