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Millionen Klicks für die Bibel
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
14.12.2018

Im „Spiegel“ hat ihn der Kultur-Redakteur Lothar Gorris vor kurzem in einem langen, eindringlichen Artikel vorgestellt: den in Deutschland noch kaum bekannten, in der englischsprachigen Welt ungeheuer berühmten – oder soll man sagen „notorischen“? – kanadischen Psychiater Jordan Peterson. Vor allem orientierungsbedürftige junge Männer hängen an seinen Lippen, wenn er ihnen wie ein guter strenger Vater sagt, wie sie ihr Leben in den Griff bekommen. Dass er dabei nicht eben politisch korrekt formuliert, hat ihm viel Streit und Aufmerksamkeit eingetragen. Aber so rauflustig und obsessiv er auch sein mag, in die Nazi-Ecke sollte man ihn nicht vorschnell abschieben. Mich allerdings langweilen Empörungsdebatten wie „Pro und Contra: Genderstern“ eher. Bei digitalen Schlägereien kommt selten etwas Sinnvolles heraus. Mich fasziniert an Peterson etwas anders.

Auf Youtube findet sich eine Reihe von biblischen Vorlesungen, mit denen Peterson weltweit ein riesiges Publikum erreicht hat. Die erste wurde über drei Millionen Mal angeschaut. Dabei passiert hier gar nichts Dramatisches, Provokatives, Verbotenes. Peterson steht auf der Bühne und beginnt, laut nachzudenken. Er philosophiert über das Bewusstsein, das Gehirn, die Psyche, die Gesellschaft, das Gute, das Böse und stellt große, im Letzten unbeantwortbare Fragen. Das tut er vor dem Hintergrund und in Auseinandersetzung mit der Bibel, vor allem mit den Urgeschichten der Genesis. Es ist Gedanken-Jazz: Peterson nimmt biblische Themen, Motive, „standards“ auf und improvisiert mit ihnen. Ich kann nicht behaupten, dass ich ihn wirklich verstanden hätte. Aber gestaunt habe ich, wie ein moderner Intellektueller in freier Rede intensiv nachdenkt und dabei zeigt, dass er von der Bibel nicht loskommt.

P.S.: Eine ganz andere Art, einen Text der Bibel ins Netz zu holen, zeigt dieser Clip von Kolleginnen und Kollegen aus Hamburg. Sie haben die Weihnachtsgeschichte in den Viel-Sprachen-Stadtteil Wilhelmsburg geholt: mit einfachen Mitteln, sehr fein, witzig, weise und anrührend. Nun hoffe ich, dass er auch drei Millionen Mal angeklickt wird.

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