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Schwierige Märtyrer
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
01.02.2019

Auch der deutsche Protestantismus hat seine Märtyrer. Es ist gut, wenn er ihrer gedenkt. Doch eine naive Verehrung wäre unprotestantisch und unhistorisch. Zudem entziehen sich einige dieser Märtyrer einem solchen Zugriff der Nachgeborenen, denn sie waren schwierige, gebrochene, ambivalente Gestalten. Sie sollten nicht angehimmelt, sondern in ihrer geschichtlichen Eigenart betrachtet, verstanden und respektiert werden. Robert Zoske hat dies vor kurzem am Beispiel von Hans Scholl vorgeführt, indem er in seiner Biographie auch dessen Homosexualität unbefangen in den Blick nahm.

Nun hat der Berliner Historiker Manfred Gailus an einen dieser „schwierigen Märtyrer“ erinnert: den kaum noch bekannten Helmut Hesse. Geboren wurde er 1916, mit nur 27 Jahren starb er 1943 im Konzentrationslager Dachau. Er war einer der ganz wenigen Geistlichen, die öffentlich gegen die Verfolgung der Juden protestierten. Deswegen wurde er gemeinsam mit seinem Vater inhaftiert. Aufgrund seiner seit langem sehr schwachen Gesundheit war er den schlimmen Haftbedingungen nicht gewachsen. Lebenswichtige Medikamente wurden ihm verweigert.

Unerhört mutig und unerschrocken muss Helmut Hesse gewesen sein. Der Grund hierfür lag in einer tiefen Frömmigkeit. Manches an ihr erscheint auch übersteigert. Als Student entwickelte sich der Wuppertaler Pastorensohn zu einem radikalen Barthianer, der jede Vermittlung mit der herrschenden Kultur ablehnte, und schloss sich der Bekennenden Kirche an. In der Elberfelder Kirchengemeinde seines Vaters übernahm er Predigtdienste. Wie ein Prophet geißelte er die Machthaber, aber auch seine eigene Kirche und trat für die Opfer der NS-Gewalt ein: die inhaftierten Mitglieder der Bekennenden Kirche und die verfolgten Juden. In seiner letzten Predigt sagte er: „Als Christen können wir es nicht mehr länger ertragen, dass die Kirche in Deutschland zu den Judenverfolgungen schweigt. Was uns dazu treibt, ist das einfache Gebot der Nächstenliebe. Die Judenfrage ist eine evangelische und keine politische Frage. Die Kirche hat jedem Antisemitismus in der Gemeinde zu widerstehen. Dem Staat gegenüber hat die Kirche die heilsgeschichtliche Bedeutung Israels zu bezeugen und jedem Versuch, das Judentum zu vernichten, Widerstand zu leisten. Jeder Nichtarier, ob Jude oder Christ, ist heute in Deutschland der unter die Mörder Gefallene.“

Vor diesen Worten kann man nur Respekt haben. Für eine naive Verehrung aber war Hesse eine zu gebrochene Persönlichkeit. Der Radikalität seine biblizistischen Theologie stand eine chronische, körperlich-seelische Krisenanfälligkeit gegenüber, der Schärfe seiner Kirchenkritik eine für damalige Verhältnisse anfechtbare Lebensführung. Zu seinem 75. Todestag hat Manfred Gailus im vergangenen Jahr eine sehr interessante und bewegende Broschüre über ihn verfasst. Sie kann hier bestellt werden: buchbestellung@wuppertaler-widerstand.de.

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