Porträt Mirijam
Porträt Mirijam
Privat
So deutsch, deutscher geht’s nicht
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
28.08.2019

Liebe Dominique,

Dresden ist die spannendste Stadt Europas, so, so. Für uns als Journalistinnen ist es schwer, sich darüber nicht zu freuen.

Trotzdem gruseln wir uns ein bisschen, wir hier im langweiligen Frankfurt. Aber nicht alle. Manche kriegen das gar nicht mit, erzählte mir gestern Mirijam Hache, 22. Mirijam aus Dresden, zahnmedizinische Fachangestellte, seit zwei Jahren in Frankfurt, seit zwei Wochen Schülerin auf der Fachoberschule. Sie hat hier schon Leute kennengelernt, die gar nicht wüssten, wo Dresden liegt. Sachsen? Nie gesehen. Vielleicht mal gehört. Ich staune.

Aber der Türsteher vor dem Klub, in den Mirijam wollte, der wusste Bescheid. Er lachte laut, als er in ihren Ausweis guckte. "Aus Dresden bist du! Wie hast du das denn gemacht?" Ich bin da geboren, hat ihm Mirijam erklärt. Da wird er erst recht gestaunt haben, denn Mirijam hat eine Hautfarbe, die in Frankfurt nichts Besonderes ist, aber in Dresden? Ihre Mutter ist Sächsin, ihr Vater Tunesier mit südafrikanischen Wurzeln.

Zuhause in der Dresdener Neustadt ist ihr das als Kind nicht so aufgefallen, dass sie die einzige Dunkelhäutige im Viertel war, aber später in der Grundschule hat sie Schimpfwörter kennengelernt – "die waren speziell für mich, so konnte man niemand anderen nennen."

"Ich wollte umziehen, seit ich zehn war", sagt sie. Ein paar Jahre später traf sie dann auch andere junge Leute mit dunklerer Haut, denn: "Man kannte sich, wenn man farbig war. Wir guckten HipHop-Videos, Youtube, es konnte auch ganz cool sein."

Wir essen fette Eisbecher in der vielleicht besten Eisdiele Frankfurts. Mirijam, was haben die Leute zu Ihnen gesagt, was waren das für Sprüche? Es waren manchmal Komplimente, weil sie "so gut Deutsch spricht". Oder sie hörte, nicht direkt an sie gerichtet, sie sei eine Ausländerin, und die seien "hier unerwünscht". Und die Physiklehrerin fand es wohl lustig, ein Quiz zu veranstalten, bei dem die Lösung "Neger" hieß.

Was sie an Frankfurt mag: die Weltoffenheit. Dass sie sich hier nicht so anders vorkommt. Aber ist sie nicht auch hier manchmal die einzige Dunkelhäutige im Kino? Mirijam lacht. "Och, so ein paar Nordafrikaner oder Asiaten sind da auch immer. Das reicht schon." Ihr Großvater hatte damals übrigens Bedenken gehabt, als sie umziehen wollte. "Das kannst du doch nicht machen, Miri, da gibt’s doch so viele Ausländer, das ist gefährlich!"

Wo fühlte sie sich fremd? "Als ich meinen Vater in Tunesien besucht habe. Da hat man keine Privatsphäre in den Häusern, die Leute werfen den Müll auf die Straße...  Ich bin so deutsch, deutscher geht’s nicht. Ordnung, Struktur, Pünktlichkeit, das ist meins."

Mirijams Freund ist Grieche. Also, er ist Deutscher, aber seine Eltern sind aus Griechenland. Er fühlt sich griechisch, sagt Mirijam. Und sie wirkt nicht so, als käme ihr die Welt, in der sie lebt, sonderlich kompliziert vor.

Wie erlebt sie Dresden, in diesen Zeiten? Neulich wollte sie doch mal "Pegida gucken", aber dann war’s ausgefallen. Auf die Gegendemo geht ihre Mutter. "Pegida", sagt Mirijam , "das sind die Unzufriedenen. Die Älteren. Aber Dresden ist doch viel mehr! Dresden ist so schön! Und die Jüngeren sind sowieso ganz anders. Meine Mutter sagt: In zwanzig Jahren ist das vorbei."

Aber dann erzählt Mirijam noch von ihrer Berufsschule in Dresden, wo es in Gemeinschaftskunde ein Wahl-Spiel gab. Von 22 Schülerinnen haben sich fünf für die NPD entschieden. Fünf für die AfD.

Ja, Dresden ist spannend, auch von hier aus. Tschüss, Mirijam!

Und tschüss, liebe Dominique. Halte uns unbedingt auf dem Laufenden...

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