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Weltende ohne Gott
Auf meinen letzten Blog zur „Klima-Religion“ gab es eine ausführliche, kritische Antwort. Das hat mich gefreut und wieder etwas anders ins Nachdenken gebracht. Also noch einmal: Kann man die Klima-Bewegung nicht doch als „Religion“ deuten?
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
27.01.2023

In meinem letzten Blog hatte ich die Unsitte kritisiert, die Klima-Bewegung als „Klima-Religion“ zu etikettieren – in polemischer Absicht, ohne nähere empirische Kenntnis der Akteure und ihres jeweiligen Selbstverständnisses. Dazu hatte ich mich auf einen lustigen, aber unbefriedigenden Tweet des Göttinger Kirchenhistorikers Tobias Graßmann bezogen. Nun hat er in dem sehr empfehlenswerten theologischen Online-Magazin „Die Eule“ geantwortet.

Graßmann plädiert dafür, die Klima-Bewegung doch einer theologischen Deutung zu unterziehen. Nicht um sie mal eben flink als irrational, abergläubisch oder häretisch abzuwatschen, wie es Pöbler zu tun belieben. Denn wie sollte man sonst in der evangelischen Theologie und Kirche ein angemessenes Verhältnis zu dieser Protest-Bewegung gewinnen?

Das leuchtet mir ein. Denn so wie es sich verbietet, die wichtigste Jugend- und Protest-Bewegung der Gegenwart von einem vermeintlich hohen, aber in Wirklichkeit nur alten theologischen Ross herab zu verurteilen, so sollte man auch nicht den Fehler begehen, sich ihr flink anzubiedern.

Man sollte schon einen eigenen, durchdachten Zugang finden. Dieser sollte konstruktiv sein, denn das Anliegen des Naturschutzes ist ein gemeinsames. Er sollte aber auch kritische Elemente enthalten. Denn die Klima-Bewegung hat sich längst in unterschiedliche Richtungen ausdifferenziert, wobei diese – es kann gar nicht anders sein – miteinander um die öffentliche Aufmerksamkeit konkurrieren, was zu problematischen Radikalisierungen führen kann. (So könnte ich mir gut vorstellen, dass die „Fridays“ und die „Letzten“ und die „Rebels“ sich wechselseitig nicht immer grün sind.)

Doch wie nähert man sich den Klima-Bewegungen theologisch? Ich bin weiterhin zurückhaltend, wenn man sie als „religiös“ bezeichnet. Dafür bräuchte es religiöse Selbstaussagen und religionsnahe Praktiken.

Anders verhält es sich mit dem Adjektiv „apokalyptisch“. Es wird in diesem Zusammenhang häufig verwendet, leider meist polemisch und ohne nähere Kenntnis. Deshalb assoziiert man „apokalyptisch“ mit: hoffnungslos, ins Ende verliebt, radikal, hasserfüllt, gewaltträchtig. Wer sich aber einmal mit apokalyptischen Schriften beschäftigt hat, weiß, dass es sich hierbei um durchaus ernsthafte theologische Versuche der Geschichtsdeutung handelt. Sie verhandeln die großen Fragen: Woher kommt das Böse? Gibt es Gerechtigkeit? Handelt Gott in der Geschichte?

Apokalyptische Elemente dürften bei den Klima-Bewegungen zu finden sein. Doch ich denke, dass es sich hier um säkularisierte Versionen handelt: Weltende ohne Gott. Was aber geschieht, wenn man diese religiöse Vorstellungswelt säkularisiert? Wie verändert sie sich? Wäre es möglich, sie mit ihren religiösen Ursprüngen zu konfrontieren? Könnte das einen Dialog befördern? Graßmann erklärt nun: „Ich halte es … für äußerst sinnvoll, die Klimabewegung als eine legitime Form von Apokalyptik zu verstehen und mit Hilfe theologischer Kategorien zu beurteilen.“

Wie aber kann das gehen? Man müsste als Theologe in der Lage sein, selbst eine Vorstellung des Apokalyptischen zu entwerfen. Leider bin ich dafür nicht geeignet. Denn als westdeutsches Friedens- und Wohlstandskind aufgewachsen, ist mir das Apokalyptische wesensfremd. Ich kann mich für Apokalyptik interessieren, sie aber nicht selbst verkünden.  Wer übernimmt?

P.S.: „Ach, das Kreuz!“ – über die Geschichte und Gegenwart dieses umstrittenen Symbols spreche ich in meinem Podcast „Draußen mit Claussen“ mit der Berliner Kunsthistorikerin Kathrin Müller.

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Wo ist denn die Trennlinie zwischen Religion und einem irdischen bzw. lebensnahen Ziel? Ist es nur der Unterschied zwischen dem Glauben an sich selbst in einem unbegreiflichen Zustand und einem Ziel, das auch eine irdische Illusion sein könnte? Die Wege für Religion und für das Klima sind täglich hier wie eine BAB von A nach B. In beiden Fällen wird gehofft und geglaubt, zumal das Klimaziel der Älteren auch jenseits ihrer Lebenserwartung liegt. Den Unterschied kennt jeder. Und doch ist die Unterscheidung nicht so einfach. Wer religiös ist, wird nicht fragen nach dem Unterschied. Wer ohne Religion ist, für den könnte das Klimaproblem, wenn es denn mit Sendungsbewußtsein erfüllt ist, zu einem Religionsziel werden. Hier verschwimmen individuell die Grenzen für die Zustände nach dem Tode. Für den Lebenden ist die Realität und der Unterschied nach dem Tode im "Himmel" und der Situation im Sarg nicht mehr so gravierend. Deshalb auch die Unsicherheit in der Bewertung.

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