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Advent statt WM
Interessant ist oft das, worüber nicht gesprochen wird. Über Menschenrechte in Katar wird gegenwärtig intensiv diskutiert, vor allem über die Rechte von Frauen und LGBTQ-Personen. Aus guten Gründen. Es wäre aber auch sinnvoll, über die Situation der Religionsfreiheit in diesem Land nachzudenken. Nicht, weil sie außergewöhnlich schlecht wäre, sondern weil hier etwas Grundsätzliches sichtbar wird.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
25.11.2022

Ein seriös argumentierender Bericht über die religionspolitische Lage in Katar zeichnet ein differenziertes Bild. Staatlich anerkannte christliche Gemeinschaften können ziemlich problemlos, wenn auch unter staatlicher Aufsicht, Gottesdienste feiern und ihr Gemeindeleben pflegen. Die Obrigkeit fördert den Bau von Kirchen. Es herrscht „Kultfreiheit“.

Diese aber ist nicht dasselbe wie „Religionsfreiheit“. Denn letztere ist erst gegeben, wenn man seinen Glauben selbst wählen oder abwählen kann. Hier ist das Stichwort „Mission“ entscheidend. Diese ist in Katar ebenso verboten wie der Austritt aus dem Islam. Wer mit „Mission“ nur kolonialistische Überwältigung oder nervige Zeugen Jehovas an der Haustür verbindet, mag ein Missionsverbot für eine gute Idee halten. Doch dann würde man etwas Wichtiges übersehen: Mission steht auch für die Freiheit, die mit der Geburt vorgegebene Religionszugehörigkeit zu verlassen und aus eigener Überzeugung einen anderen Glauben anzunehmen. Sie ist also bei Lichte betrachtet eine Parallele zur negativen Religionsfreiheit, also der Freiheit, nicht mehr zu glauben.

Der „Austritt“ aus dem Islam gilt in Katar, wie in sehr vielen muslimischen Ländern, als Apostasie, als Verbrechen. Dafür ist die Todesstrafe vorgesehen. Dankenswerterweise wird diese in Katar seit 1971 nicht mehr vollstreckt. In anderen Ländern, wie zum Beispiel Pakistan, aber sehr wohl. Religionsfreiheit ist also nicht gegeben. Ein Protest wäre angezeigt. Denn hier geht es nicht um ein Sonderrecht nur für Gläubige. Ebenso wenig wie Rechte für Frauen oder LGBTQ-Personen nur für diese Menschengruppen bestimmt sind. Menschenrechte sind universal auch in dem Sinne, dass sie am Ende allen zugutekommen. Wo Menschenrechte garantiert sind, können alle in Würde leben – auch nicht-religiöse, heterosexuelle Männer.

Einen Protest gegen die Religionsunfreiheit in Katar wird es nicht geben. Man stelle sich vor, Fußballspieler würden eine Armbinde mit einem Kreuz tragen. Man stelle es sich, bei der Qualität der aktuellen Debatten und dem Zustand der verantwortlichen Verbände, lieber nicht vor. Überhaupt scheint gezieltes Desinteressiere das aktuell Empfehlenswerteste zu sein. Kürzlich schrieb der SZ-Kolumnist Axel Hacke in seiner großen Weisheit, er wolle nicht behaupten, dass er die WM „boykottiere“. Dieses Wort sei ihm zu groß und laut, um die Tatsache zu beschreiben, dass er sich diesen Kram einfach nicht anschaue.

Es gibt ja auch anderes, zum Beispiel die beginnende Adventszeit. Die kann man sinnvoller gestalten, etwa durch das Singen schöner Choräle. Wenn ich also am Sonntag „die Tor macht weit“ singe, werde ich bestimmt nicht an überbewertete, ins Religiöse überhöhte und ins Bodenlose korrumpierte Ballsportarten denken.

P.S.: Über „Lobpreis“, „Worship“ und andere Formen christlicher Popularmusik spreche ich in meinem Podcast mit dem Singer-Songwriter Albert Frey.

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