Vorgarten mit Flüssiggastank in Ahrweiler
Vorgarten in Ahrweiler
Thomas Rheindorf
Die Graswurzelrevolte
Wenn es zu dämmern beginnt, gleicht die Stadt jetzt vielerorts einer postapokalyptischen Filmkulisse: aufgeräumt zwar, aber menschenleer und tot. Hin und wieder wird der Blick irritiert: Frische bepflanzte Blumenkästen an gesprungenen Fensterscheiben, Herbstastern in Kübeln vor ruinierten Fassaden, Blumenbeete vor Baustellen.
01.10.2021

Früher lernte ich verschiedene Sprachen, teils schulverpflichtet, teils studienbedingt. Vokabeln schrieb ich auf Karteikärtchen. Wohl mit einem Füller. Beim Ausräumen unseres Kellers hielt mir ein Jüngling einen mit Haushaltsgummi zusammengehaltenen Stapel unter die Nase. Vermutlich waren es altgriechische Wörter, die aquarellhafte Spuren auf dem Karton hinterlassen hatten. Der Digitalnative schien amüsiert. Die Anlage eines solchen Lernsystems geht von einer – zumindest gewissen – Unwandelbarkeit der Sprache aus. Für die toten Sprachen ist das ok, doch im Sprachgebrauch unserer Tage sind Wörter unstete Kantonisten. Man muss ihnen auf der Spur bleiben, will man einigermaßen „auf Augenhöhe“ kommunizieren.

Weil das wichtig ist: Aufstocker und Bundespräsident, Wickelkind und Erzieherin, Dirk Nowitzki und Christine Urspruch - immer auf Augenhöhe bleiben. Dazu muss man Modewörter treffsicher einbauen. Besonders originell und schätzenswert ist deren Bedeutungserweiterung: Cornelia Weigand, die taffe Bürgermeisterin von Altenahr, forderte in einer ihrer zahlreichen Verlautbarungen, man müsse jetzt „resilienter bauen“. Den Sprung der Resilienz aus der Psychologie in den Bausektor hat sie nicht erfunden, doch als öffentliche Erklärung einer betroffenen Würdenträgerin zur schlimmen Lage in ihrer Verbandsgemeinde hat das mehr „Impact“ in die „gesellschaftlichen Diskurse“ als beim Fachvortrag auf einem Bauingenieurskongress. Ich höre schon Männerrunden am Webergrill: „Mein Dach ist sturmresilient, hab alle Dachpfannen mit Kabelbindern gesichtert.“ „Ich hab den Carport verkauft, wir parken jetzt auf `nem Ponton.“ „Bei uns gibst jetzt nur noch Bullaugen im Souterrain. Sind von einem russischen Atom-U-Boot. Gab`s günstig bei Ebay.“

Zeugnisse des flüssigen Gewaltexzesses

Resilienz war einmal ein echter Fachausdruck für den Umstand, dass das Leben nun mal kein Ponyhof ist, aber mache damit besser klar kommen als andere. Die strittige Frage ist nun, woran es liegt: Die einen meinen, mehr am Charakter, andere betonen stark Einflüsse von Außen. Letzteres ermöglichte dem Begriff seine Karriere, denn so wurde er trainierbar, coachbar, ratgeberkonform. Sowas kann man verkaufen. Dafür muss man drüber reden.

Die Ahrweiler Schützenstraße wurde schwer vom Hochwasser getroffen. Bekannt wurde der Ahrtorfriedhof, wo die Straße beginnt, wegen seiner Verwüstung. Am anderen Ende der Straße konnte die Piuskirche erst vor wenigen Tagen geräumt werden. Manche munkeln von Abriss. Dazwischen durchgehend Zeugnisse des flüssigen Gewaltexzesses. Manche Häuser tragen die Wunden offen, andere sind schon so proper gekärchert wie ein gebadetes Kind am Samstag vor dem Sandmännchen. Schützenstraße ist zum „Triggerwort“ geworden – wie mache anderen Orts- und Straßennamen auch: Ausgesprochen fasst es das Unfassbare zusammen.

Ein Haus sticht heraus in der Straße. Der Rasen grünt so grün wie vom Greenkeeper des örtlichen Golfclubs. Darauf eine Kunststeinschale in jahreszeitlicher Bepflanzung. Und – farblich korrespondierend – ein Flüssiggastank. In normalen Zeiten heißer Kandidat für die „Gärten des Grauens“, zeigt die Vorgartenanlage an diesem Ort, in dieser „Matrix“ jetzt etwas anderes: die Weigerung, sich den Unbilden der Natur ohnmächtig ausgesetzt zu fühlen. Der Rollrasen wird zur Trotzsynthese von resilienter Haltung und resilientem Bauen. Ein Ausrufezeichen menschlichen Gestaltungswillen nach den rohen Urkräften. Ein Sieg der Kultur, frei nach dem lutheresken Apfelbaumspruch: „Und wenn heute das Wasser wiederkäme, pflanzte ich morgen wieder Rollrasen.“

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