Konferenz Afghanische Ortskräfte
Konferenz Afghanische Ortskräfte
Tahora Husaini
Ein Jahr der Dunkelheit
Um den Jahrestag der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan fanden in Berlin mehrere Veranstaltungen zum Thema statt. Es wurde reflektiert und diskutiert. Trotz aller Bemühungen gibt es viel Unmut und scharfe Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik.
Tahora HusainiPrivat
23.08.2022

Fünf oder sechs Mitglieder der Initiative „Kabul Luftbrücke“ standen auf der Bühne, weitere waren per Videocall zugeschaltet. Einige von ihnen schienen kurz angebunden zu sein, mit Rucksack auf den Schultern. Als ob sie, nach einem Jahr Schlafmangel und einem endlosen Kampf mit Politik und Bürokratie, nicht mehr zur Ruhe kämen, ständig auf dem Sprung und bereit zu helfen.

All dies begann mit der Evakuierung einer ihrer Kolleginnen, die eine Bergsteigerin in Afghanistan war. Nach und nach wuchs das Team. Immer mehr Freiwillige kamen hinzu, um möglichst viele aus Afghanistan zu retten. Auf die Nachfrage, warum sie sich entschieden hatten, all diesen Menschen zu helfen, antworteten sie: „Wir waren sehr wütend. Wütend auf die deutsche Politik und darüber, dass so viele, die für die deutsche Regierung gearbeitet hatten, einfach im Stich gelassen wurden.“

Solidarität von Geflüchteten aus anderen Ländern

Dann übernahm ein anderer Sprecher auf der Bühne das Mikrofon. Er kam 2015 nach Deutschland, als sich der Krieg in Syrien verschlimmerte und könne daher die aktuelle Lage vieler Afghanen gut nachvollziehen. Viele deutsche Regulierungen wären komplett hinderlich und obwohl Seehofer nicht mehr im Amt ist, sei seine Mentalität weiterhin in der deutschen Flüchtlingspolitik zu spüren. „Es genügt nicht, über eine Welt zu reden, in der wir gern leben würden. Für eine solche Welt müssen wir kämpfen. Man wird uns unsere Rechte und Freiheiten nicht einfach geben, wir müssen sie uns nehmen.“

Die Worte des jungen Syriers berührten mich mehr als die der deutschen Redner. Jemand, der sein eigenes Heimatland verloren hat und jetzt zu einer starken Stimme für Afghanen geworden ist. Ich spürte, wie besonders schön sich Solidarität anfühlt, wenn sie von jemandem kommt, der selbst ein ähnliches Leid ertragen musste.

Zum Programm des Abends gehörten viele KünstlerIinnen, die eingeladen wurden, um ihre Werke vorzustellen und über ihre Erfahrungen mit dem Leben im Exil zu sprechen. Außerdem wurde eine Modenschau organisiert, bei der afghanische Mädchen vielfältige Kleidungsstile vorstellten und ihr Recht, zu tragen, was ihnen gefällt, deutlich machten. Darunter waren Mädchen im Taekwondo-Outfit, mit Malerleinwand und mit Kletterausrüstung. Als sie über die Bühne stolzierten, musste ich unaufhörlich weinen. Einmal mehr erinnerte ich mich an die lebhaften Straßen und Gassen von Kabul, mit Mädchen und Frauen in farbenfrohen Kleidern. Bereits ein Jahr lang werden sie jetzt schon ihrer Freiheit beraubt.

Demonstration zum Jahrestag in Berlin

Am darauffolgenden Tag wurde vom Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte e.V. und einigen anderen Organisationen ein Programm für afghanische Ortskräfte veranstaltet. 20.000 Ortskräfte konnten bereits gerettet werden, 10.000 stehen immer noch auf der Evaluierungsliste, unzählige weitere wurden noch nicht einmal für eine Rettung registriert. Ein Großteil der Veranstaltungsteilnehmer waren selbst ehemalige Ortskräfte, die sich aufmerksam die Reden der Abgeordneten über Dolmetscher-Kopfhörer anhörten, in der Hoffnung, Lösungen für ihre Probleme zu finden.

"Mein Bruder wurde wegen meiner Arbeit für die Deutschen von den Taliban verhaftet"

Viele von ihnen durften ihre volljährigen Familienmitglieder nicht mit nach Deutschland bringen, weil diese nicht unter die Definition der sogenannten „Kernfamilie“ fallen. Dazu gehören lediglich Ehepartner und Minderjährige. Eine Definition, die nicht einhergeht mit der afghanischen Definition von Familie und durch die in der Praxis unzählige Ortskräfte-Familien auseinandergerissen wurden. Mehrere der Teilnehmer fragten wütend, wie sie sich in Deutschland integrieren sollen, solange sie sich so große Sorgen um ihre in Afghanistan verbliebenen Angehörigen machen müssen. „Jedes Mal, wenn ich im Deutschkurs sitze, muss ich an meinen Bruder denken, der von den Taliban verhaftet wurde, und meine Mutter, die um ihn weint. Sie sind wegen meiner Arbeit für die deutsche Regierung in großer Gefahr.“

Ein Jahr Taliban-Diktatur - können wir ein zweites Jahr verhindern?

Obwohl sich Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik Frau Luise Amtsberg mehrfach für die deutsche Politik entschuldigte, waren viele Teilnehmenden sehr verärgert und meldeten sich zu Wort, um kritische Fragen zu stellen. Eine junge Frau kam nach vorn und fragte zornig, ob die weitere Evakuierung so vieler Menschen überhaupt wirklich eine Lösung sei. Die Menschen in Afghanistan seien am Verhungern. Anschließend kam ein Mann der Initiative „Menschen ohne Grenzen“ zu Wort, der die deutsche Regierung als inkompetent und unwillig, Afghanistan zu helfen, beschrieb. Deutschland habe bis zwei Wochen vor der Machtübernahme der Taliban afghanische Flüchtlinge aus Deutschland abgeschoben. Ein Skandal, das durch nichts zu entschuldigen sei. Und dennoch sei kein offizielles Aufnahmeprogramm für Afghanen in Sicht.

Im Anschluss dieser Veranstaltung nahm ich noch einer Demonstration teil. Trotz fehlender nationaler und internationaler Anerkennung und keinerlei funktionierendem Wirtschaftssystems, haben es die Taliban geschafft, ein ganzes Jahr lang an der Macht zu bleiben. Es bleibt die Frage offen, ob sie auch ein zweites Jahr überstehen werden und was wir alle unternehmen können, um dies zu verhindern.

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