Sprechblase mit ausgeschnittenen Buchstaben aus Zeitschriften.
Sprechblase mit ausgeschnittenen Buchstaben aus Zeitschriften.
Foto: Getty Images/iStockphoto/scyther5
Definitionssache
Tim Wegner
30.01.2019

Ich habe vor einigen Jahren Menschen ausländischer Herkunft Unterricht in der deutschen Sprache gegeben. Immer wieder habe ich meine Schützlinge dabei stöhnen gehört: Diese Sprache sei so komplex, diese ganzen Ausnahmen, dann noch die komplizierten Satzstellungen, je nach Betonung usw.

Ich muss sagen: Ich konnte das schon damals nachvollziehen und habe mich hoffentlich auch recht mitfühlend gezeigt. Erst recht aber werden mir so einige Fallstricke der deutschen Sprache bewusst, seit ich den noch immer nicht abgeschlossenen Spracherwerb meiner Kinder begleite. Wie oft ich zum Beispiel jede Woche versuche, klarzumachen, dass bei der Frage "Kann ich bitte die Nutella?" noch ein "haben" oder ein "bekommen" fehlt? Die Fälle sind Legion (ganz zu schweigen davon, dass auch nicht abschließend zu klären ist, ob es "die Nutella" oder "das Nutella" heißt).

Fallen bei den Fällen

Apropos Fälle: Auch das korrekte Anwenden der verschiedenen Casi ist bekanntermaßen ja nicht so ganz einfach und ich kämpfe zuhause immer noch verbissen einen einsamen Kampf gegen das scheinbar unaufhaltsame Aussterben des Genitivs. Und dann ist da ja auch noch die besondere Härte von Vokabeln, die ihre Herkunft aus einem Fremdwort ableiten.

So beschwerte sich mein Sohn neulich zum Beispiel vehement darüber, dass seine Schwester ihn, bevor er die diskutierte Tätlichkeit begangen habe, "total produziert" habe. Über meine Frage, was für ein Produkt er denn nun sei, konnte er gar nicht lachen. Ein anderes Mal forderte er für seine Wunde am Finger ein "Definitionsmittel". Auch hier wollte er nicht so recht in das spontane Gelächter einstimmen, das beim Rest der Familie ausbrach. Erst recht, als meine Frau dann noch nachschob, dass ihre Schülerinnen und Schüler aus der fünften Klasse in Mathematik so ein "Definitionsmittel" auch manchmal gut gebrauchen könnten.

Geil ist toll

Ja, meine Kinder haben es nicht leicht mit einer Lehrerin und einem Journalisten in der Eltern-Funktion. Aber am Ende ist das mit der Sprache ja doch Definitionssache, wie in der Mathematik: Hat sich ein bestimmter Sprachgebrauch etabliert, kann es sein, dass er irgendwann auch im Duden landet – und damit zum orthografischen oder grammatikalischen Fakt wird. So bedeutet "geil" zum Beispiel seit geraumer Zeit (auch) soviel wie "toll, großartig".

Mein Sohn wiederum musste sich immer wieder anhören, dass es die Wendung "am öftesten" nicht gibt. Entweder "oft" oder "häufig" oder "am meisten" – aber nicht "öfter als oft". Bis er einmal nach kurzem Nachdenken entgegnete, dass das aber schade sei. Schließlich sei "am öftesten" doch sehr praktisch und sollte 'unbedingt erfunden werden'. Und da hat er unbestreitbar recht, liebe Duden-Redaktion!

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