Susanne Breit-Keßler Weihnachtsgeschirr
Susanne Breit-Keßler
Selber schuld!
Newsletter, Prospekte und Kataloge wecken Wünsche, die ich fast vergessen hatte - zum Beispiel Weihnachtsgeschirr
09.11.2022

Ich bin selbst schuld. Warum muss ich jeden Newsletter abonnieren, der etwas mit Bio-Lebensmitteln, schönem Geschirr, schickem Besteck und französischen Gläsern zu tun hat? Mir schreibt regelmäßig die Zeitschrift, die ich sowieso in der Print-Ausgabe wegen Essen und Trinken bestellt habe, ein österreichisches Team, das sich mit Rezepten der Guten Küche befasst, und eines, das einheimische asiatische Würzsaucen und andere Delikatessen lokal herstellt. Und da ist noch das junge Paar, das umwerfende Streetfood-Gerichte zum Nachkochen vorstellt.

Würstchen auf königlichen Tellern 

Dazu kommt die Münchner Traditionsfirma, die rund um Esszimmer und Küche einfach alles anbietet, und zwei Unternehmen, von denen sich eines auf Alte Serien bei Porzellan spezialisiert hat und das andere auf die Produzenten, die in Sachen Tisch und Deko derzeit Rang und Namen haben. Natürlich bekomme ich auch Kataloge zugesandt, denn darin zu blättern, ist für mich ein Hochgenuss. Ich bestelle allerdings nicht viel, denn einer potentiellen Kaufsucht steht diametral meine Entschlossenheit entgegen, für jeden neuen Gegenstand einen vorhandenen wegzugeben.

Es sei denn, der Kauf war unvermeidlich. Aber kann man nur von den wenigsten Dingen sagen. Doch nun! Nun kommen Infos zum Weihnachtsgeschirr.  „Zum Verlieben“ titelt die Münchner Firma – leider zu Recht. Sie verspricht, das Festessen an Heiligabend auch ästhetisch zum Ereignis zu machen. Allerdings brauchen unsere Würstchen mit Kartoffel- und Gemüsesalat nicht unbedingt Royal irgendwas (ich darf hier keine Werbung machen!), um Platz zu nehmen. Obwohl das Geschirr wirklich äußerst elegant ist!

Eigentlich habe ich immer von einem kompletten englischen Tafelservice für die Weihnachtszeit geträumt. Keines mit Bärchen – obwohl ich die in jeder Form und Gestalt liebe! -, mit Trommeln, Schneemännern, Schleifchen, Glocken und Rentieren. Das ist sehr nett und heimelig, aber nicht das, was ich mir wünsche. Ich denke mehr an das weltweit bekannte Geschirr, das es seit rund 80 Jahren in unverändertem Design gibt. Das will etwas heißen in dieser schnelllebigen Zeit, in der man Dekore und Muster wechselt wie Meinungen …

Alle Teile meines Traumgeschirrs zeigen einen dekorierten Christbaum. Bärchen und Glocken sind dabei - dezent. In der Spitze des Baumes sitzt Nikolaus, der Gehilfe des Christkindes. Das kann schließlich nicht alles alleine tragen. Gerahmt ist jedes Stück von einem tannengrünen Rand. Steingut, kein Porzellan, nicht spülmaschinenfest. Komplett und gebraucht kostet es fast 1000 Euro. Ups! Gebraucht! Ich gehe in die Küche. Da sind zwei Becher, einer sogar mit Christbaum drauf, der andere, ha! aus Staffordshire, eine Tasse mit Schneemotiv und ein Dessertteller.

Porzellan, spülmaschinenfest. Na bitte. Vielleicht noch einen Teller aus dem Traumservice… Unter 20 Euro. Fällt unter die Kategorie unvermeidlich.    

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Sie kennzeichnen alles was Sie haben mit einem roten Aufkleber. Nach Gebrauch entfernen. Silvester wissen Sie dann, was Sie im Jahr gebraucht haben. Da bleibt nicht viel übrig. 1Tasse pro Person genügt, wenn Sie täglich abwaschen. Ist es Lebensqualität wenn Sie ein ganzes 12 teiliges Service haben und alleinstehend sind? 2 Pullover reichen doch. 20 Paar Schuhe, können Sie die alle auf einmal anziehen? 1 Kugelschreiber ist genug. 1 Badehose, für alle Fälle, die dann doch nicht eingetreten sind, auch. Aber bitte gedanklich weiter, auch wenn es unsinnig erscheint. Wie lange müssten Sie arbeiten, um den Bedarf an Erneuerung für das Wenige was Sie brauchen, zu decken? Wieviel Zeit wird frei, wenn Sie den gesamten "Geschenke-Schrott" nicht mehr kaufen und aufbewahren müssen? Wieviel schöne Regale können geleert werden? Wieviel Staub findet keine "Ruhestätte" mehr? Wie häufig müssen Sie sich und andere nicht mehr über etwas freuen, was Sie gar nicht brauchen? Werden Sie dadurch im Geiste ärmer? Schon möglich. Woraus besteht eigentlich Lebensfreude? Wieviel Zeit wird frei? Um den Aufwand für eine normale Lebensqualität zu decken, würde vermutlich bei vielen Normalverdienern die Hälfte der Zeit reichen, denn auch die 4. Käsesorte und die 3. Wurstsorte macht nicht glücklicher und satter. Allenfalls ungesünder. Zumal Genuß nicht zwingend vom Überfluss, sondern vom Mangel kommen könnte. Und dann kommt der Punkt der Erkenntnis. Denn was bedeutet mehr Zeit zu haben? Bedeutet das mehr Eigeninitiative zur Gestaltung, mehr körperliche Bereitschaft, mehr Geselligkeit mit Personen? Auch alles Anforderungen, die Sie bisher nicht erfüllt haben, als Sie im Urlaub oder bei schlechtem Wetter genug Gelegenheiten dazu gehabt hätten. Die Folge ist mehr Frust (von den rühmlichen Ausnahmen einmal abgesehen), nichts getan zu haben, immer bequemer zu werden, die Zeit nicht sinnvoll genutzt zu haben. Langeweile kann nur geniessen, der weis, dass sie gleich wieder endet. Stumpfsinnig ohne Aufgaben, ohne Arbeit, ohne Verantwortung zu werden, ist eine Gefahr, die selten gesehen wird. Mehr Zeit führt nicht zwangsläufig zu mehr Bildung, Bücher und Diskussionen und Kontakten. Das Gegenteil wird zwar als Ziel geglaubt, aber selten erreicht. Langeweile erzeugt nicht zuverlässig Kreativität. Nicht der Einzelne ist das Problem, sondern die Summe. Und wer kann dann noch sicher sein, dass in einem solchen theoretischen Fall alle zufriedener und friedlicher sind? Oder kommen dann die Geistheiler, Wahrsager, politischen Extremisten und existentiellen Wunschdenker und versprechen den "neuen Menschen", dass mit ihnen auf Erden das Paradies des ewigen Wohlverhaltens möglich ist? Oder vielleicht dann doch die zu späte Erkenntnis, dass Tatenlosigkeit zur totalen Verkümmerung führt. Die dann doch noch Tätigen werden dann alle Macht der Welt haben wollen. Alles Unsinn? Selbstverständlich! Aber erst wenn der Weg aufgezeigt wird, zeigen sich die Konsequenzen von Wünschen, deren Erfüllung unsinnig sind. Vorher sind diese Wünsche aber der Maßstab, den sehr viele als erstrebenswert bezeichnen.

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