Hand mit Fahne auf der "Fuck" steht.
Hand mit Fahne auf der "Fuck" steht.
Foto: sir_hiss/photocase.de
Vulgarien
Tim Wegner
08.12.2017

Niemand hatte mir gegenüber je behauptet, dass Erziehung ein Zuckerschlecken sei. Aber musste ich denn unbedingt auch noch mit zwei so spitzfindigen wie schlagfertigen Kindern gesegnet werden…?

Wir versuchen selbstredend – wie alle gutbürgerlich-zivilisierten Eltern, für die Knigge kein Bein hintendran hat und in Ostereier gefüllt wird – unsere Kinder vom unmäßigen Gebrauch unflätiger Begriffe und vulgärer Ausdrücke abzubringen. Was aber tun, wenn dieses Unterfangen auf keinerlei fruchtbaren Boden in Form von nachvollziehendem Verstehen oder wenigstens Kadavergehorsam fällt? Es muss ja nicht gleich so sein, wie bei dem - extrem wohlerzogenen - entfernten Bekannten, der immer, wenn er besonders wütend auf sein Gegenüber war, zum schlimmsten Schimpfwort griff, das er sich vorstellen konnte: "Du Holzauto!" Aber diese totale selbstgewisse Renitenz meiner Kinder macht mich hin und wieder sprachlos.

"Das kann man doch auch anders sagen"

Folgendes trug sich jüngst in unserem Hausflur zu: Unser Kleiner zieht seine Daunenjacke an. Unvermittelt fängt er an zu schimpfen wie der sprichwörtliche Rohrspatz: "Ich fühle mich wie eine fette Kuh." Daraufhin meine Frau: "Aber, aber… wenn du dir etwas unbeweglich vorkommst in der dicken Winterjacke, verstehe ich das. Allerdings kann man das doch auch anders sagen, ohne solche abfälligen Worte…" Ein wohlmeinender, aber hilfloser Versuch. Er hingegen erwidert ohne Nachzudenken: "Wieso denn? Ich fühle mich doch nun mal WIE EINE FETTE KUH!" Diskussion beendet.

Anderes Beispiel gefällig? Sonntagsspaziergang nach einem Regenguss. Die Kinder auf ihren Rollern. Eine Riesenpfütze. Der Rest ist klar… es gibt kein Halten, es spritzt, es macht einen Riesenspaß. Danach zeichnet sich auf der Jeans meiner Tochter deutlich ein großer dunkler Schatten ab, Höhe Gesäß und Oberschenkel. Sie, irgendwo zwischen jammerig und zornig: "Meine Hose ist total nass, jetzt bekomme ich einen ganz kalten Arsch." Ich, reflexartig: "Hey, da kann man doch auch 'Hintern' oder 'Popo' sagen." - "Ja. Aber jetzt wird mein Popo arschkalt, menno!"

Manchmal denke ich, wir sollten irgendwo hinziehen, wo wir nicht so auffallen, verdammte Sch… Nach "Vulgarien" oder so.

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Wenn was rausrutscht und den Kindern die Grenzen gezeigt werden, ist alles reparabel. Aber was machen, wenn die Autorität der Eltern durch die Öffentlichkeit untergraben wird? Was machen, wenn die Kinder antworten, dass in der medialen Öffentlichkeit diese Sprache normal geworden ist? Was machen, wenn die Eltern selbst in den Film F..you Goethe gehen und diese Gossensprache gesellschaftsfähig geworden ist? Kürzlich auf einem Geburtstag. Eine junge Frau mit Dr.-Hut, deren Erfolgsgeschichte wir immer bewundert haben und die für unsere Kinder als Vorbild galt, kommt und sagt laut und deutlich zur Begrüßung: "Was für ein Sch..Wetter heute". Vorher Vorbild und nachher Nachsicht? Leider hat das Niveau der Gosse Einzug gehalten. Keiner braucht sich zu wundern, wenn dann auch auf vielen anderen Gebieten über die Sprache die Rücksichtlosigkeit gesellschaftsfähig wird. Die Anonymität in den Foren beschleunigt diesen Prozess.

Antwort auf von Ockenga (nicht registriert)

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Klar. So geht es zu, lieber Herr Ockenga! Erst das Wetter mit einem Kraftausdruck belegen. Wer so etwas macht, rammt auch seinem Nachbarn ein Messer in den Bauch. Ist doch logisch. Also müssen Zucht und Ordnung her! Anständige Menschen haben das schon immer gewusst.

Sepp Stramm

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