Foto: privat
Vor der Eröffnung
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
11.09.2017

Zu Ausstellungseröffnungen gehe ich nicht so gern: Prosecco auf Zimmertemperatur, klammes Laugengebäck, Menschenmengen, so dass man die Kunstwerke nicht betrachten kann, zu viel Gespräch. Ich gehe also lieber danach hin – oder noch lieber vorher, wenn ich die seltene Chance habe: Es wird noch aufgebaut, und man weiß nicht, wie es am Ende wird.

Jetzt hatte ich die Chance. Im Dom zu Berlin wird ein außergewöhnliches Kunstwerk aufgebaut: eine riesige Spiegelskulptur des Künstlers und Architekten Philipp von Matt. Sie wird den Altarraum der mächtig-prächtigen Predigtkirche ausfüllen, das wilhelminische Bildprogramm spiegeln, brechen, ins Schweben bringen, die Blicke der Besucher aufnehmen und in die hohe Kuppel werfen. „Reformation!“ heißt diese Arbeit und ist der Versuch, sich zum Höhe- und Schlusspunkt des Reformationsjubiläums nicht nur einer heroischen Vergangenheit zu erinnern, sondern selbst etwas zu wagen, nämlich einen reformatorischen Aufbruch im wörtlichen Sinn: Die Spiegelskulptur bricht die geschlossene Bilderwelt des Doms auf, um etwas Wesentliches darin neu sichtbar werden zu lassen. Sie bricht all das Gold, den Marmor, das edle Holz auf, damit durch den Riss, den das Kunstwerk selbst darstellt, ein anderes Licht in diesen Raum hineinkommt. Dabei gibt die Kirche ihre vermeintliche Deutungsherrschaft über den eigenen Raum und die eigenen Bilder auf. Demütig und neugierig zugleich schaut sie auf das, was jetzt mitten in ihrer besten Stube geschieht. Verstörend mag das werden, herausfordernd, eine Provokation, aber auch eine Entlastung, Erhebung und Bereicherung, vielleicht ein unverhofftes Glück. Noch wird aufgebaut, noch haben die Handwerker mit der nicht eben unkomplizierten Konstruktion zu schaffen. Wird es am Ende glücken?

Übrigens: Was im Dom zu Berlin geschieht, passiert zurzeit vielerorts in Deutschland: Die Kirchen öffnen ihre Türen für die zeitgenössische Kunst, um sich mitten im Reformationsjahr von ihr irritieren und inspirieren zu lassen – sie sind so frei.

Und noch einmal übrigens: Die Eröffnung im Dom ist am kommenden Sonntag.

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