Tahora Husaini Alltag in Kabul
privat
Meinungsfreiheit ade
In Afghanistan wird die Presse inzwischen komplett von den Taliban kontrolliert, kritische Journalisten werden verfolgt und mundtot gemacht. Social-Media-Plattformen sind aktuell die letzte Hoffnung auf eine transparente Berichterstattung.
14.06.2022

Anders als in einigen Nachbarländern, in denen die Meinungsfreiheit schon immer massiv unterdrückt wird, war es in den afghanischen Medien vor dem Einmarsch der Taliban möglich, die Regierung und Politiker öffentlich zu kritisieren. Politsendungen gehörten zu den meistgesehenen Programmen des Landes, die jeden Abend vor allem von jungen Leuten enthusiastisch verfolgt wurden. Besonders beliebt waren Satire-Shows, in denen man die Regierung sowie althergebrachte Traditionen und Werte aufs Korn nahm. Auch Musiker bekamen in den letzten zwei Jahrzehnten immer mehr die Möglichkeit, sich kritisch in ihrer Musik zu äußern.

Für diese Meinungsfreiheit haben Journalisten, Aktivisten, Künstler und die Zivilbevölkerung viele Jahre lang hart gekämpft und Opfer gebracht. Eine Errungenschaft, die durch den plötzlichen Machtwechsel im August 2021 komplett zunichtegemacht wurde. In den letzten 10 Monaten mussten die meisten Medien- und Pressekanäle ihre Arbeit einstellen. Die wenigen verbliebenen können nur unter strengen Regeln und Zensur weiterarbeiten.

Gehirnwäsche im Radio und Fernsehen

Jegliche kritische Berichterstattung gegenüber den Taliban wird bestraft. Ausländische Musik und Serien sind ebenfalls untersagt. Die Nachrichten sind voll mit Propaganda und einer positiven Darstellung der Taliban-Regierung. Journalisten, die Kritik äußern, werden nachts aus ihren Wohnungen vertrieben und Berichten zufolge zum Teil gefoltert. Infolgedessen flohen viele von ihnen ins Ausland. Fernsehsender und Zeitungen begannen sich selbst zu zensieren, um das Leben ihre Mitarbeiter zu schützen.

Vor einigen Tagen sprach ich mit einem befreundeten Journalisten aus Kabul. Er ist über die aktuelle Situation extrem verärgert. Kürzlich wurde er vom Ministerium für Information und Kultur kontaktiert, mit dem Hinweis, dass sein Name registriert sei und einer eindringlichen Warnung davor, negative Nachrichten über die Taliban zu verbreiten. Nur wenige Tage später kamen bewaffnete Männer in sein Büro und hinterließen ein riesiges Chaos – finden konnten sie allerdings nichts. Einige seiner Kollegen wurden geschlagen. Als er der Polizei davon berichtete, erfolgte keinerlei Ermittlung, als hätte es den Vorfall überhaupt nicht gegeben. Er schickte mir Bilder aus Kabul - auf den Straßen sieht es aus, als sei alles normal. Ist es aber nicht.

Keine Unterstützung mehr aus dem Ausland

„Spätestens jetzt können wir nichts mehr gegen sie schreiben, was sehr enttäuschend für uns ist. Wir befinden uns in einer miserablen Lage, was Sicherheit, Moral und Finanzen betrifft. Wenn wir faktenbasiert berichten, kann das sehr weitreichende Folgen, wie Verhaftungen und Repression, haben und wir müssen sogar um unser Leben fürchten. Inländische und ausländische Investoren sind längst abgesprungen, sodass wir keinerlei finanzielle Unterstützung mehr haben.“

Eine andere Bekannte von mir, die noch immer bei einem der afghanischen Sender arbeitet, ist ebenfalls sehr deprimiert über die prekären Zustände: „Ohne jegliche Vorwarnung kamen sie bewaffnet in unser Büro gestürmt. Mit Frauen sprechen sie generell überhaupt nicht. Mehrmals hatte ich versucht, mit ihnen zu reden, doch ich wurde komplett ignoriert. Sie taten so, als würde ich überhaupt nicht existieren. Das bricht mir das Herz. All die Jahre habe ich dafür gekämpft, gesehen zu werden. Akzeptiert zu werden als Frau. Doch jetzt bin ich es nicht einmal wert, mir in die Augen zu sehen und eine Antwort zu bekommen.“

Frauen haben keine Stimme mehr

Erschwerend kommt hinzu, dass alle Frauen nun generell ihr Gesicht verhüllen müssen. Eine Maskierung, die die Stimmen von Frauen erst recht unterdrückt. Nach den Ansichten der Taliban haben sie keinerlei Stimmrecht und sollten zu Hause bleiben.

Durch die Unterdrückung der Medien wird über das brutale Vorgehen in verschiedenen Teilen des Landes, besonders in den Provinzen und Dörfern, nicht mehr berichtet. Lediglich auf Social-Media-Kanälen posten mutige Zivilisten Videos von den täglichen Gräueltaten. Es bleibt nur zu hoffen, dass zumindest diese Plattform bestehen bleibt, damit die restliche Welt einen kleinen Einblick in die wahren Zustände von Afghanistan erhält und dieses Land nicht im Stich lässt.

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