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privat
Redet Ihr mit Euren Eltern?
09.10.2019

Liebe Dominique,

Sorry mit der Fehl-Info zu Rotkäppchen-Sekt. Klar, der wird natürlich im schönen Freyburg abgefüllt und die Entwicklung der Marke ist ja auch eine echte Erfolgsgeschichte, wie Du schreibst. Also, dann sollten wir in Freyburg anstoßen: Auf die Öffnung der Mauer vor 30 Jahren.

Du warst ja damals noch ein kleiner Hüpfer, ich war schon Ende zwanzig. Seitdem habe ich mich oft gefragt: Wie wäre ich in den Nachwendejahren damit umgegangen, meine ganze Jugend und Studienzeit in einem Land verbracht zu haben, was es auf einmal nicht mehr gibt? Hätte ich meinen Kindern davon erzählt, wie es gewesen war in der DDR? Was wäre ich geworden? Vielleicht auch Journalistin, für ein dann linientreues Blatt? Was hätte ich verschwiegen? Was geschönt?

Nein, kein Vergleich mit der Nazizeit

Eines ist mir an dieser Stelle sehr wichtig: Nicht ansatzweise will ich die DDR-Zeit mit der Nazi-Zeit vergleichen! Mir geht es hier ausschließlich, wirklich ausschließlich, um die Generationenfrage und da kann man  Parallelen ziehen. Meine Eltern hatten ihre Jugend in der Nazizeit erlebt. An endlosen und teilweise sehr desaströsen Sonntag-Morgen-Frühstück-Streitgesprächen ging es bei uns zu Hause oft nur darum: „Wieso habt Ihr nichts mitbekommen von den KZs? Haben Eure Eltern etwa Hitler gewählt?“ Mein Vater, Jahrgang 1919, hatte als 20-jähriger junger Soldat ein Bein verloren. Nun saß er da mit seinem Holzbein und schwärmte immer wieder auch von Kameradschaft und "dollen Streichen", mitten im Krieg. Ich, die 15-Jährige, verurteilte ihn scharf. Für mich war alles aus dieser Zeit des Teufels und jeder Soldat war für mich irgendwie auch ein Nazi. Es muss meinen Vater tief getroffen haben. Doch das habe ich alles erst Jahre später mit ihm klären können. Immerhin: Wir haben miteinander geredet.

Podcasts, Bücher, Artikel - die Nachwendekinder melden sich

In den letzten Wochen lese und höre ich viel von den Nachwendekindern. Da gehörst Du ja auch dazu.

Kennst Du zum Beispiel "Mensch, Mutta" - von Katharina Thoms? Eine Tochter interviewt ihre Mutter, die ein halbes Leben lang in der DDR gelebt und gearbeitet hat. Als alleinerziehende Mutter hat sie sich mit zwei Kindern ohne großes Brimborium all die Jahre durch den Alltag gekämpft. Wunderschön, wie die beiden miteinander ins Gespräch kommen: über den Arbeitsdienst der Mutter, über das Scheitern aller Berufsträume nach einem lächerlichen Schulboykott; über den ersten Urlaub nach der Wende oder über die Männer, die sich einfach so davon gemacht haben. Ich lernte so viel über das Leben in der DDR; dazu ist alles so warmherzig geschildert, trotzdem nicht verklärend und dazu auch noch ganz großes Radio. Die Reihe wurde übrigens ausgezeichnet mit dem Grimme-Online-Award.

Und hier gleich noch ein Podcast-Tipp, du merkst, ich bin im Hörrausch: Vier Tage Angst. Bärbel, die Mutter des Münchener Journalisten Till Ottlitz, wollte 1973 als junge Frau aus der DDR fliehen. Der erste Versucht scheitert dramatisch. Während die eigene Mutter, versteckt in einem Minilaster von US-Soldaten, den Weg über die Grenze in Berlin schafft, bleibt Bärbel zurück und muss sich in den folgenden Tagen vor den Häschern der Stasi und der Polizei in der DDR verstecken. Ich kann Dir sagen: Ich hing am Kopfhörer, alle Folgen durchgebinget, jeder erfundene Krimi hätte nicht spannender sein können.

Wo komme ich her? Das fragen sich heute viele

Aber: ich bin ja schließlich Journalistin und so kann ich auch selbst fragen. Zum Beispiel die Fotografin unserer chrismon-November Titelgeschichte Der Sound des Westens. Die in der DDR-geborene Fotografin Sophie Kirchner hat Menschen gefunden, die wissen (und auch noch im Besitz haben!), was sie damals mit den 100 Mark Begrüßungsgeld gekauft haben. Ich habe Sophie für unsere Podcast-Reihe "Wie hast Du das gemacht" vorletzte Woche in Berlin getroffen. Und da hat sie mir ins Mikro genau das gleiche erzählt, was ich in letzter Zeit schon so oft im Podcast und Büchern gehört und gelesen habe: Bei ihrer Recherche ging es Sophie nicht nur um Aufarbeitung der DDR-Geschichte im allgemeinen sondern vor allem um ihre eigene Geschichte. Sie selbst, so erzählte sie mir, habe zu Hause fast nie über die DDR-Zeit mit ihren Eltern geredet. Das Land aus dem sie kommt: Für sie eine Leerstelle.

Zum Schluss dann hier noch ein Sendetipp im good-old Fernsehen. In diesem MDR-Beitrag über Nachwendekinder und ihre Suche nach der eigenen Vergangenheit kam der Soziologe Daniel Kubiak zu Wort. Ich fand interessant, was er erzählt: Der Begriff "ostdeutsch" werde in der Presse und Öffentlichkeit zu über 80 Prozent negativ konnotiert. Sprich, wenn ein junger Mensch seine Eltern fragt, wie war das Leben denn so in "Ostdeutschland", dann erwartet er (oder sie) eigentlich automatisch etwas Negatives.

Und da bin ich wieder bei mir und meinen Eltern: Wenn das Wort "Nazi" oder "Drittes Reich" oder was auch immer aus dieser Zeit bei uns zu Hause fiel, dann hätte ich gar nicht zugelassen, dass meine Eltern auch etwas Positives erzählen. Erst später, als ich erwachsen war und selbst Kinder hatte, durfte meine Mutter ungeschminkt mit mir darüber reden, wie toll sie ihre BDM-Zeit fand. Ich ließ ihr ihre Vergangenheit.

Wie sagt es Soziologe Kubiak: So ein Transformationsprozess dauert 30 bis 50 Jahre. Und jetzt sei man eben erst bei der Halbzeit. Na dann - auf viele weitere Blogbeiträge mit Dir, liebe Dominique

Herzliche Grüße
Dorothea

 

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