Städel Museum, Frankfurt am Main
Bauch zum Mieten?
Es ist ein neues Reizthema, in Deutschland und bei unseren europäischen Nachbarn: die sogenannte „Leihmutterschaft“. Auf Spanisch heißt es genauer: „vientre de alquiler“ – „Bauch zum Mieten“. Aus guten Gründen ist das bei uns verboten, aber es mehren sich die Versuche, dies zu umgehen – Anlass für eine grundsätzliche biblische Betrachtung.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
04.05.2023

Zu meiner eigenen Überraschung beschäftigt mich gerade das Thema „Leihmutterschaft“. Im „El Pais“ las ich kürzlich von einer spanischen Aufregung: Eine fast siebzigjährige TV-Dame hatte sich aus Florida ein Baby abgeholt. Linke wie Rechte waren empört und wollen dieser neuen Praxis einen gesetzlichen Riegel vorschieben. Die „postfaschistische“ italienische Regierungschefin hatte bei einem vergleichbaren Fall ihre Chance gewittert und dem ebenfalls aus Florida (ich dachte, dies wäre ein konservativer Bundesstaat) eingeführten Baby eines schwulen Paares die Einbürgerung verweigert, um so einen populistischen Punkt zu machen. Auch aus meinem weiteren Umkreis habe ich von schwulen Paaren gehört, die sich über das Verbot hinwegsetzen, indem sie im Ausland mit einer Frau ein solches Geschäft abschließen. Und über die Geschichten von nicht abgeholten Neugeborenen aus Belarus und der Ukraine ist ja vielfach berichtet worden.

Das Agieren von Frau Meloni halte ich für sehr problematisch. Aber ich wundere mich auch über Menschen, die ihren Kinderwunsch einfach so über gut begründete Verbote stellen und ihn sich andernorts erfüllen, weil sie es sich eben leisten können. Denken sie wirklich, dass dies ein Geschäft auf Augenhöhe sein kann? Kann man sich Mütter „leihen“? Diese handeln doch aus Not und erhalten dafür nicht einmal den Mindestlohn. Und was sollen später die Kinder über ihren Ursprung denken? Dass sie bei einer armen, fremden Frau in Auftrag gegeben wurden, die sie dann für Geld übergeben hat? Wie kann man mit diesem Bewusstsein leben?

Mir fiel dazu die Geschichte von Hagar aus dem Alten Testament ein. Sie geht so:

Abraham und Sarah konnten keine Kinder bekommen. Da sagte die Frau ihrem Mann, dass er etwas tun solle, was im Alten Orient erlaubt war. Er solle mit ihrer Sklavin Hagar ein Kind zeugen, damit diese es nach der Geburt in den Schoß ihrer Herrin lege. Doch was Sarah nicht bedacht hatte: Als Hagar schwanger geworden war, verweigerte sie ihrer kinderlosen Herrin den Respekt. Sie war ihr jetzt plötzlich überlegen. Sarah beklagte sich bei ihrem Mann, und der ließ ihr freie Hand. So schwach war er, dass er sein ungeborenes Kind im Bauch seiner Sklavin nicht schützte. Sarah demütigte und quälte ihre „Leihmutter“, so dass diese sich nur mit Flucht zu helfen wusste. Fast wäre sie in der Wüste verdurstet, aber ein Engel wies ihr den Weg zurück. Sie gebar für Abraham und Sarah einen Sohn, der den Namen Ismael erhielt.

Aber das war nicht das erhoffte gute Ende. Die Geschichte ging leider weiter. Denn auf wunderbare Weise wurde Sarah trotz ihres hohen Alters schwanger und brachte einen eigenen Sohn zur Welt: Isaak. Jetzt brauchte sie ihren Adoptivsohn und dessen Mutter nicht mehr. Also befahl sie ihrem Mann, die beiden zu vertreiben. Das Erbe ihres Isaaks könnte sonst geschmälert werden. Und ein zweites Mal schickte Abraham seine Sklavin in die Wüste, dieses Mal mit einem Kleinkind – seinem ersten Sohn. Wieder wäre Hagar fast gestorben, wenn nicht erneut ein Engel gekommen wäre. Aber dieses Mal kehrten sie nicht zu dem schwachen Patriarchen und der grausamen Patriarchin um.

Eine schreckliche Geschichte aus einer Zeit, in der „Leihmutterschaft“ legal war. Die Bibel erzählt davon mit unverstelltem Blick auf die fatalen Machtdynamiken dabei. Natürlich kann man aus dem 1. Buch Mose keine direkten Schlüsse für’s Heute ziehen. Doch man kann sich hier den Sinn für die Nöte, Abhängigkeiten und Aggressionen bei dieser eben nicht normalen Praxis schärfen lassen.

P.S.: Das Bild oben zeigt Hagars zweite Vertreibung. Gezeichnet hat es Pierre Mignard im 17. Jahrhundert. Es befindet sich im Städel Museum, Frankfurt/Main.

P.P.S.: Sexualisierte Grenzüberschreitung und Gewalt sind endlich ein öffentliches Thema. Aber haben wir schon eine richtige Form gefunden, ehrlich und persönlich darüber zu sprechen? Und zwar nicht nur „darüber“, sondern miteinander? In meinem Podcast „Draußen mit Claussen“ spreche ich darüber mit dem katholischen Theologen und Familientherapeuten Justinus Jakobs (Kinder- und Jugendheim der Caritas, Rheine).

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