andreas fromm
Orte für Tote und Lebende
Wir müssen über Friedhöfe sprechen. Nicht wegen Corona, sondern überhaupt. Denn endlich sind unsere Friedhöfe von der UNESCO als „Immaterielles Kulturerbe“ anerkannt worden. Gegen eine mächtige Tendenz zur Todesvergessenheit gilt es, unsere Friedhöfe neu sehen lernen – als Orte, an denen die Toten zu Hause sind, und als Kulturorte für die Lebenden.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
19.11.2021

Zum Glück ist es gelungen, dass die UNESCO die deutsche Friedhofskultur zum „Immateriellen Erbe“ erklärt hat. Damit will sie in der Bevölkerung das Bewusstsein dafür wecken, dass Friedhöfe ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Kultur sind. Und dies in sehr vielfältiger Weise. Hier finden sich Spuren einer langen Geschichte des religiösen und künstlerischen Umgangs mit dem Tod, Bildwerke mit unterschiedlichsten Symboliken, tröstenden oder auch irritieren Sinnsprüchen. Hier kann man allein umhergehen, über die eigene Endlichkeit nachdenken und zur Besinnung kommen. Hier kann man sich aber auch treffen, gemeinsam spazieren gehen, inzwischen vielerorts auch einen Kaffee trinken oder ein Konzert erleben. Friedhöfe sind längst viel mehr als nur Bestattungsstätten. In den vergangenen Jahren ist schließlich auch das Bewusstsein dafür gewachsen, dass sie in Zeiten des Klimawandels lebensnotwendige Räume der Biodiversität geworden sind.

Die Friedhofsbetreiber haben es zurzeit nicht leicht. Wenigen ist es bewusst, aber in den deutschen Metropolen gibt es bei gut der Hälfte der Verstorbenen keinerlei Trauerfeiern oder rituell gestaltete Beerdigungen, weder kirchlich noch säkular, mehr. Sie werden still und stumm unter die Erde gebracht. Dafür mag es viele Gründe geben, aber diese neue Achtlosigkeit im Umgang mit den Toten und dem Tod allgemein bedroht einen wesentlichen Aspekt unserer Kultur. Denn die Menschlichkeit einer Kultur erweist sich nicht zuletzt im Umgang mit den Toten und ihren Orten, den Friedhöfen.

Deshalb habe ich mit einem katholischen Kollegen und der Initiative „Immaterielles Erbe Friedhofskultur“ eine Broschüre und eine Wanderausstellung erstellt, die den Sinn und Wert besonders der christlichen Friedhofskultur vorstellt. Die Arbeit daran hat mir viel Freude bereitet. Wer mehr darüber wissen oder die Broschüre erhalten möchte, wende sich vertrauensvoll an mich: kultur@ekd.de.

Das Foto oben zeigt, wie es bei einer richtigen hanseatischen Beerdigung zugeht. Es stammt aus einem einzigartig schönen und anregenden Friedhofsbuch: „Garten der Erinnerung“, gerade in zweiter Auflage erschienen. Es erzählt die Geschichte und die Geschichten des Friedhofs von Hamburg-Nienstedten, stellt Menschen vor, die dort begraben liegen oder sich für diesen christlichen Gedenk- und Kulturort engagieren. Die vielen wunderbaren Bilder stammen von dem Hamburger Fotografen Andreas Fromm

P.S.: In Deutschland, diesem dummen Covid-Land, beschäftigen wir uns zu viel mit uns selbst. Aber wie sieht es anderswo auf der Welt aus, zum Beispiel in Argentinien? Darüber spreche ich in meinem Podcast mit Karla Steilmann und Guillermo Berrin aus Misiones.

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Und doch sind häufig Beerdigungen auch eine "Hochzeit" der personifizierten Lüge. Da werden Wahrheiten hemmunglos geschönt. Das ist gut so. Eine der seltenen Gelegenheiten, wo die Lüge berechtigt ist. Da kann die Lüge nicht mehr weh tun und Schaden anrichten. Wer es besser weis, der denkt sich was. Wenn aber vor Steinen herzzerreißend getrauert wird, die in Indien mit Hilfe von Kinderarbeit geformt wurden, werden ä Anlaß und Emotion bigott. "Habe ich nicht gewußt" ist die Antwort. Und dann wird auf einer Strasse davon gefahren, deren Pflaster ebenfalls billig mit Kinderarbeit in Bangladesch geformt wurde. Die Lüge ist menschlich und unser täglich Brot. Die Lüge lebt, kann schön und beruhigend sein und macht die Wahrheit umso kostbarer.

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