Dorothea Heintze Wohnlgück Tiny House Boom
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Was bitte ist daran fortschrittlich?
Tiny Houses sind ein Hit. Überall entstehen neue Plätze. Schön, wenn es sich um eine wirkliche Minderung der Dauerwohnfläche handelt. Doch was ist revolutionär daran, wenn ein „Tiny House" für 100 000 Euro den alten Campingwagen ersetzt?
Tim Wegner
19.08.2021

Letzte Woche habe ich mich  über die Titelzeile im Hamburger Abendblatt gefreut: „Der Traum vom Tiny House“ heißt es dort, und weiter: „Rund um Hamburg werden neue Projekte für das etwas andere Wohnen verwirklicht – die Nachfrage ist groß.“ Solche Titelzeilen über Tiny Houses habe ich in letzter Zeit häufig gelesen. Immer geht es um einen Boom, um das „andere Wohnen“, um etwas ganz Neues. Wirklich?

Ich lese den Artikel dazu. Da gibt es also rund um Hamburg viele neue Tiny Houses, allerdings eher nicht zum Dauerwohnen, sondern  als  Feriendomizile.  Der „heruntergekommene“ Campingplatz bei Bleckede zum Beispiel, der jetzt zum „Elborado“ der Tiny Houses ausgebaut wird, liegt in einem Naturschutzgebiet. Dauerwohnen ist verboten.

Immer mehr heißt nicht fortschrittlich

Statt alter Zelte und kleiner Campingwagen also nun „72 Holz-Häuschen mit einer Wohnfläche von jeweils 30 Quadratmetern plus einer überdachter Holzveranda“, auf 2,5 ha. Komplett ausgestattet mit Küche, Bad und Glasfaserkabel, Putzdienste gibt es auch und Co-Working Büros. Schlappe 3500 Euro pro Quadratmeter soll das Ganze kosten, insgesamt kommt so ein Häuschen dann auf gut 120 000 Euro. Monatliche Platzmiete noch nicht eingerechnet.

Tiny Houses, das sollte eigentlich mal eine kleine Wohn-Revolution sein. Weniger Platz- und Ressourcenverbrauch, auch weniger Kosten fürs Wohnen, sprich eine echte Alternative für Menschen, die anders, aber eben immer noch in den eigenen vier Wänden, leben wollen. So hatte es mir Leserin Anja Pausch für diesen Blog erzählt: Sie hatte ihre große Wohnung verkauft und war auf einen Tiny House Platz ins Fichtelgebirge gezogen.

Aus einem kleinen Zelt wird ein großes; aus dem Campingwagen ein Tiny House

Die „Elborado“-Zielgruppe jedoch wird die eigene Wohnung in der Stadt nicht aufgeben können, selbst wenn sie es wollten. Dauerwohnen ist nicht erlaubt. Kommt hinzu: Menschen, die 100 000 Euro plus monatlicher Platzmiete für ein Ferienhäuschen aufbringen können, leben eh schon eher großzügig. Wer da noch ein Ferienhaus dazu packt, Tiny oder nicht, der verbraucht einfach noch mehr umbaute Quadratmeter für sich selbst. Seit Jahren steigt der Wohnflächenverbrauch pro Kopf in Deutschland und hat mittlerweile sagenhafte 47 qm pro Kopf im Durchschnitt (!) erreicht. Fachleute warnen: Das sei in diesem eh schon eng bebauten Land viel zu viel.

Merke: Solche Siedlungen haben nix mit "anders Wohnen" zu tun, erst recht nichts mit einer Revolution. Am Ende geht es mal wieder um das alte mehr, mehr, mehr. Aus kleinen Zelten wurden große, aus Mini-Wohnwagen dicke Vans; aus fahrbaren Häuschen jetzt eben teure  Tiny Houses.

Auch die Autorin im Artikel kommt dann noch auf die Grundproblematik zu sprechen. Wer wirklich anders leben und wohnen will, der braucht vor allem einen Bauplatz, und die gibt es eben für Dauerwohnen im Tiny House, oder eben auch Bauwagen, wie mein Beispiel aus Witzenhausen zeigt, fast nie. Und wenn doch, dann verlangt es eine jahrelange Planung. Das alles kommt zur grundsätzlichen Skepsis hinzu. In dem Abendblattartikel bringt es der Hamburger Architektur-Professor an der HafenCity Universität Hamburg, Bernd Dahlgrün, auf den Punkt: „Unter ökologischen Gesichtspunkten ist die Erschließung neuer Flächen und der Bau von Eigenheimen nicht sinnvoll, in denen nur wenige Menschen wohnen können.“

 

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Kolumne

Dorothea Heintze

Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß aus eigener Erfahrung: Das eigene Wohnglück finden ist gar nicht so einfach. Dabei gibt es tolle, neue Modelle. Aber viele kennen die nicht. Und die Politik hinkt der Entwicklung sowieso hinterher. Über all das schreibt sie hier.