Susanne Breit-Kessler - Grahamsemmel
Susanne Breit-Kessler
"Bring Grahamsemmeln mit!"
Der Verzicht auf alle leiblichen Genüsse kann einfach nicht gesund sein


16.02.2022

„Schatz, bring‘ Grahamsemmeln mit!“, rief meine Mutter meinem Vater hinterher, wenn der samstags allein zum Einkaufen davonradelte. Natürlich durfte er nicht die weißen, ungesunden Semmeln mitbringen. Gesund sollte sein, was wir aßen. Manchmal strampelte mein Vater mit einem schnellen Augenzwinkern zu mir  so eilig los, dass er leider nicht mehr hören konnte, was sie ihm auftrug. So ein Pech aber auch …

Natürlich blieb Muttern meistens Siegerin. Sie kannte ihre Pappenheimer und wusste nur zu genau, welche Herrlichkeiten wir uns zu ihrem Missfallen erobern wollten. Vielleicht hat sie sich nur hin und wieder geschlagen gegeben, um Mann und Tochter mal gewinnen zu lassen. Danach ging es wieder nach ihren Regeln. Ich bin ihr längst dankbar dafür, denn sie hat uns alle drei tipptopp ernährt.

Weg mit Salz, Fleisch und Korsetts

All die aktuellen regionalen, nachhaltigen Bio-Gerichte habe ich schon in meiner Kindheit serviert bekommen und gemeinhin begeistert gefuttert.  Die Grahamsemmeln ebenso. Der amerikanische Prediger Sylvester Graham hat sie im 19. Jahrhundert entwickelt, weil er geschroteten Vollkornweizen zu Recht für gesund hielt. Helles Brot, das damals als vornehm galt, wurde mit Chlor und anderen giftigen Bleichmittel hell gefärbt. Nicht gut.

Das Brot des Predigers schmeckt ausgezeichnet, es ist bestens geeignet für Sandwiches, Toasts und Croûtons. Auch die kleinen Semmeln sind fein, die man schnell gebacken hat - aus Mehl, das oft ein wenig Roggen enthält. Dazu Wasser und etwas Milch, vielleicht ein Ei, Salz und frische Hefe. Die letzteren Zutaten hätte der gute Graham nicht so gemocht - sie schienen ihm ärgerlicherweise die Libido anzufeuern.

Sex, Alkohol und Fleischgenuss waren ihm deshalb auch zuwider. Korsetts für die Damen ebenfalls, wie man liest. Sylvester Graham starb trotz seiner vielen guten Ernährungsideen leider schon mit 57 Jahren. Am köstlichen Brot lag es sicher nicht. Vielleicht sollte man nicht gleich auf alle leiblichen Freuden verzichten. Bei uns daheim gab und gibt es Wein. Es gibt auch Fleisch, für den, der‘s mag. Und ansonsten wird genossen und geschwiegen.

Vom Blog zum Buch:
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