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Einfach abhauen
Macht bleibt Macht und wer diese missbraucht oder unreflektiert nutzt, ist im Unrecht, egal wie überarbeitet und frustriert er oder sie gerade ist. Als Patientin fühle ich mich da hilflos und ausgeliefert
17.01.2023

Ich sitze im Gang der überfüllten Notaufnahme, links neben mir eine hochaltrige Frau, die ständig wiederholt, dass sie sterben will, rechts ein schimpfender alkoholisierter Patient, der nach Hause will.

Genau das will ich nach kurzer Zeit auch, einfach nach Hause. Entnervt entgegnet mir eine Pflegerin, ich könne ja jederzeit gehen, ich sei ja freiwillig da.

Erst vor kurzem las ich, dass nach einer Umfrage des Marburger Bundes jeder fünfte Klinikarzt mit dem Gedanken der Kündigung spielt, weil die Zustände in den Kliniken untragbar sind. Ein Hilferuf der Ärzte, trotzdem werde ich spontan ganz neidisch und wünsche mir, wenigstens das zu können, aufzustehen und zu gehen. Aber mir bleibt nicht einmal die Macht der Verweigerung, ich brauche ja Hilfe und so bleibe ich.  

Gehen Sie sofort einen Schritt zurück

Macht ist ein schwer zu greifendes Phänomen. Natürlich ist ein Pfleger in einer Notaufnahme nicht wirklich mächtig, Klinikärzt*innen auch nicht. Sie haben begrenzte Entscheidungsbefugnis und stecken ansonsten fest in den Strukturen eines Gesundheitssystems, die sie nicht einfach so ändern können.

Aber anders als kranke Menschen können sie im Notfall die Zusammenarbeit aufkündigen und vor allem, wenn sie sich klugerweise zusammentun, können sie auch streiken.

„Seien Sie doch dankbar, dass Sie überhaupt noch gepflegt werden“, werde ich auf Facebook für eine Bemerkung kritisiert, mit der ich mich über eine lieblose Behandlung beschwert habe.  

Und ich bin es doch wirklich, dankbar für viel gute Pflege und medizinische Behandlung, die ich in den letzten Jahren erfahren habe. Ich schätze auch immer noch unser einigermaßen funktionierendes Gesundheitssystem.

Aber es kann doch trotzdem nicht sein, dass ich als Patientin nur noch hilflos und dankbar zu sein habe, egal wie ich behandelt werde. Ich bleibe doch ein denkender Mensch und bin auch nicht dafür verantwortlich, wie wenig Personal es in den Kliniken gibt. Und wenn ich Machtanmaßung erfahre, dann möchte ich mich wehren.

 „Gehen Sie sofort einen Schritt zurück“, höre ich von einem Pfleger. Als ich nicht sofort reagiere, wird mir erklärt, dass ich mit einem Fuß die Schwelle zum Schwesternzimmer übertreten habe. Den Ton der Zurechtweisung empfand ich als ziemlich scharf, seit Schulzeiten bin ich das nicht mehr gewohnt. Eigentlich wollte ich nur darauf aufmerksam machen, dass ich ein verordnetes Medikament noch nicht erhalten hatte. Das Medikament bekam ich an diesem Tag nicht mehr.

Machtpyramide im Krankenhaus

Kranke Menschen müssen damit leben, dass derselbe Pfleger, dessen Verhalten sie heute als arrogant und übergriffig empfinden, sie morgen wäscht, verbindet und im Zweifelsfall sogar trösten will.

Mit meinen eigenen Erfahrungen verstehe ich mittlerweile deutlich besser, warum eine Patientin ihrer Beschwerde über einen Pfleger bei mir als Seelsorgerin sofort anfügte: „Sagen Sie nichts, sonst bekomme ich das nur zu spüren.“

Pflegende haben Macht. Das ist so, das ist ein Fakt und kein Vorwurf. „Ich bin an deiner Seite, geschwisterlich auf Augenhöhe“, so verstehe ich den geschichtlichen Hintergrund des Wortes „Krankenschwester“ und ich schätze diese Ablehnung von Macht in der ansonsten völlig überholten Anrede.   

Macht bleibt Macht und wer diese missbraucht oder unreflektiert nutzt, ist im Unrecht, egal wie überarbeitet und frustriert er oder sie gerade ist. Denn am Ende sind es die Patient*innen, die ganz unten in der Machtpyramide des Krankenhauses an vielen Orten des Medizinbetriebes warten und warten und warten…  

 

 

 

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