Schere mit Faden
Schere mit Faden
Foto: Claudius Grigat
Geduldsfaden
Tim Wegner
23.03.2018

Natürlich hängt mein Herz an Wörtern - ich bin Journalist und arbeite mit Sprache. So groß ist meine Leidenschaft, dass ich sogar neue Wörter sammle, die etwas viel treffender ausdrücken, als ein bereits vorhandenes, herkömmliches Wort es könnte. Wörter wie "abgeschubbert" zum Beispiel. "Abgewetzt" oder "aufgerieben" treffen einfach nicht so haargenau das, was passiert, wenn man mit der Jeans beim Torschuss über den groben Hartplatz rutscht.

Und weil ich Wörter liebe, liebe ich auch Worte - und habe mir irgendwann sogar mal den Unterschied eingeprägt. Letzteres - also alles, was mit einer sinnzusammenhängenden Aussage, zum Beispiel einer Rede, einer Redensart oder Ähnlichem zu tun hat - interessiert mich sogar besonders. Wobei ja Redensarten so ihre Tücken haben. Sie können so präzise und routiniert Sachverhalte und Emotionen beschreiben wie kaum etwas anderes. Wenn man sie richtig verwendet. Aber das will gelernt sein! Schief geht dabei ja meistens nicht die Anwendung, also der falsche Satz in der richtigen Situation oder umgekehrt. Nein, in der Regel liegt der Fehler in der Aneinanderreihung der richtigen Wörter, nämlich genau derer, die diese Worte zu einer Redensart machen. Eine Redensart mit auch nur teilweise anderen Wörtern ist nunmal keine Redensart mehr. In der Regel ist sie, mit anderen Worten: absoluter Quatsch. Oder wie würden sie es nennen, wenn jemand sagt: "Lügen haben keine Beine"? Oder "Das schlägt dem Fass ein Loch in den Boden"?

Niemand sitzt auf "brennenden" Kohlen

Deswegen achte ich immer besonders darauf, dass sich bei meinen Kindern solche Fehler und Verirrungen gar nicht erst einschleichen. Also zum Beispiel, dass sie auf "glühenden Kohlen" sitzen und nicht auf "brennenden" oder, noch schlimmer, einfach nur auf Kohlen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich bin schon stolz darauf, wenn sie überhaupt solche Redewendungen benutzen und mein Autorenherz freut sich sehr über diesen semantisch elaborierten Umgang mit Sprache. Aber besser noch, das läuft von Anfang an richtig: Wenn schon, denn schon!

So schaute ich kürzlich wohl auch drein wie ein begossener Pudel (nicht "Dackel"), als aus dem Munde meines Nachwuchses der Satz kam: "Bis ich endlich dran kam – das hat so lange gedauert, da ist mir fast der Geduldsfaden gekracht!" Natürlich habe ich das umgehend korrigiert. Aber, von wem sollen es die Kleinen auch lernen? Es erziehen ja nicht nur die Eltern, auch das Umfeld spielt eine große Rolle. Und da musste ich neulich doch tatsächlich Ohrenzeuge werden, als ein Elternteil zu einem anderen sagte: "Da kann einem schon mal der Geduldsfaden platzen!" Abgesehen davon, dass ich mir das seitdem versuche, bildlich vorzustellen: Da ist doch wirklich Hopfen und Gerste verloren, oder?

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