jhc
Die armen Weihnachtsmärkte – ja, aber!
Nun dürfen viele Weihnachtsmärkte nicht stattfinden oder bloß in kleinem Rahmen. Das tut mir für die Betroffenen leid, aber nicht nur. Denn vergessen wird, dass eine andere Adventsinstitution sang- und klanglos eingestellt wird, die bedeutsamer ist.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
02.12.2021

Gerade las ich einen klugen Aufsatz eines geschätzten Kollegen, in dem er den Weihnachtsmarkt einer theologischen Deutung unterzog: als einen religiösen Ort, an dem die Sehnsucht der Menschen nach Ganzheit, Heil, Geborgenheit und Sinn eine sinnlich berührende Gestalt gewinnt. Eine schöne These – ich glaube kein Wort.

Denn in den vergangenen Jahren ist es zu einer fatalen Inflation vorweihnachtlicher Budenzusammenrottungen gekommen. Ohne lokale Verwurzelung, ohne folkloritisch-kulturellen Mehrwert, ohne Sinn und Geschmack für das Unendliche oder sonst irgendwas wurden sie vor jedem zweiten Discounter aufgestellt. Sie offerierten keine höheren Sinnangebote, sondern nur: Fett, Zucker, Alkohol, Kohlehydrate und hier und da ein bisschen Kitsch. Nichts gegen einen „after work“-Glühwein mit Freunden, aber mit weihnachtlicher, gar christlicher Kultur hat dies alles nichts zu tun. Deshalb hätte ich auch nichts dagegen, wenn sie „Wintermärkte“ hießen. (Anders ist es mit den vergleichsweise wenigen, wirklich mit Sinn und Verstand gestalteten Adventsmärkten, dies es zum Glück auch gibt.)

Was mich aber stört, ist, dass in den Medien zwar viel von den abgesagten Weihnachtsmärkten die Rede ist, nicht aber von den Adventsbazaren, die eigentlich in Kirchengemeinden, Vereinen, Schulen oder Kindergärten hätten stattfinden sollen. Hier wird nicht nur gekauft, sondern selber gemacht. Hier wird nicht nur Geld verdient, sondern für eine gute Sache eingenommen. Hier versammeln sich nicht Konsumenten, sondern bildet sich eine Gemeinde. Hier wird nicht nur ein Programm geboten, sondern selbst gesungen. Ich weiß, dass das viel Arbeit ist, aber hier zeigt sich, worum es im Glauben wie in der Kultur im Kern geht: um ein eigenes, gemeinsames Engagement, das sich aus einer geteilten Überzeugung speist, anderen zugutekommt und als ein rituelles Spiel eine Freude bereitet, die sich nicht mit Geld bezahlen lässt.

P.S.: Wer sich für geschichtspolitische Debatten und die Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten interessiert (mit beidem habe ich auch zu tun), dem empfehle ich diesen Artikel aus der taz vom vergangenen Montag.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.

Kolumne