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Beim nächsten Berlin-Besuch bitte nicht verpassen!
Die Eröffnung fiel Corona-bedingt schmal aus. Inzwischen hat das „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ seine Tore weit geöffnet. Beim nächsten Ausflug in die Hauptstadt sollte man es unbedingt aufsuchen.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
21.04.2023

Verzeihung, dies ist ein Werbe-Blog. Aber er ist gut begründet. Die Arbeit im Stiftungsrat des neuen Dokumentationszentrums zur deutschen und europäischen Fluchtgeschichte hat mir in den vergangenen Jahren viel Freude bereitet. Sie hat sich gelohnt. Denn etwas höchst Sehenswertes ist entstanden. Um Sie an den Anhalter Bahnhof zu locken, gebe ich Ihnen jetzt zehn gute Gründe.

1. Deutschland ist auch ein Land der Flüchtlinge und Vertriebenen. Kaum eine Familie ist ohne Fluchtgeschichte. Deshalb brauchte es einen zentralen Ort, an dem diese Geschichten erzählt, gewürdigt und im Kontext europäischer Zwangsmigrationen erklärt werden. Jetzt gibt es ihn endlich.

2. Die Entstehungsgeschichte war lang, kompliziert und konfliktreich. Wer heute aber durch das Dokumentationszentrum geht, wird dies nicht mehr bemerken. Denn die Ausstellung spricht für sich selbst, überzeugt aus sich selbst.

3. Die Architektur ist beeindruckend. Das Ausstellungsdesign hat internationales Niveau.

4. Auf einer ersten Ebene wird erklärt und erlebbar gemacht, inwiefern die Nationenbildung im Europa des 19. Jahrhunderts zu massiven, brutalen Zwangsmigrationen im 20. Jahrhundert geführt hat.

5. Dabei wird die deutsche Fluchtgeschichte in die Fluchtgeschichten anderer Völker bis heute integriert, ohne dadurch nivelliert zu werden. Das ist die hohe Kunst einer klugen und sensiblen Ausstellungsgestaltung. Man sieht den Zusammenhang und lässt sich zugleich von individuellen Schicksalen berühren. (Das Foto oben zeigt lebensgroße Aufnahmen von Menschen, die ihre Geschichten erzählen – hier: ein Mann aus Vietnam, eine Frau aus Ostpreußen, eine Frau aus Jugoslawien.)

6. Auf einer zweiten Ebene kann man die deutschen Flucht- und Vertreibungsgeschichten kennenlernen. Manches wusste man vielleicht schon, sehr vieles aber auch nicht. Zum Beispiel wie viele unterschiedliche deutsche Gruppen es in Süd- und Osteuropa gegeben hat. Oder mit welcher Gewalt das NS-Deutschland andere Völker vertrieben hat. Oder wie viele Bevölkerungsgruppen – Polen, Ungarn, Ukrainer… – überhaupt im und nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen mussten.

7. Auch hier fällt eine feine Verbindung aus Klugheit und Sensibilität auf: Die Leiden der Deutschen werden gewürdigt, aber es wird kein exklusives deutsches Opfernarrativ bedient, deutsche Schuld nicht relativiert. So kann ein Sinn für Humanität, das Recht auf Heimat und Solidarität wachsen.

8. Ein exzellenter Audio-Guide erklärt die Zusammenhänge und erzählt die Geschichten der eindrucksvollen Objekte.

9. Anschließend kann man in der schönen Bibliothek reichhaltige Literatur zum Thema kennenlernen oder sich einfach entspannen.

10. Der Eintritt ist frei. Man kann also einfach reinschauen, um ein anderes Mal mit mehr Zeit wiederzukommen.

P.S.: In meinem Podcast „Draußen mit Claussen“ spreche ich mit Claudia Rammelt, die über die bei uns viel zu wenig bekannten christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten forscht. Auch hier geht es um Flucht und Vertreibung, um Rückkehr oder Heimisch-Werden hier bei uns.

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