Krankenschwester vor einem Patientenbett mit Anamese-Protokoll
Martin Barraud/Getty Images
„Na, Schätzelchen, geht es endlich nach Hause?“
Aufmerksame Sprache im Krankenhaus ist unabdingbar. Weil ein Pfleger keine Schwester ist und ein Mensch keine Galle.
privat
26.04.2022

Selten zwar, aber es gibt sie noch, die bis zum Überdruss kritisierten Formulierungen wie der „Blinddarm aus Zimmer 5“. Nur, ist das denn wirklich so schlimm, wenn ein Arzt nur schnell Blut abnimmt und meinen Namen nicht kennt? Hauptsache ist doch, er findet eine Vene.

Ganz andere Redewendungen im Krankenhausalltag habe ich als unerträglich, verletzend und demütigend erlebt: „Na, Schätzelchen, geht es endlich nach Hause“, so verabschiedete sich eine junge Schwesternschülerin von einer hochaltrigen vornehmen Dame.

Wer so redet, denkt so

„Da musst du nicht mehr hin, der ist doch nur Blumenkohl“, hörte eine Angehörige ein Gespräch über ihren sterbenden Mann auf dem Krankenhausflur mit.

„Die ist ja noch gar nicht befüllt“, meinte vor kurzem eine junge medizinischen Fachangestellte. Die, das war ich, und befüllt, das meinte das Einfüllen von Kontrastmittel über eine Magensonde. Das ist Sprache, die einfach falsch und unmenschlich ist, egal wer dies sagt, egal wie hektisch die Situation ist, egal wie groß Not und Elend sind. Das ist lieblos und hat weder im Krankenhaus noch sonst irgendwo etwas zu suchen.

Aber gegen solche Lieblosigkeiten scheint kaum ein Kraut gewachsen zu sein. Wer so redet, denkt ja so. Wer von Blumenkohl redet, sieht in diesem Moment den Menschen nicht und spürt nicht den Schmerz der Angehörigen. Und wer Schätzelchen sagt, fühlt sich der alten unbeweglichen Frau eben haushoch überlegen. Die Schwesternschülerin konnte meine Kritik tatsächlich nicht verstehen, sie sei doch freundlich gewesen. Aber sie hat diese plumpe vertrauliche Sprache zumindest in meiner Gegenwart als Klinikseelsorgerin nicht mehr verwendet.  

Und das ist gut so. Denn Reden und Denken gehören zusammen und wenn ich mein Reden ändere, ändert sich mein Denken und umgekehrt. So etwa lautet eine wenig angezweifelte Grunderkenntnis der Debatten über das Gendern, die sich auch relativ gut belegen lässt.  

Manchmal braucht es auch etwas Penetranz

Aus diesem Grund bemühe ich mich tatsächlich täglich neu um eine einigermaßen geschlechtergerechte Sprache, auch wenn es oft nervig und anstrengend ist. Aber wir denken die „mitgemeinte“ Chirurgin eben nicht automatisch mit und der Pfleger ist nun mal keine Krankenschwester.

Und aus dem gleichen Grund, weil Denken und Reden zusammengehören, brauchen wir im Krankenhaus in jeder Situation Sensibilität für eine menschenfreundliche Sprache. Die „Galle im Wartezimmer“, das geht nicht, auch dann nicht, wenn es schnell gehen muss oder die Patientin vermeintlich nichts mitbekommt oder nur mal schnell Blut abgenommen wird.  So darf man nicht sprechen, weil das Denken sonst auf die falsche Bahn gerät

Der Schmerz der Ehefrau muss so präsent sein, dass keiner und keine je auf die Idee käme, von einem Patienten als Blumenkohl zu reden. Und die, die befüllt wird, gibt es nicht. Es darf nie unkommentiert einfach stehen bleiben, wenn der Name oder zumindest das Wort Patientin fehlt. Der Mensch muss einfach immer der Rede wert sein.

Letztlich ist es auch hier genauso wie beim Gendern: Es braucht Anstrengung, Phantasie und eine Portion Penetranz, damit im Krankenhaus kein Mensch mehr Blumenkohl genannt wird, keiner nur ein Blinddarm ist und niemand nur ein Behälter, der befüllt werden muss. Und geduzte Schätzelchen gibt es schon gar nicht.

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