Dorothea Heintze _Baustelle
Andreas Honert
Kommt, wir bauen ein Haus zusammen
Gemeinsam ein Haus bauen, in der Gemeinschaft leben. Tolle Idee - doch der Weg dahin ist steinig.
22.02.2021

Es war irgendwann 2015, an einem Abend, bei einer unserer monatlichen Versammlungen. Um 22 Uhr konnte ich einfach nicht mehr. Seit drei Stunden saßen wir zu gut fünfzigLeuten in dem engen Raum; die Fenster konnte man nicht öffnen, es war stickig.

Wir diskutierten mal wieder über 1000 Kleinigkeiten: Welcher Lichtschalter sollte Standard werden? Welche Farbe wählen wir für die  Sonnenrollos? Wie breit ist eine Türzarge? Türzarge? Was zum Teufel ist eine Türzarge? Das war mir alles so was von egal.

Ich wollte mit diesen Menschen zusammen in einem großen Haus leben, Partys feiern, Gemeinschaft hochleben lassen, unsere damals noch minderjährigen Kinder mit Gleichaltrigen in einem Wohnprojekt zusammenbringen, aber ganz bestimmt nicht über die Form von Wasserhähnen diskutieren. Dabei stand erst der Rohbau, unser Einzugstermin schob und schob sich.

Aufhören? Weitermachen?

Ich stand auf und ging. Wie schön öfter hatten mein Mann und ich in dieser Nacht eine heftige Diskussionen. Aufhören? Weitermachen?

Natürlich machten wir weiter. Seit über vier Jahren leben wir jetzt in unserer Neubauwohnung in der Baugemeinschaft in Hamburg. Es bringt Spaß. Über 120 Menschen gehören dazu; nur unsere Söhne nicht. Die waren längst weg aus Hamburg, als wir endlich einziehen konnten. Nun haben wir eine große Wohnung, mit „Kinder“zimmern, in denen vor Corona oft Gäste übernachteten und die jetzt zu Arbeitszimmern im Homeoffice wurden. Ein weiterer echter Luxus, allerdings ungeplant.

Eine Baugemeinschaft gründen, ein Haus zusammen entwickeln, gemeinsam einziehen und dann die Gemeinschaft leben – das wollen immer mehr Menschen. Vor einigen Wochen las ich eine Untersuchung der BAT-Zukunftsstiftung. Am wichtigsten für die meisten Menschen ist: Gemeinsam und nicht einsam leben. Kenne ich. Neulich rief mal wieder eine Freundin an: "Sag mal Dorothea, die Kinder sind aus dem Haus, wir wollen wieder in die Stadt. Aber wir haben kein Geld für eine teure Wohnung. Bei Euch war es doch günstiger. Wie geht das denn so, eine Baugemeinschaft zu gründen?"

Genau: Wie geht das eigentlich?

Mir gefällt unsere Gemeinschaft. Ich würde es immer wieder machen und ich rate auch allen Freundinnen: Ja, machen. Aber ich sage auch, wie kompliziert und anstrengend ein gemeinsamer Bauprozess ist. Viele Menschen lernen, wie ich, erst NACH dem Einzug, was sie VOR der Bauplanung alles hätten besser machen können.

Es gibt zu wenig gute Ratgeber, zu wenig Best-Practice-Beispiele, zu wenig Leitfäden. Jedes Bundesland macht sein eigenes Ding. In Hamburg sind Baugemeinschaften der Hype; München fördert eher die Baugenossenschaften. Mal werden Grundstücke aus öffentlicher Hand in Erbpacht vergeben, mal zu einem vergünstigten Kaufpreis angeboten. Im Gegenzug verpflichten sich die Kauf- oder Mietgemeinschaften oft zu Gegenleistungen: Sie stellen ihre Gemeinschaftsräume für die Nachbarschaft zur Verfügung; verzichten auf das eigene Auto oder integrieren eine Kita in ihrem Haus.

Wir haben übrigens auch eine. Nun sind die spielenden Kinder im Innenhof lauter als erwartet. Vielleicht hätte ich mich damals in den Diskussionen um mögliche Lärmschutzmaßnahmen doch mehr einbringen sollen?

In den nächsten Monaten werden wir bei chrismon Beispiele für gelungene Experimente vorstellen. Unsere Rubrik heißt "Wohnglück". Dazu gibt es diesen Blog, in dem ich von meinen Recherchen, Begegnungen und Hintergründen erzähle. Oder vielleicht auch von Ihrem Wohnglück? Schreiben Sie mir!

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Kolumne

Dorothea Heintze

Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß aus eigener Erfahrung: Das eigene Wohnglück finden ist gar nicht so einfach. Dabei gibt es tolle, neue Modelle. Aber viele kennen die nicht. Und die Politik hinkt der Entwicklung sowieso hinterher. Über all das schreibt sie hier.