Wohnglueck Obdachlosigkeit
Die Zeichnung stammt aus dem Buch; Ralf Zeigermann hat sie angefertigt
"Jetzt bin ich eigentlich nichts mehr"
Wohnglück? Für obdachlose Menschen sieht das alles ganz anders aus. Eine Geschichte von Jens Ade, ehemaliger Geschäftsführer des Hamburger Straßenmagazins Hinz&Kunzt.
10.06.2021

Neulich bekam ich ein Buch geschenkt (danke für die Vermitlung lieber CG in Berlin). Es kam mit der Post.

Es gab ein Begleitschreiben. Unterschrieben hatte es Jens Ade, ein Name, der mir als Hamburgerin nicht ganz unbekannt  war. Ich zitiere:

"Ich war in den letzten 15 Jahre Geschäftsführer beim Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt. Während dieser Zeit hatte ich immer ein kleines Notizbüchlein in meinem Schreibtisch, um mir die Geschichten, die man sich bei größter Phantasie kaum einfallen lassen kann, zu merken. Daraus ist das anliegende Büchlein entstanden: ein unverfälschter Blick auf Hamburgs Straßen und die Menschen, die dort leben."

Ich fing an in dem Buch herum zu blättern, und war,  um es mal neudeutsch zu sagen, komplett geflasht. Natürlich sehe ich immer wieder Obdachlose bei uns in Hamburg auf den Straßen, doch mein Kontakt beschränkt sich, wenn überhaupt, darauf, die neueste Ausgabe von Hinz&Kunzt zu kaufen.

In den nächsten Tagen jedoch versank ich in den kleinen Geschichten, und las auch meinem Mann daraus vor. Über Spinne, Zieges Beerdigung, über Tyson und Moni. Harte Geschichten, nichts für zarte Seelen. Da wird gesoffen und geprügelt, geschimpft und gestorben. Es gibt keine Schutzzone und vieles ist absolut nicht politisch korrekt.

Im Telefonat erzählte mir Jens Ade, dass er keinen Verlag gefunden habe; zu brutal seien die Geschichten. Das wolle keiner lesen.

Was hat das alles mit meinem Blog Wohnglück zu tun? Obdachlose haben keine Wohnung. Eben.

Spätestens als ich auf S. 85 an diese Geschichte über Torsten (nicht sein richtiger Name) kam, wurde ich noch mal sehr traurig. Lest selbst:

Ohne Worte

Identitätsverlust

„Die folgende kleine Geschichte ist es weiß Gott wert,
ein wenig länger über sie nachzudenken.

Sie ist im Grunde sehr traurig und gibt uns einen brutal
tiefen Einblick in die Seele von Torsten.

Torsten schlief über sehr lange Zeit immer draußen, im
Winter oft in leerstehenden Häusern.

Für die anstehenden harten Winter Monate hatte ihm unser
Sozialarbeiter ein Zimmer besorgen können.

Torsten reflektiert dies und kommt zu der folgenden
erschütternden Erkenntnis:

„Jetzt bin ich ja noch nicht mal mehr ein Obdachloser.
Jetzt bin ich eigentlich nichts mehr.“

 

Infos:
Das Buch hat Jens Ade auf eigene Kosten in einer Auflage von 200 Stück drucken lassen, etwa 50 Stück gibt es noch im Mopo-Shop zu kaufen. Es kostet nur 15 Euro.

 

 

 

Permalink

Sehr witzige Geschichten .... habe mich schlapp gelacht. Wenn auch mit ernstem Hintergrund!

Vielen Dank für den Tipp

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Kolumne

Dorothea Heintze

Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß aus eigener Erfahrung: Das eigene Wohnglück finden ist gar nicht so einfach. Dabei gibt es tolle, neue Modelle. Aber viele kennen die nicht. Und die Politik hinkt der Entwicklung sowieso hinterher. Über all das schreibt sie hier.