Foto: Katrin Binner
Er hat sie einmal gesehen und dann nie wieder. Nun sucht er. Wenn sie ihm wenigstens schreiben würde, dass sie ihn nicht näher kennenlernen möchte! Dann könnte der junge Wang mit Suchen aufhören
Tim Wegner
10.06.2011

C. Wang, 25:

Ich hatte am Frankfurter Flughafen einen Freund ver­abschiedet, der nach Peking zurückflog, und fuhr mit der Rolltreppe zur S-Bahn runter, da sah ich sie vor mir: eine junge asiatische Frau, die Mühe hatte, dass ihre zwei Rollkoffer und die Reisetasche nicht auf der Treppe kippten. Vielleicht ist sie zum ersten Mal in Deutschland, dachte ich – so wie ich damals, als ich aus China hier ankam, um in Marburg zu studieren.

Als die S-Bahn einfuhr, bot ich ihr kurzentschlossen meine Hilfe an und nahm dann den größten Koffer. Er wog bestimmt 30 Kilo. Ja, sie komme gerade aus Tokio, und ihre Mutter habe ihr viel japanisches Essen einpackt, erzählte sie, als wir uns in der S-Bahn gegenüberstanden. Wir plauderten, und es war eine wunderbare Stimmung zwischen uns. Als kennten wir uns schon lange.
Sie wohne in Frankfurt, sagte sie und nannte auch den Stadtteil – aber gerade da war die S-Bahn so laut, dass ich nichts verstand. Aus Höflichkeit fragte ich nicht nach. Damit sie sich nicht bedrängt fühlt, hatte ich auch extra den Koffer zwischen uns gestellt. Außerdem ist das politische Verhältnis zwischen China und Japan schlecht, sie sollte einen Chinesen positiv kennenlernen.

Sie sollte sich bloß nicht belästigt fühlen!

Am Hauptbahnhof trug ich den Koffer auf den Bahnsteig und fragte, ob ich ihr auch beim Umsteigen helfen könne. „Nein danke, es geht“, sagte sie. Vielleicht sagte sie das, weil sie dachte: Er muss noch weiter nach Marburg, ich will ihn nicht aufhalten. Und ich dachte: Sie soll sich nicht belästigt fühlen. Wir in Asien denken ja immer für den anderen.

Also sprang ich wieder in meine S-Bahn, die Türen gingen zu, aber der Zug fuhr nicht an. Damit ihr die Situation nicht peinlich ist, schaute ich auf den Boden. Ich dachte: Warum geht sie nicht weg! Als ich den Kopf wieder hob, stand sie immer noch vor der Scheibe, blickte mich an und winkte. Die S-Bahn fuhr los, sie winkte und winkte. Und mir wurde klar: Ich hatte mich in sie verliebt. Wenn sie nicht so lange gewinkt hätte, wäre sie wohl ein normaler Mensch für mich geblieben.

An der nächsten Station stieg ich aus und fuhr zurück. Sie war fort. Ich wusste nicht, wie sie heißt, wo sie wohnt, was sie in Frankfurt macht. Auch ich hatte meinen Namen nicht gennant, denn in Ostasien gilt es als gutes Verhalten, wenn man jemandem hilft, ohne zu sagen, wie man heißt. Ich weiß nicht, ob auch sie sich verliebt hat. Aber ich weiß, dass sie mich sympathisch fand. Und höflich. Ich würde sie einfach gern wiedersehen. 

Also fing ich an, sie zu suchen. Nach den Vorlesungen fuhr ich nach Frankfurt und hängte Zettel aus, auf denen ich fragte, ob jemand eine junge Japanerin kennt, die am 12. November aus Tokio in Frankfurt angekommen und mit der S8 um 15:30 Uhr zum Hauptbahnhof gefahren ist. Weil in Deutschland Kapita­lismus ist, bot ich auch einen Finderlohn an. Ich hängte bestimmt 1300 Zettel aus, an Haltestellen, an den Unis, in japanischen Insti­tutionen, warf Zettel in Briefkästen mit japanischem Namen. Und ich startete eine Homepage: www.nihonjin.de.

Trotzdem werde ich nicht mehr weitersuchen

Vielleicht hat sie ja Angst. Aber sie könnte mir doch von einer gefälschten E-Mail-Adresse aus mailen! Am besten mit einem Foto ihres großen Koffers, damit ich sicher sein kann. Denn mir haben Männer gemailt, das sei ihre Freundin. Sie könnte auch schreiben, dass sie mich nicht näher kennenlernen will. Das wäre hart, aber ich würde es akzeptieren, ich will sie ja nicht stören in ihrem Leben. Dann könnte ich mit dem Suchen aufhören. Jetzt denke ich immer, sie weiß noch nichts von meiner Suche nach ihr.
Ich habe bereut, dass ich sie nicht nach ihrem Namen gefragt habe in der S-Bahn. Aber danach habe ich das Richtige getan, verrückt, aber richtig.

Trotzdem werde ich jetzt nicht mehr weiter­suchen. Auch weil ich mitten in den Abschlussprüfungen bin. Ich habe eine Flaschenpost abgeschickt. Jetzt muss ich warten, ob sie sie findet, oder ob ich eben nie eine Antwort bekomme. Wenn ich mich später noch  mal verliebe, werde ich diese ­Person nicht suchen, jedenfalls nicht in dieser Weise. So was macht man nur einmal im Leben.

Protokoll: Christine Holch

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Och, ich glaub ich heul gleich!! Sehr traurig, aber gut geschrieben. Zuerst musste ich an einen dieser Hollywood- Streifen denken, aber dann fing in meinem Kopf eine Melodie,von Glöckchen und Flöten geleitet, an melancholisch zu spielen. Und es bildete sich ein Szenario vor meinem inneren Auge, dass man sonst nur in alten japanischen oder chinesischen Filmen sieht. Daring geht es um Ehre, Stolz, Respekt aber vor allem um die Liebe.

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