Ein Apfelweinglas steht neben einer Dose Apfelweinschorle
Ein "Geripptes" (Apfelweinglas) neben einer Dose Apfelweinschorle
Foto: Dominique Bielmeier
Post aus Fernost
25.02.2019

Liebe Anne,

weißt du, was ich sehen würde, wenn ich jetzt vom Bett aufstünde und die paar Schritte bis zum Balkon ginge? Drei hübsche, weiß gestrichene Häuschen, aus deren Schornsteinen grauer Rauch in den Abendhimmel aufsteigt. Zwischen den beiden rechts von mir rauscht ein Bach hindurch, er ist in der Dunkelheit nur zu hören. In der Luft liegt der Geruch von brennenden Holzscheiten. Für die einen Feinstaub, für die anderen die pure Gemütlichkeit. Und zwischen allem: Schnee! Bestimmt einen Meter hoch.

Anne, ich bin zurück im Osten, aber sowas von. Nicht Meißen, nicht Dresden – Polen. Nach meinem Ausflug in den wilden Westen hat es mich zum Urlaub hierher verschlagen, rein zufällig, nicht als bewusste Antithese zur Bankenstadt mit ihren Hochhäusern und dauerhupenden SUVs. Wobei: Dass ich nach drei Wochen Frankfurt am Main nun in einem Fachwerkhäuschen mit dem Namen „Haus am Bach“ sitze, hat schon irgendwie etwas Symbolisches.

Unglaublich, dass unser Austausch schon wieder vorbei ist. Hattest du mir nicht gerade erst von deinen Porzellantassen erzählt, auf die ich mich freuen kann? Ich habe es geschafft, keine davon zu zerbrechen. Auch dein Ofen funktioniert noch, obwohl ich ihn mit Kuchen für Kollegen und Interviewpartner ziemlich strapaziert habe. Nur zum Abschied habe ich es nicht geschafft, selbst etwas zu backen, stattdessen habe ich für die Redaktion ein kleines „Ostpaket“ geschnürt: Rotkäppchensekt, Spreewaldgurken, Bautzner Senf, Dinkelchen, Mozartkugeln von Halloren. Mehr habe ich nicht gefunden auf die Schnelle. Wo ist das Russisch Brot aus Dresden, wo sind die Filinchen und wo steht Nudossi? Da müsst ihr wirklich noch nachbessern, wenn das mit der Ost-West-Verständigung irgendwann klappen soll.

Oder vielleicht auch nicht, denn was ich vor allem gelernt habe, ist: So verschieden sind wir eigentlich gar nicht. Das verschlafene Meißen hat ein Drogenproblem, das reiche Frankfurt auch. Wie bei uns mit der Elbe hat auch Frankfurt eine „richtige“ und eine „falsche“ Mainseite – und über die Frage, welche nun welche ist, scheiden sich die Geister. Was für uns Dynamo Dresden, ist für euch Eintracht Frankfurt. „Apfelwein mit Cola ist wie Urlaub in Offenbach“, sagte neulich ein Kollege zu mir, als es um die einzig wahre Zubereitung des Kultgetränks ging. Da musste ich an die Rivalität von Dresden und Leipzig denken, die etwa gleich groß sind und deshalb oft miteinander verglichen werden. In Leipzig trinkt man gerne „Gose“, ein obergäriges Bier, von dem man sagt: „Dem einen steigt sie in den Kopf – dem andern in die Hose.“ Ich wage zu behaupten, wer eine Gose pur trinken kann, der wird auch mit ungespritztem Apfelwein fertig.

In meinem Küchenschrank in Dresden steht zwar noch immer kein Meissener Porzellan, aber jetzt ein echtes „Geripptes“. So heißt ja bei euch das Apfelweinglas mit der Rautenstruktur. Ein Abschiedsgeschenk meiner – jetzt wieder deiner – Chrismon-Chefin. Wie ich gehört habe, bist du mit einer Flasche Sachsenwein von deinen – bald wieder meinen – Kollegen bei der Sächsischen Zeitung in die entgegengesetzte Richtung aufgebrochen. Bestimmt hast du über unseren Wein tausend Geschichten gehört, so wie ich über euren und auch über das Gerippte. Das soll diese besondere Waben-Struktur nämlich haben, damit man es auch mit fettigen Fingern noch gut halten kann. Früher aß man ja oft ohne Besteck.

„Aber kennst du auch die andere Geschichte?“, fragte mich eine Kollegin später verschmitzt lächelnd. Das Gerippte soll nämlich auch deshalb gerippt sein, damit sich das Licht schöner bricht. Und der Inhalt des Glases dadurch weniger wie Urin aussieht. Vielleicht die einzige kleine Anekdote, die ich bei euch erlebt habe, für die ich nicht krampfhaft nach einer sächsischen Entsprechung suche...

Liebe Anne, willkommen zurück in Frankfurt! Und hoffentlich bis bald – do zobaczenia wkrótce!

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