Bild eines kaputten Gebäudes
Kein Gebäude in Kabul oder Kiew – das einstige Hallenbad von Bad Neuenahr ist die Aussicht vor dem Tinyhouse von Thomas Rheindorf: Mehr Hinweis auf Notunterkunft geht kaum.
Thomas Rheindorf
Back to town
Als das Leben im Studentenhaus durch Verkauf und Modernisierungsbestrebungen untragbar wurde, tauchte plötzlich das Angebot auf, für den Übergang ein eigenes Haus zu beziehen. Ein ziemlich kleines Haus. Genauer gesagt ein Tinyhouse. Zeit für ein alternativloses Experiment.
08.04.2022

Odysseus musste – so berichtet es Homer den alten Griechen – auf dem Weg nach Hause durch eine Meerenge, die von zwei Ungeheuern bewacht wurde. Skylla und Charybdis. Beide für die Reisegruppe des griechischen Helden gefährliche Zeitgenossen. Er kam durch, sonst wäre seine Geschichte zu Ende gewesen und er nicht in den Olymp der Sagenhelden aufgestiegen. Seither sind die beiden Monster im Wortschatz sagenliebender Bildungsbürger, etwa so wie Pest und Cholera. Im Angesicht der allgemeinen Weltverfasstheit ist es nicht angemessen, die Entscheidung Studentenbude versus Notunterkunft so dramatisch aufzuladen.

Und doch ist es speziell, die Behausung an der Remagener Verkehrsader mit akustischem Dauerbesuch von LKWs und Zügen im eigenen Bett und studentischer Life-work-Balance einzutauschen gegen ein Tinyhouse in einer Tinyhouse-Siedlung, von der aus man dank der flurbereinigenden Wirkung des Ahrhochwassers das eigene Heim über den Fluss hinweg ahnen kann.

Fast zuhause ist eben nicht ganz zuhause

Fast zuhause sein und doch gerade darum überhaupt nicht zuhause sein – es ist ein im Umzug verborgenes dialektisches Mysterium. Dem Tinyhouse ist das nicht anzulasten. Es besteht den Wohncheck mit Bravour. Vorausgesetzt man kann einem minimalistischen Lebenskonzept etwas abgewinnen.

Barocke Üppigkeit ist nirgends zu finden. Das Inneren ist clean und praktikabel. Es wirkt, als ob Frederick Winslow Taylor (der Erfinder des Taylorismus, dem jeder überflüssige Handgriff bei der Arbeit ein Gräuel war) und Margarete Schütte-Lihotzky (die mit der berühmten Frankfurter Küche) so lange gebrainstormt, bis das kleinste noch lebenswerte Wohnhaus entstanden war. Du willst Licht anmachen? Der Schalter ist da, wo deine Hand ihn intuitiv sucht. Du willst deine Jacke (oder ein Badetuch oder ein Geschirrtuch) aufhängen. Der Hacken hängt schon da, wo du ihn auch angedübelt hättest.

Eine Zelle der Sauberkeit im Chaos

Kein Quadratzentimeter ist unbedacht oder nicht irgendwie nutzbar. Natürlich kann man auch hier messiehaft wirken, doch die Räume schreien geradezu nach Ordnung und Übersicht. Wenn man diesem Anspruch gerecht wird, dann lohnt es das Refugium mit Komfort und  – nun ja – Marie-Kondo-Gemütlichkeit. So ist unser Tinyhouse eine Zelle der Sauberkeit und Ordnung in einer noch immer in Dreck, Verwüstung und Vorläufigkeit erstarrten Umgebung.

Es steht auch nicht allein. In Reih und Glied füllen die Häuschen den ehemaligen Parkplatz des ehemaligen Hallenbades. Sein Schicksal war schon vor der Flut besiegelt und grüßt die kleine Siedlung als Ruine. Der Parkplatz ist noch erkennbar, die Grünstreifen sind gerodet, das Verbundpflaster geblieben. Die Stadtverwaltung verwaltet die Notunterkünfte durch das Ordnungsamt. Bei der beschriebenen Anordnung und ordentlichen Innenaufteilung die richtige Abteilung.

Mir gefällt es hier, sagt Manuela

Für die hier zusammenlebenden Menschen und ihre Bedürfnisse ist der Arbeitersamariterbund (ASB) zuständig. Es ist eine von Spannungen nicht freie Aufgabenverteilung. Als sich ein Kind beim Spielen beim Sturz auf eine hervorstehende Wurzel fast das Auge ausstach, sprach man bei der Stadt von „allgemeinem Lebensrisiko“. Der ASB-Manager wollte das so nicht stehenlassen. Jetzt gibt es Rindenmulch. Der sieht ganz gut aus. Doch es ist ein Dilemma: Im Gegensatz zum holländischen Campingplatz, wo ähnliche Behausungen anzutreffen sind, ist hier keiner freiwillig und auf Urlaub. Und jeder der hier lebt, ist in mehr oder minder großer Not.

Doch wollen die Menschen nicht ununterbrochen mit dieser Tatsache konfrontiert sein. Sie wollen auch atmen und leben. Manuela, unsere neue Nachbarin, ist irgendwas zwischen Siedlungsvorsteherin, Platzwartin und Mutter der Kompanie. Ihr ist nichts geblieben. Was sie hat, ist in ihrem kleinen Haus. Aber das hat sie und die Bewohner, um die sie sich kümmern kann und will. „Mir gefällts hier“, sagt sie. 

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