Thomas Rheindorf Hochwasser Bürgermeister
Thomas Rheindorf
Gegen Nazis und Bürokraten
Als ich meinen Bürgermeister im Fernsehen sah, erinnerte ich mich an ein Machtwort und Laugengebäck.


10.08.2021

Mein Bürgermeister ist kein jovialer Typ. Auch nicht eloquent wie ein charismatischer Saalredner. Schon gar kein rheinischer Karnevalist mit „Witzischkeit“. Mehr ein seriöser Verwalter. Ich kann mir nicht vorstellen, mit ihm Pferde zu stehlen, aber einen Gebrauchtwagen würde ich ihm ungesehen abkaufen. Er hat ein anderes Parteibuch als Ex-Kanzler Gerhard Schröder, doch dessen Diktum von der Politik der ruhigen Hand passt auch auf unseren Bürgermeister. Man sagt, er habe nach der Schule mit dem Gedanken gespielt, Priester zu werden. Im Stadtrat, so hörte ich einmal, soll er auch scharf werden können, ich aber kenne ihn nur aufmerksam, ernsthaft und nüchtern.

Anfang Juni aßen wir zusammen auf einem Platz in der Ahrweiler Innenstadt Laugengebäck und tranken Wasser: Die evangelische Kirchengemeinde hatte zu Eröffnung eines Ladens eingeladen - :KERIT, ein Sozialprojekt. Gespendetes soll dort durch Ehrenamtliche zugunsten einer sozialen Einrichtung für Arme und Einsame verkauft werden. Das Geschäft war chic wie eine Boutique geraten, ich sprach ein paar begrüßende Worte, der Bürgermeister war zufrieden: Nachhaltigkeit, soziales Engagement und lebendige Fußgängerzonen sind sein Ding. Er ließ beste Wünsche und einen Scheck da. Gerne wolle auch er ein paar seiner Anzüge spenden, verriet er mir. Der Bürgermeister trägt gerne Anzüge im Heiko-Maas-Stil – vermutlich aber etwas preisgünstiger.

Der Laden ist jetzt völlig zerstört, der Wille der Kirchengemeinde und der Ehrenamtlichen indes ungebrochen. Es wird ihn wieder geben, wahrscheinlich wird er dann wichtiger sein als vor dem Hochwasser. Und hoffentlich mit ein paar Heiko-Maas-Anzügen.

Sein stärkster Moment

Einige Monate zuvor, im März 2021, hatte der Bürgermeister für mich einen seiner stärksten Momente: Nazis hatten sich in der Stadt festgesetzt. Sie betrieben eine WG in einem Haus, das das „Braune Haus“ genannt wurde – auch weil es braun angestrichen war. Auf einer Demo mit illusteren Teilnehmern von ganzganz links bis bürgerlich-liberal skandierte er vor dem Rathaus sein Machtwort: „Halt! Stopp! Bis hierher und nicht weiter!“ Die Boxentürme neben der Bühne bebten wie bei Rock am Ring: Kurz darauf wurden die Nazis verhaftet und das Haus hellgelb gestrichen.

In der Flutnacht sah ich den Bürgermeister bei der Feuerwehr: Er war grau, sprach kaum und matt. Dann sah ich ihn nicht mehr – bis zum vierten August. Da war er live im Fernsehen. Ohne Anzug in Pullover mit Windjacke. Nicht mehr müde, sondern hellwach, markant und präsent. Als ein Windstoß sein Namensschild wegwehen wollte, griff er so schnell danach wie Lucky Luke, der Cowboy, der schneller zieht als sein Schatten. Und dann, am Ende eines soliden Statements, wieder dieses Momentum: „Wir leben nach wie vor in einem übergesetzlichen Notstand und wir haben absolut kein Verständnis dafür, dass jetzt Prüfer aus – beinahe hätte ich gesagt – aus trockenen Gebieten mit Lederschuhen hier sagen, wie die gesetzliche Lage ist. Wir brauchen unkonventionelle Entscheidungen.“

Wäre mein Bürgermeister ein Fußballer, er wäre ein Knipser: Im entscheidendenden Moment stößt er aus der Tiefe seines Verwaltungsraumes und macht er den Punkt, indem er meisterlich auf den Punkt bringt, was den Bürgern seiner Stadt auf der Seele liegt.

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