Evelyn Dragan, Ramon Haindl
Die Neuen
Simon, Daniela und Sang (v.l.n.r.) - heute erscheint ihre Geschichte in chrismon
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
25.02.2021

Wer wird uns morgen pflegen? Vor einem Jahr wandte ich mich an eine Pflegeschule. Ich wollte Pflege-Azubis durch das letzte Prüfungshalbjahr begleiten. Das "Agaplesion-Bildungszentrum für Pflegeberufe Rhein-Main" liegt nur ein paar Straßen von der chrismon-Redaktion im Frankfurter Norden entfernt. Die Schulleiterin war sofort dabei und vermittelte mir den Kontakt zu Daniela und Simon, den Klassenbesten, wie ich später erfuhr.   

Ich mochte die zwei auf Anhieb. Sie haben was Frisches, aber auch Nachdenkliches. Ich traf sie in der Pflegeschule, in der Stadt, bei mir im Garten, wir redeten viel. Ins Krankenhaus konnte ich mit ihnen nicht gehen, wegen Corona herrschte Besuchsverbot, und auch Journalist:innen galten als potentielle Virenträger:innen. Daniela und Simon arbeiteten in der Klinik und lernten für die Prüfungen, immer abwechselnd. Sie trafen sich mit anderen in der Bücherei (als das noch ging) oder saßen in der Schule, bis der Hausmeister um 22 Uhr die Tür schloss.

Angst vor der Spritze

Ich kann mich gut erinnern an meine eigene Prüfungszeit vor 25 Jahren. Was ein Stress, schlimmer als das Abi, fand ich damals. Am Anfang die schriftlichen Klausuren, am Ende die mündliche Prüfungen. Und dazwischen lag der Angstkloß: die praktische Prüfung. Auch Daniela und Simon hatten davor am meisten Respekt. Der Pflegealltag ist unberechenbar. Was kann an so einem Vormittag alles schief gehen, während einem der Tross von Prüfer:innen über die Schulter schaut.
Ich war damals auf einer Intensivstation. Die Patientin, die ich versorgen sollte, war vor kurzem operiert worden und hatte Schmerzen. Ich zögerte lange, ihr eine Schmerzspritze zu geben, weil ich mich davor fürchtete, dass ich das in der Aufregung nicht gut hinkriege. Das wiederum wurde mir (zu Recht) als Fehler ausgelegt.
Wie auch immer, ich habe es irgendwie geschafft. Was eine Riesenerleichterung, als ich endlich das Zeignis in der Hand hatte und die ganzen Ordner zur Seite schieben konnte! Wir feierten ausgiebig.

"Ich freu mich auf den Job"

Auch Daniela und Simon haben sich durchgebissen und sind heute examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger. Bei ihnen fiel das große Fest wegen Corona aus. Simon gönnte sich nach einer Prüfung eine Radtour. Daniela machte einen Monat Pause und zog in einer andere Stadt.
Und sie machten mich mit Sang bekannt, einem ihrer ehemaligen Mitschüler. Sang hat schon in Gambia als Pfleger gearbeitet - und seine Erfahrungen sind so spannend, dass auch er Teil des Beitrages wurde.

Jetzt lacht mir Daniela auf der Titelseite des aktuellen chrismon zu. Das Zitat dazu: "Ich freu mich auf den Job!" Das hat sie gesagt, und ich weiß: auch gemeint.
Wer wird uns morgen pflegen? Viele Pflegekräfte springen nach ein paar Jahren ab. Ich hoffe sehr, dass diese drei lange dabei bleiben und ihre Motivation behalten. Das wäre für uns alle eine Gewinn.

 

 

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Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist schön, dass sie dem Thema Pflege viel Platz im aktuellen Heft geben, aber es ist nicht schön, dass sie im Interview so weit hinter dem zurückbleiben, was gesagt werden müsste.
Von den zehn größten Pflegeheimbetreibern sind insgesamt sieben, darunter die sechs größten, privat. Finanzinvestoren spielen bei denen inzwischen die ausschlaggebende Rolle, deren Geschäftsmodell nicht auf Betrieb mit Gewinn gerichtet ist, sondern auf Fitmachen für den Markt und Wiederverkauf. Einigen Anbietern passierte das gleich mehrmals hintereinander, so etwa Alloheim, der heute zweitgrößte Pflegekonzern in Deutschland, der 2008, 2012 und 2017 an immer neue Finanzinvestoren verkauft wurde. In Einzelfällen wurden mit solchen Verkäufen bis zu 30 Prozent Gewinn gemacht.

Beschäftigt werden vorwiegend Leiharbeitskräfte, die quer im Konzern eingesetzt werden, oft nach wenigen Tagen den Arbeitsplatz in ein anderes Haus wechseln müssen und so nicht nur die Qualität der Pflege mindern, sondern auch die Fähigkeit zum organisierten Kampf um ihre Rechte verlieren.

Wer diese schlimmen Konsequenzen der privatkapitalistischen Profitmacherei im Pflegesektor nicht anspricht, kann über andere Probleme jammern, so lange er Lust hat, es wird sich nichts ändern.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Rätz

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