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Auch das Überflüssige ist notwendig
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
05.04.2020

Auch am heutigen Palmsonntag – keine Gottesdienste. Die Kirchen sind geschlossen. Die Museen auch. Ich erinnere mich, wie ich vor wenigen Monaten in Ulm war und im dortigen Museum diesen Palmsonntag-Jesus bestaunt habe: Jesus auf einem Esel in Jerusalem einziehend, aus Holz und mit Rädern untendran. Eine andere Zeit. Hoffentlich macht auch dieses wunderbare und unbedingt besuchenswert Museum bald wieder auf.

Heute wäre landauf, landab über die zärtlichste Geschichte der Bibel gepredigt worden. Mir fällt zu ihr immer eine Geschichte aus dem vergangenen Jahrhundert ein. Also, statt einer richtigen Predigt, hier nun eine doppelte Erinnerung.

Zuerst die biblische Geschichte: Es ist der Tag vor Palmsonntag in Bethanien. Morgen wird Jesus nach Jerusalem ziehen, auf einem Eselsfüllen reitend. In Bethanien hat er Halt gemacht, nur eine halbe Stunde von Jerusalem. Sie haben ihm ein Mahl bereitet. Sie essen und trinken, stärken sich. Ruhe vor dem Sturm. Da nimmt Maria ein Pfund kostbaren Salböls und salbt Jesus die Füße. Salbt ihn langsam, bis der Duft des Öls den Raum erfüllt. Dann trocknet sie seine Füße mit ihren Haaren. Doch ausgerechnet Judas hat eine Frage. So ein kostbares Salböl – hätte man nicht besser daran getan, es zu verkaufen und das Geld den Armen zu geben? Maria wird zu beschämt gewesen sein, um selbst zu antworten. Doch Jesus beschämt den Fragenden: „Lass sie in Frieden! Es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch; mich aber habt ihr nicht allezeit.“

Und nun die Parallel-Geschichte aus dem 20. Jahrhundert. Erzählt hat sie Ludwig Greve, ein ebenso großer wie unbekannter Dichter: Im Zweiten Weltkrieg musste Ludwig Greve als Jugendlicher mit seinen Eltern und seiner Schwester fliehen. Ihnen drohte als Juden das Konzentrationslager. Auf der Flucht durch die Schweiz und Italien verlor er Vater und Schwester. Ihm blieb nur die Mutter. Sie wurde von Granatsplittern verletzt. Zu einem normalen Arzt konnten sie nicht gehen, denn Schussverletzungen mussten gemeldet und illegale Flüchtlinge durften nicht behandelt werden. Doch Ludwig fand einen alten Chirurgen. Der fragte nicht lang und half. Ein Priester besorgte der Mutter in einem Kloster ein Einzelzimmer. Als die Mutter untergebracht war, fragte er Ludwig, mit was er der Patientin eine Freude machen könnte. Mit etwas Süßem, einer Lieblingsspeise? Ludwig war irritiert: „Sie bekommt alles Notwendige!“ Der Priester entgegnete: „Auch das Überflüssige ist notwendig.“ Ludwig war verwirrt. Da er nicht wusste, was er sonst sagen sollte, antwortete er: „Löffelbiskuits“. Und die besorgte der Priester. Wie ihm dies mitten in Krieg und Not gelang? Es muss ein anrührendes Bild gewesen sein, wie die jüdische Flüchtlingsfrau aus Berlin, der man Mann und Tochter geraubt hat, in einem italienischen Klosterzimmer im Bett liegt, beherbergt und versteckt von einem katholischen Priester, frisch operiert, neben sich einen ganzen Karton mit Löffelbiskuits, die köstlich nach Geborgenheit duften, von denen sie nascht, wenn sie nicht schlafen kann: Auch das Überflüssige ist notwendig.

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