Tahora Husaini Moschee Yalda Nacht in Dehli
Tahora Husaini
Das kleine Kabul in Dehli
Die Yalda-Nacht, oder Cheleh (Persisch: vierzig, die ersten vierzig kältesten Tage des Winters), ist die längste Nacht des Jahres und wird am 21. Dezember gefeiert. In diesem Jahr für mich im Exil, in Dehli.
Tahora HusainiPrivat
30.12.2022

Zwei wichtige Elemente von Yalda sind die Wassermelone und der Granatapfel. Die Wassermelone ist eine Sommerfrucht, der man nachsagt, dass sie uns zu Beginn des Winters vor Krankheiten bewahrt. Die Schale des Granatapfels steht für die Sonne und seine Kerne für das Licht. Wir schmücken den Tisch mit Sommerfrüchten, Nüssen und Süßigkeiten. Die ganze Familie sitzt zusammen und der Älteste der Familie öffnet das Buch mit den Gedichten von Hafez und liest allen ein Gedicht vor.

Das letzte Mal, dass unsere ganze Familie und die Familie meines Onkels zusammen waren, war vor vielen Jahren, vielleicht vor 13 Jahren. Es war sehr kalt und wir alle trugen dicke Mützen und Pullover. „Lieber Onkel, bitte nimm einen Fāl für mich (Fāl ist das Wahrsagen aus dem Hafez-Gedichtbuch).“ Dann schloss er die Augen und sagte: „Hafez, was sagst du uns über das Schicksal meines lieben Mädchens?“ Er schlug das Buch auf, hielt einige Augenblicke inne und wandte sich mir zu: „Du hast einen langen steinigen Weg vor dir und viele Schwierigkeiten liegen auf deinem Weg.“ Wir verbrachten diese kalten Winternächte in den Fantasiewelten der Gedichte von Hafez und Rumi sowie den Geschichten meines Vaters.

In der Yalda-Nacht bleiben die Familien bis zum Sonnenaufgang wach, um den Sieg der Sonne über die Dunkelheit zu feiern. Allerdings waren die Nächte ziemlich lang, also schliefen wir nach Mitternacht in jeder Ecke unter den schweren Decken ein, während die Kerzen erloschen.

Es ist, als würden sie in der Luft schweben und ihre Füße können den Boden nicht berühren...

Auch außerhalb Afghanistans ist diese Nacht ein Grund für die afghanische Gemeinschaft, zusammenzukommen. Vor dem Sturz der Regierung lebten 21.000 afghanische Geflüchtete in Delhi und hatten sich beim UNHCR für eine Wiedereingliederung in westlichen Ländern registriert. Die Eltern einer meiner Freunde flüchteten 2018 aufgrund des Taliban-Angriffs aus ihrer Heimatstadt Ghazni nach Indien und leben seither in Delhi.

Einige Tage nach Yalda habe ich sie in Delhi besucht. Ihre Mutter ist inzwischen eine Vertreterin der afghanischen Geflüchteten und organisiert traditionelle Zeremonien, um die Gemeinschaft zusammenzubringen. In der Yalda-Nacht trägt sie ihre traditionelle Kleidung und geht begeistert zu den Feierlichkeiten. Gemeinsam feiern sie die längste Nacht des Winters mit afghanischen Liedern und Speisen.

Sie nahm mich mit zu einem afghanischen Restaurant in Lajpat Nagar, Delhi. Es lief laute traditionelle Musik und eine Seite des Restaurants war mit einem typischen Teppich wie in Afghanistan bedeckt. Die Atmosphäre versetzte mich sofort nach Kabul. Ich war überglücklich und begeistert. Die Afghanen hatten sich nun in Delhi ihr eigenes kleines Kabul geschaffen.

Voller Enthusiasmus zeigte sie mir die Bilder und Videos der Yalda-Nacht. „Obwohl wir versuchen, zusammen eine schöne Zeit verbringen, ist es nicht leicht, so weit weg von zu Hause und meinen Kindern zu sein. Aber ich kann es nicht ändern. Wenn ich mich schlecht fühle, rufe ich meine Freunde an und wir treffen uns im afghanischen Kulturinstitut und singen Lieder. Irgendwie müssen wir uns ja bei Laune halten.“

Seit dem Zusammenbruch der Regierung gibt es für Afghanen keine Möglichkeit mehr, nach Indien zu reisen. Früher gingen auch viele kranke Menschen zur Behandlung nach Indien. Geflüchtete verdienten ihren Lebensunterhalt, indem sie für sie übersetzten. Jetzt ist ihre Einkommensquelle weggebrochen. Mehr als die Hälfte von ihnen wurde nach der Machtübernahme der Taliban über das UNHCR in westliche Länder umgesiedelt. Die Eltern meiner Freundin warten immer noch und hoffen auf eine Umsiedlung in ein Land in der Nähe ihrer Tochter. Die finanzielle Situation der Menschen ist alles andere als gut. Familien, deren Kinder in westlichen Ländern leben, verlassen sich, wie wir, auf ihre Kinder. Und der Rest hat Schwierigkeiten.

Ein paar andere Afghanen gesellten sich zu uns im Restaurant und erzählten uns über ihre Schwierigkeiten mit der Einwanderung. Einer von ihnen hat nun endlich eine Zusage für Kanada erhalten und wird bald ausreisen. Andere werden noch viele Jahre warten müssen. Für mich war das nichts Neues. Ich habe diese Situationen schon oft gesehen. In ihren Gesichtern ist deutlich zu erkennen, dass sie sich große Sorgen machen. Es ist, als würden sie in der Luft schweben und ihre Füße können den Boden nicht berühren, egal, wie sehr sie sich bemühen.

Mitten hinein in die Feier eine neue Hiobsbotschaft der Taliban

Dann fing mein Handy an, sich mit Nachrichten zu überhäufen. Nachrichten von Freundinnen in Afghanistan, eine nach der anderen. Die Taliban hatten eine neue Bekanntmachung veröffentlicht: Frauen, die in lokalen und ausländischen Einrichtungen sowie NGOs arbeiten, dürfen nicht mehr arbeiten, mit der scheinheiligen Begründung, dass sie den Hijab nicht richtig tragen.

Ich ertrank zwischen der fröhlichen afghanischen Musik, dem besorgten Gesicht der Mutter meiner Freundin und der erschreckenden Botschaft meiner Freundinnen. Es scheint, als würde die längste Nacht des Jahres nicht enden. Als gäbe es keine Hoffnung, dass die Sonne über die Dunkelheit siegen könnte.

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