Wohnlage MitStadtZentrale aus Köln in Hamburg
privat
"Wir haben großen Nachholbedarf"
Neue Wohnformen entwickeln und anregen, dass geht jetzt dank der neuen "MitStadtZentrale" auch in Köln. Auf einer Exkursion nach Hamburg gab es Einblicke in viele Best-Practice-Fälle.
Tim Wegner
13.10.2022

Vor einigen Monaten trudelte eine Anfrage in meiner Baugemeinschaft in Hamburg ein. Ob wir einer Gruppe aus Köln im Rahmen ihrer Fachexkursion nach Hamburg unser Haus und unser Gemeinschaftskonzept präsentieren könnten.

Sehr gerne haben wir zugesagt und Ende September hatten wir Besuch vom Rhein. Die Gruppe war hochkarätig besetzt. Mitglieder des Rates der Stadt Köln, des Stadtentwicklungsausschusses waren ebenso dabei wie Mitarbeitende der Verwaltung und des Liegenschaftsamtes. Hintergrund der Reise war die im Frühjahr erfolgte Gründung der MitStadtZentrale Köln.

Zusammen mit meiner Baugruppennachbarin Nicole Smit haben wir der Gruppe unser Konzept erklärt, ihnen von unseren Highligts und Tiefpunkten seit der Gründung unserer Baugemeinschaft im Jahr 2010 erzählt. Und natürlich haben wir ihnen auch unser frisch mit einem Preis der Stadt Hamburg ausgezeichnetes Gemeinschaftsdach gezeigt.

Nach dem Besuch habe ich mit Almut Skriver über die Situation in Köln und die Gründe für ihre Recherchereise gesprochen. Almut ist Architektin und Mitgründerin des Netzwerks gemeinschaftliches Bauen und Wohnen in Köln und leitet mit Sascha Gajewski zusammen die neu gegründete MitStadtZentrale.

Die Kölner „MitStadtZentrale“ gibt es erst seit Februar diesen Jahres. In anderen Städten, wie hier in Hamburg, in Frankfurt oder auch in München gibt es ähnliche Institutionen schon seit Jahren. Hinkt Köln hinterher?

Almut Skriver: Leider ja, wir haben einen großen Nachholbedarf. Es gab in Köln seit 2009 Grundstücksvergaben für weniger als 20 kleinere gemeinschaftliche Wohnprojekte. Das ist für die viergrößte Stadt Deutschlands wirklich ein Armutszeugnis.

Ich habe ja für meinen Blog schon mal die Baugemeinschaft StadtTeilchen in Nippes besucht. Mir gefiel es dort sehr:  bunt, kleinteiliger, nicht so einheitlich wie beispielweise hier bei uns in der HafenCity in Hamburg.

Ja, das ist auch ein schönes Beispiel. Hier wurde auf dem Gelände einer ehemaligen Gummifabrik vieles richtig gemacht. Aber, und das ist irgendwie auch wieder typisch für Köln: Es gab einen tollen Ansatz, am Ende allerdings wurde einiges nicht umgesetzt wie geplant. Zwar wollen alle Innovation beim Bauen, neue Wohnformen, viel Gemeinsinn und Gemeinwohl, doch realisiert wird dann doch oft das Standard-Konzept des finanzstärksten Investors, mit oder ohne Kölner „Klüngel“.

Und das soll sich durch die MitStadtZentrale jetzt ändern?

Zumindest ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Es gibt jetzt für Bauprojekte, Planer*innen und vor allem eben auch die Fachmenschen aus und in der Kölner Bauverwaltung mit unserer Beratungsstelle eine ganz offizielle Ansprechpartnerin. Unsere Expertise ist, und das finde ich wirklich ganz wichtig, auch schon gefragt, bevor es an die Entwicklung neuer Gebiete geht. Immerhin wird es davon in den nächsten Jahrzehnten drei geben: Köln Kreuzfeld, Deutzer Hafen und die Parkstadt Süd

Dass wir da jetzt schon mit dabei sind, das ist ein gutes Zeichen.

Ist Eure Finanzierung langfristig gesichert?

Sie ist zumindest für die nächsten beiden Jahre vorgesehen. Wir sind angedockt am Haus der Architektur Köln, einen von der Stadt geförderten Verein, der sich mit wöchentlichen Veranstaltungen um die bürgernahe Vermittlung von Themen der Baukultur kümmert.

Welches Ziel hatte Eure Reise nach Hamburg?

Lernen, sich fortbilden. Als „Netzwerk gemeinschaftliches Bauen und Wohnen“ machen wir das seit 2016: Wir waren in Berlin, Tübingen, Wien, zum zweiten Mal in München und nun auch in Hamburg. Unser Ziel ist es immer Projekte, von denen wir hören und lesen, live zu sehen und mit den Menschen sprechen, die sie entwickelt haben.

Was war diesmal anders?

Wir hatten jetzt viele Menschen dabei, die später mitentscheiden werden, wie die Konzeptverfahren aufgestellt werden. Da ging es wirklich um ganz, ganz praktische Fragen. Ich glaube, wir haben alle enorm viel gelernt.

Und wie habt Ihr Hamburg wahrgenommen?

Ich finde, wir konnten sehr praxisnah sehen und erleben, welche Bereicherung gemeinschaftliche Wohnprojekte in Neubaugebieten sein können. Sie tragen zur baulichen und sozialen Vielfalt bei, zeigen innovative Lösungen auf und sind ein Nährboden für nachbarschaftliches Engagement. Mit der gemeinschaftlichen Entwicklung von Wohnprojekten geht eine intensive Auseinandersetzung mit dem Ort und den Wünschen, wie man besser leben will, einher. Das stärkt den nachbarschaftlichen Zusammenhalt und endet nicht mit dem Einzug.

Der in Hamburg über alle Parteien hinweg bestehende Konsens, Baugemeinschaften als Pioniere der Stadtentwicklung wertzuschätzen und durch immer neue Angebote zu unterstützen, ist Ergebnis der guten Erfahrungen mit den Projekten. Die Verfahren werden zudem laufend weiterentwickelt und evaluiert, wovon andere Städte lernen können.

Die Vielfalt der Projekte zeigt aber auch, dass es keine standardisierten Konzepte gibt, die für alle passen. Gerade in den Unterschieden und besonderen Ideen der Gruppen liegt die Kraft und Einzigartigkeit der entstandenen Räume und Atmosphären. Das macht die Lebendigkeit aus und unterscheidet sie von der gängigen Marktware. Sie zeigen, dass immer wieder Neues möglich ist und machen Mut, es selbst zu versuchen.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß aus eigener Erfahrung: Das eigene Wohnglück finden ist gar nicht so einfach. Dabei gibt es tolle, neue Modelle. Aber viele kennen die nicht. Und die Politik hinkt der Entwicklung sowieso hinterher. Über all das schreibt sie hier.