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Nicht nur Brot und Wein
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
09.07.2018

Bücher gibt es, bei denen man sich wundert, dass sie nicht schon längst geschrieben worden sind. Ihr Thema ist so interessant, ihre Fragestellung so elementar, dass sie eigentlich seit Jahren als Standardwerk im eigenen Bücherschrank stehen (und mehrfach gelesen sein) müssten. Aber irgendwie hat bisher keiner die nötige Inspiration, Zeit oder Entschlusskraft aufgebracht.

Solch ein Buch ist „Gott essen. Eine kulinarische Geschichte des Abendmahls“ des Erlanger Kirchengeschichtlers Anselm Schubert. Es reitet nicht auf der modischen Gastro-Welle, sondern beschreibt präzise und elegant (und manchmal ziemlich komisch) die Geschichte dessen, was Christen beim Abendmahl gegessen haben. Eben: nicht nur Brot und Wein, sondern auch Wasser, Bier, Fanta, Reis, Kokosnüsse... Als westeuropäischer Wohlstandschrist geht man ja davon aus, dass man zu allen Zeiten und an allen Orten Brot und Wein genossen hat. Aber wie hätte das gehen sollen in den neumissionierten Ländern der Antike und des Mittelalters: Wo sollte man damals in Schweden oder Island Wein herbekommen? Oder in den Missionsgebieten der Kolonialzeit: Wie sollten Menschen, die ganz andere Grundnahrungsmittel kannten und bei denen Weizen und Trauben nicht gediehen, sich an die komplizierten Speiseregeln der europäischen Kirchen halten?

Nur ein berührendes Detail unter vielen: Ritter, die auf dem Schlachtfeld lagen und eine letzte geistliche Stärkung brauchten, nahmen geweihte Grashalme oder Muttererde zu sich. Seltsam waren aber nicht nur die sakramentalen Essgewohnheiten in Antike und Mittelalter, sondern auch in der Moderne: Im 19. Jahrhundert führte ein neuartiger Hygienekult zu einer Massenbewegung für Einzelkelche (besonders in den USA bei Kirchen mit vielen Einwanderern, die – so fürchtete man – voll der neu entdeckten Bakterien waren), und der fromme Anti-Alkoholismus verleidete vielen Christen den Wein komplett. Doch so skurril sich vieles liest, durchzieht dieses Buch ein heimlicher Ernst: In dem, was und wie Christen jeweils ihr Abendmahl gefeiert haben, was sie getrunken und gegessen haben, zeigen sich „ihre Not und ihr Überfluss, ihre Vorlieben und Tabus“, ihre Kultur, ihr ganzes Leben.

Und schließlich habe ich in diesem Buch den passenden Vers gefunden, mit dem ich in Zukunft auf die Streitereien in der katholischen Kirche reagieren werde, ob auch Protestanten mitessen dürfen. Er stammt vom altlutherischen Dogmatiker David Hollaz und bezieht sich auf den leidigen Konflikt zwischen Lutheranern und Calvinisten darüber, ob man Hostien oder richtiges Brot nehmen sollte. Er lautet schlicht: „nihil interest“.

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