Skyline von Chicago mit Lake Michigan im Vordergrund
Skyline von Chicago mit Lake Michigan im Vordergrund
Dylan Lapierre/Unsplash
Landnahme mit Mord und Totschlag
Um ungerechte Besitzverhältnisse von Grund und Boden ging es hier schon öfter. Aber deswegen jemanden ermorden? In neuen Krimi von Sara Paretksy geschieht genau das.
18.05.2021

V. I. Warshawski ist eine Kämpferin für das Gute, auch wenn es um etwas so Abstraktes wie Baupläne und öffentliche Vergabeverfahren geht. Über ähnliche Dinge habe ich in diesem Blog ja bereits geschrieben. Was ich bisher nicht wusste, ist, dass es diese Themen, in all ihrer Komplexität, schon längst auch in die Krimiliteratur geschafft haben.

„Landnahme“, lautet der Titel des jüngsten Buches der in Chicago lebenden Autorin Sara Paretsky. Die US-Amerikanerin ist weltbekannt, mit einer großen Fangruppe. Als sie vor über 20 Jahren ihr erstes Buch über die charismatische und damals noch junge Privatdetektivin  V. I. Warshawski herausbrachte, war das noch eine kleine Sensation: Eine Frau, die sich prügelte und schoss; die sich mit harten Bandagen durch die Welt der organisierten Kriminalität kämpft und weder sich selbst noch anderen gegenüber besonders zimperlich ist.

In „Landnahme“ geht es um die ganz großen Fragen: Die Auswüchse des Finanzkapitalismus, der Neo-Kolonialismus (Spoiler: Chile/Minen/Ausbeutung von Arbeitern); um Grund- und Bodenspekulation, die Waffenlobby, die Verrohung der Gesellschaft, das Patriarchat. Ach ja, das miese Showgeschäft krieg auch noch was ab. 

„Landnahme“, übersetzt von Else Laudan. Ariadne Verlag, 544 S., 24 Euro

Hört sich alles ein bisschen überladen und vielleicht sogar etwas abtörnend an. Und in der Tat denkt auch die wohlmeinende Leserin an einigen Stellen: Ein bisschen weniger Politik-Keule wäre vielleicht ein bisschen mehr an Überzeugungskraft gewesen. Denn Paretsky will ja überzeugen und zwar nicht nur ihre Anhängerschaft, sondern auch die anderen; die, die außerhalb ihrer Blase leben und so ganz, ganz anders denken.

Mal abgesehen von dieser kleinen Kritik, lesen sich die über 500 Seiten wie im Flug.  V. I. Warshawski – ihr Vorname ist Viktoria, doch denn nennt sie selten, weil das zu „weiblich“ klingt – ist witzig und schlagfertig. Sie unterhält sich mit ihren Hunden genauso wie mit dem alternden Nachbarn; sie hat ein paar (wenige) Freunde, einen sympathischen Liebhaber. Sie ist total ehrlich mit sich selbst, heult vor anderen oder kämpft mit Rückenverspannungen, wenn sie nachts nicht in ihrem Bett schlafen konnte. Sie ist halt kein junger Hüpfer mehr. Doch Power hat sie immer noch für zehn, rettet im Buch eine traumatisierte Sängerin, erledigt ein paar korrupte Stadtpolitiker und lässt sich auch von der Mafia nicht kleinkriegen.

In Deutschland gibt der Argument-Verlag die Bücher von Sara Paretsky in der Ariadne-Reihe heraus. Verlegerin Else Laudan, die viele Bände, so auch "Landnahme", hervorragend übersetzt, veröffentlicht schon seit den 1980er Jahren ausschließlich Bücher weiblicher Autorinnen und hat sich aus der Nische längst nach oben gearbeitet. Frauen sind heute im Tatort als Kommissarin genauso selbstverständlich knallhart in den Ermittlungen, wie sie es früher nur als ewig verständige Sekretärin des "Alten" waren. Gott sei Dank.

Mit „Landnahme“ ist ein kleine neues Juwel erschienen. Spannend, amüsant und dazu sehr lehrreich. Genau die richtige Lektüre für alle, die keine  Lust mehr darauf haben, dass dass andere ihr Leben bestimmen.

Wie schreibt es Else Laudan in ihrer Ankündigung so treffend:  "Ich lese Landnahme als Ode an die Aufklärung, bin erinnert an das Geschichtswerkstätten-Motto ‚Grabe, wo du stehst‘, ab den 1980ern weltweit Methode gesellschaftspolitischer Geschichtsaufarbeitung. Das Ziel: demokratische Selbstermächtigung durch Zutagefördern der Geschichte der eigenen Lebensbedingungen, um die Deutungsmacht nicht herrschenden Eliten zu überlassen, um sich kollektiv als historische Akteur*innen zu begreifen, um Gegenwart und Zukunft mitzugestalten.“

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Kolumne

Dorothea Heintze

Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß aus eigener Erfahrung: Das eigene Wohnglück finden ist gar nicht so einfach. Dabei gibt es tolle, neue Modelle. Aber viele kennen die nicht. Und die Politik hinkt der Entwicklung sowieso hinterher. Über all das schreibt sie hier.