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Am Grab, in Corona-Zeiten
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
01.04.2020

Noch sind in Deutschland nicht so hohe Todeszahlen wegen des Coronavirus zu verzeichnen wie in Nachbarländern. Und doch hat sich die Beerdigungskultur hierzulande schon radikal verändert – nicht zum Guten. Die Traueranzeigen für Menschen, die nicht am Virus gestorben sind, zeigen es an: „Wegen der aktuellen Bedingungen erfolgt die Beisetzung im kleinsten Familienkreis“. Oft ist nicht einmal das möglich, weil Angehörige nicht anreisen können oder selbst die Kernfamilie mehr als sechs Personen umfasst. Eine Kirche oder Kapelle darf nicht genutzt werden. Nur am offenen Grab dürfen biblische Texte gelesen, ein Lied gesungen, Gebete gesprochen, der Erdwurf vollzogen, ein Segen gespendet werden. Aber kurz und im Stehen. Das wirkt trostlos. Eine Nachbarin hat überlegt, ihren verstorbenen Mann so lange nicht beerdigen zu lassen, bis eine angemessene Feier möglich. Das erschien mir nicht sinnvoll. Eine Freundin mailte die Links zu den Musikstücken, die sie sich für die Trauerfeier ihres Vaters ausgewählt hatte. Das war anrührend, aber kein Ersatz. Am besten ist es wohl, die Verstorbenen innerhalb einer Woche so würdig wie möglich beizusetzen und dann ab Sommer einen Gedenkgottesdienst in der Kirche nachzuholen. Eine Kirchengemeinden überlegen schon, im Spätsommer einen gemeinsamen Gottesdienst für mehrere betroffenen Familien zu feiern, eine schöne Idee.

Wenn ich über diese in der Öffentlichkeit kaum beachtete Folge der Pandemie nachdenke, kommt mir dies in den Sinn: Das, was für viele Menschen eine neue Erfahrung in „social distancing“ darstellt, ist für ebenfalls sehr viele Menschen längst Realität. Allein zu Hause sein, nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben können – das kennen viele von Armut, Behinderung oder altersbedingten Einschränkungen Betroffenen nur zu gut. Das zeigt sich auch in unserer Bestattungs-Unkultur. Schon vor Corona galt: Bei über 50 Prozent der Einwohner von Metropolen wie Berlin oder Hamburg geschieht nach ihrem Tod nichts mehr - keine Feier, kein Ritus, keine trauernde Gemeinde, nur ein „stiller Abtrag“, wie es im Friedhofsjargon heißt. (Hier habe ich dies ausführlicher analysiert.) Vielleicht aber, das hoffe ich sehr, wird vielen Menschen jetzt klar, wie wichtig eine liebevoll gestaltete Trauerfeier ist.

In der kommenden Woche werde ich selbst vor der Aufgabe stehen, eine Beerdigung unter Pandemie-Bedingungen zu gestalten. Ich hätte es mir anders gewünscht. Aber nun will ich für den Verstorbenen, den ich sehr geschätzt habe, nach biblischen Versen suchen, die er gern gehört hätte und die uns trösten können.

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