Bahntrasse im Ahrtal bei Heimersheim
Bahntrasse Ahrtal
Thomas Rheindorf
Es fährt kein Zug nach nirgendwo
Ich fahre gerne Zug, auch wenn die Bahn meine Geneigtheit immer wieder auf die Probe stellt. Wie eine Diva, die auf ständigen Loyalitätsbeweisen besteht. Die Bahn lehrte mich Geduld und Gleichmut, doch wenn sie fehlt, ist der Zug auch abgefahren – gewissermaßen.
10.09.2021

Zu den liebenswürdig-verschrobenen Leidenschaften, denen Menschen (Männer zumeist, will mir dünken) einen Großteil ihrer Lebenskraft und -zeit widmen, zählt die Eisenbahn, sei es als Modell oder in echt. In der Schule saß einer neben mir, den es früh gepackt hatte. (Und bis heute festhält, wie ich hörte.) Mein eigenes Verhältnis zur Eisenbahn wurde frühkindlich durch Fahrten mit meiner Großmutter geprägt. Wir fuhren oft gemeinsam von Ahrweiler, wo meine Eltern mich zur wechselseitigen Erholung bei ihr abgaben, zurück nach Brühl, wo wir lebten. Aus der Bahnhofshalle nahm die Oma Prospekte mit und faltete Schiffchen, die wir auf einem Kunststoffbrett am Fenster fahren ließen, während draußen die Welt vorüberzog: Bahnfahren als sorglose Reise ohne Frage nach dem Vollzug. So ist es mir bis heute am liebsten.

Der schulische Banknachbar allerdings weitete dann meinen Horizont und ich musste allerlei über Kursbücher und Indusi (irgendwas zum Steuern, das ich nicht mehr erklären könnte), Nebenstrecken und Signale erfahren. Manchmal bin ich mit ihm Bahn gefahren und dabei einsamen Jägern begegnet, die mit Teleobjektiven am äußersten Ende von Bahnsteigen standen und wie verrückt knipsten, wenn ein Zug kam. Ein historisches Ereignis, das ich sonst wohl kaum zur Kenntnis genommen hätte, war die letzte Fahrt eines Personenzugs auf der Ahrtalbahn bis nach Adenau im Sommer 1985 mit geschmückter Lok. Eine Kapelle spielte. Heute geht es nur noch bis Ahrbrück, auf der ehemaligen Bahntrasse stehen Betriebe, die über die Landstraße mit Sattelschleppern beliefert werden.

Moderne Bahnarchitektur und Trassenführung sind als Ingenieursleistung enorm imposant

Das Hochwasser hat der eingekürzten Bahnstrecke schmucklos ein abruptes Ende bereitet. Unter denen, die auf die Züge angewiesen sind, Verkäufer und Sachbearbeiterinnen, Studenten und Schülerinnen auf dem Weg in den Köln/Bonner Raum oder rheinaufwärts, hat Ahrtalbahn ein Image im unteren Bereich einer Skala, auf der Schweizer Bahnen ganz oben rangieren. Sie ist immer mal wieder für eine (selten heitere) Überraschung gut, was Pünktlichkeit oder auch Zugausfälle angeht. Und doch fehlt sie, jetzt, wo sie nicht mehr da ist. Ihre Abwesenheit ist der Hauptgrund dafür, dass meine Familie jetzt in Remagen am Bahnhof wohnt: Meine Tochter besucht eine Schule in Bonn und Schienenersatzverkehrsbusse (ein Wort so schön, wie es nur das Deutsche hervorbringen kann) sind keine wirkliche Alternative zum Triebwagen, jedenfalls zu den Tageszeiten, wo alle fahren. Politiker, die mit ernst-betretener Miene kurz vor der Wahl das Ahrtal betreten, sprechen fast immer auch vom „raschen Wiederaufbau der Infrastruktur“. Das ist gut, denn zu dem, was an „klimapolitischer Wende“ erreicht werden soll, gehört hier die Ahrtalbahn einfach dazu. Besonders, wenn nicht mehr Diesel für den Antrieb sorgen würde.

Es gibt lange Passagen, wo Bahn und Radweg im Ahrtal miteinander zu spielen scheinen, sich über- und unterführen, trennen, wieder nebeneinander herlaufen, bis vor Mayschoß der Radweg eine Tunnelröhre der dort eingleisigen Bahnlinie nutzt. Beide vereinigen sich dann am Biergarten des Bahnhofs. Moderne Bahnarchitektur und Trassenführung sind als Ingenieursleistung enorm imposant und buchstäblich auf Speed geplant. Naturbezogen sind sie nicht. Vielleicht führt das Hochwasser zu einem anderen Plan. Damit sich das Spiel zweier grüner Verkehrswege in einem wieder grünenden Tal fortsetzt. Darauf dann ein Prosit der Vernünftigkeit am Bahnhof. Natürlich mit einem Radler!

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